Der Kranz des Deutschen Kaisers für das Sultansgrab in Damaskus.
Zur Erinnerung an seinen Besuch in Damaskus hat Kaiser Wilhelm II. einen kostbaren, künstlerisch geformten Lorbeerkranz in vergoldeter Bronze herstellen lassen, der das Grabmal des Sultans Saladin schmücken soll. Die Arbeit ist von Prof. Emil Doepler der Jüngere (1855-1922) entworfen, der Ciseleur Otto Rohloff hat sie plastisch ausgeführt. Eine Widmung in arabischer Sprache befindet sich auf der zierlichen Cartouche, eine türkische Übersetzung davon ist auf dem Bande zu lesen. Am 8. November 1898 legte Kaiser Wilhelm II. während seiner Palästinareise den Trauerkranz am Grab des für Sultan Saladin im Mausoleum neben der Umayyaden-Moschee nieder und hielt eine Rede. Nach dem Einmarsch der englischen Truppen in Damaskus wurde der goldene Kranz von T.E. Lawrence (von Arabien) gestohlen und nach London geschickt. Lawrence schrieb in seinem Begleitschreiben an das Imperial War Museum, er hätte ihn weggenommen, da "Saladin ihn nicht mehr braucht". Der Kranz wurde bis heute nicht zurückgegeben.
Fotoabbildung im Originaldruck von 1898.
Auf dunkelgrauem Karton aufgezogen.
Im unteren Rand mit eingeprägtem Adelswappen.
Karton auf der Rückseite mit goldfarbenem Ornamentmuster mit Kaiserkrone, Reichsadler, Reichsapfel und Eisernem Kreuz.
Größe 190 x 250 mm.
Mit minimalen Alterungs- und Gebrauchsspuren, sehr guter Zustand.
Hervorragende Bildqualität auf Kunstdruckpapier – extrem selten!!!
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Oktober 1855 in München; † 21. Dezember 1922 in Berlin) war Maler, Kunstgewerbler, Gebrauchsgraphiker, Heraldiker und Lehrer. Emil Doepler war der Sohn des Professors Carl Emil Doepler des Älteren (1824–1905), welcher unter anderem durch seine Tätigkeit als Leiter der kostümlichen Ausstattung der Bayreuther Festspiele bekannt wurde. Emil Doepler heiratete seine Schülerin Elli Hirsch. Die Ehe blieb kinderlos. Leben Emil Doepler d. J. widmete sich bereits als Jugendlicher intensiv der Kunst. Sein Vater, der sich ebenfalls als Maler und Illustrator einen Namen machte, war zunächst sein Lehrer. Er spezialisierte sich als Zeichner und Maler heraldischer und kunstgewerblicher Motive, schuf aber auch Landschaftsbilder und Stillleben in unterschiedlichen Techniken. 1870–1873: Studium an der Kunstgewerbeschule in Berlin-Charlottenburg 1873–1876: selbständiger Illustrator. 1876–1877: Studium an der Akademie in Berlin. Ab 1881 Lehrer am Kunstgewerbemuseum Berlin. 1889 Professor an der Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums in Berlin. Ab 1898 Leiter des Ausschusses zur Prämierung der Entwürfe von Stollwerck-Sammelbildern in den von Ludwig Stollwerck veranstalteten Wettbewerben. Werke 1887 Stadtwappen von Essen. 1889 Entwurf der neuen Form des deutschen Reichsadlers 1898 Heraldischer Formenschatz, Berlin Zeichnungen im Heraldischen Musterbuch von F.Warnecke 1898 Entwurf des „Dreikronenstern“ als Bestandteil des Firmenlogos der Gebr. Stollwerck AG um 1900 Illustrationen für „Walhall - Die Göttwerwelt der Germanen“ - Oldenbourg, Berlin 1902 „Großes Fass“ der Brennerei Elmendorf, ein 20.000 Liter fassendes Kornfass 1906 Entwurf des Äbtissinnenstab Kloster Drübeck 1909 Künstlerische Oberleitung bei der Herausgabe des Stollwerck Sammelalbums Helden des Geistes und vom Schwert 17. Februar 1914 Entwurf von Flaggen und Standarten für Albanien: Die National- und die Handelsflagge sowie drei Fürstenstandarten 1915 Gedenkblatt für die Angehörigen unserer gefallenen Helden 1919 Entwurf des Staatssymbols der Weimarer Republik über 50 Exlibris Für die Firma Stollwerck gestaltete Emil Doepler Emailschilder und Sammelbilder. Diese Gebrauchsgrafiken wurden in verschiedenen Kunstzeitschriften abgedruckt. Professor Otto Rohloff, deutscher Metallbildhauer und Ziseleur. Geboren 1863 in Berlin, gestorben 1919 in Berlin. Rohloff studierte an der Kunstschule und Kunstgewerbeschule in Berlin. Der Bildhauer und Ziseleur war er seit 1891 Lehrer für Metalltechnik an der renommierten Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums Berlin. (heute Martin-Gropius-Bau). Rohloff hat 1899 im Auftrag Fischers (zu dessen 25-jährigem Jubiläum als Berlin-Korrespondent) den Kronprinzenbecher gefertigt (Bestandteil des Kölner Ratssilbers). Im Jahre 1900 fertigte er im Auftrag Kaiser Wilhelms einen Häuptlingsstab als Geschenk für König Mataafa auf Samoa, der vom deutschen Gouverneur Dr. Wilhelm Solf überreicht wurde. Otto Rohloff hatte sein Atelier in der Prinz Albrecht-Straße 8, Berlin S.W.11. Wilhelm II., mit vollem Namen Friedrich Wilhelm Albert Victor von Preußen, (* 27. Januar 1859 in Berlin, Preußen; † 4. Juni 1941 in Doorn, Niederlande) entstammte der Dynastie der Hohenzollern und war von 1888 bis 1918 Deutscher Kaiser und König von Preußen. Einleitung Die dreißigjährige Regentschaft Wilhelms II. im Deutschen Reich (von 1888 bis 1918) wird als die wilhelminische Epoche bezeichnet. Herausragende Merkmale waren das Streben des Kaisers nach nationalem Prestige und die Versuche, das Reich in den Rang einer Weltmacht zu erheben. Eng verbunden mit diesem Anspruch war die militärische Aufrüstung des Kaiserreichs und die Forcierung der Kolonialpolitik in Afrika und der Südsee. Dies und die Verwicklung des Deutschen Reichs in verschiedene internationale Krisen (zum Beispiel Krügerdepesche 1896, Marokko-Krisen 1905/06 und 1911, Daily-Telegraph-Affäre 1908) führte zu einer Destabilisierung der Außenpolitik. Die Vorliebe Wilhelms für militärischen Prunk, die sich beispielsweise in zahlreichen Paraden zu den unterschiedlichsten Anlässen ausdrückte, führte auch gesellschaftlich zu einer Überbetonung des Militärs und militärischer Hierarchien bis hinein ins zivile Leben der deutschen Gesellschaft, in der für eine berufliche Laufbahn – nicht nur im Verwaltungsapparat – die Ableistung des Militärdienstes und der militärische Rang eines Menschen von entscheidender Bedeutung war (Militarismus). Der wirtschaftliche Aufschwung Deutschlands während Wilhelms Regentschaft, verbunden mit technologischem, naturwissenschaftlichem und industriellem Fortschritt, begünstigte eine auch vom Kaiser mit getragene allgemein verbreitete Technik- und Fortschrittsgläubigkeit. Innenpolitisch setzte er die für ihre Zeit als modern und fortschrittlich geltende Sozialpolitik Bismarcks fort und erweiterte sie. Er setzte sich für die Abschaffung des Sozialistengesetzes ein und suchte, teilweise erfolglos, den Ausgleich zwischen ethnischen und politischen Minderheiten. Wilhelm II. wollte sowohl die Innen- als auch Außenpolitik des Reiches wesentlich stärker als sein Großvater Wilhelm I. beeinflussen. Das „persönliche Regiment“ des Kaisers war aber in Wirklichkeit eine von häufig wechselnden Beratern gesteuerte Politik, die die Entscheidungen Wilhelms im Urteil der meisten Historiker oft widersprüchlich und letztlich unberechenbar erscheinen ließen. Wilhelm II. nutzte durch seinen sprunghaften Charakter die Macht, die ihm die Reichsverfassung zugestand, nie konsequent, musste aber immer wieder erleben, dass diejenigen, die ihn zu schwerwiegenden Entscheidungen drängten, sich hinter seinem Rücken versteckten, als sich deren Misserfolg abzeichnete. Die Marokkokrisen oder die Erklärung des unbeschränkten U-Boot-Krieges sind nur zwei Beispiele für Entscheidungen anderer Personen, die den Ruf des Kaisers heute nachhaltig belasten. Auch war seine Amtszeit von politischen Machtkämpfen zwischen den einzelnen Parteien geprägt, die es den amtierenden Kanzlern nur schwer möglich machten, längerfristig im Amt zu bleiben. So wurden im Kampf zwischen dem sog. Nationalliberal-Konservativen Kartell, Bülow-Block und Sozialdemokraten fünf von sieben Kanzlern unter kritischem Mitwirken des Parlaments entlassen. Während des Ersten Weltkriegs von 1914 bis 1918 wurde Wilhelms strategische und taktische Unfähigkeit offenbar. Ab 1916 enthielt er sich zunehmend relevanter politischer Entscheidungen und gab die Führung des Reiches faktisch in die Hände der Obersten Heeresleitung, namentlich in die der Generäle von Hindenburg und Ludendorff, die die Monarchie während der letzten Kriegsjahre mit starken Zügen einer Militärdiktatur versahen. Als Wilhelm II. sich nach Ende des „großen Kriegs” in Folge der Novemberrevolution, die zum Ende der Monarchie und zur Ausrufung der Republik führte, zur Abdankung und zur Flucht ins Exil nach Holland entschloss, hatte das deutsche Kaiserreich den Krieg verloren. Etwa 10 Millionen Menschen waren auf den Schlachtfeldern gefallen. Kindheit und Jugend Wilhelm II. wurde am 27. Januar 1859 in Berlin als ältester Sohn des Kronprinzen Friedrich Wilhelm von Preußen (1831–1888) (vom 9. März bis 15. Juni 1888 Deutscher Kaiser Friedrich III.) und dessen Frau Victoria (1840–1901) geboren und war somit Enkel Kaiser Wilhelms I. (1797–1888) und der englischen Königin Victoria (1819–1901). Die Geburt Wilhelm des Zweiten war ausgesprochen schwierig, der Prinz kam als Steißgeburt zur Welt und überlebte nur durch das couragierte Eingreifen einer Hebamme, die das leblose Baby ganz gegen das Protokoll mit einem nassen Handtuch schlug. Der linke Arm des Kindes war so verletzt, dass er zeitlebens gelähmt und deutlich kürzer blieb. 101 Salutschüsse verkündeten das freudige Ereignis, eine jubelnde Menschenmenge versammelte sich vor dem Kronprinzenpalais, die Thronfolge im Hause Hohenzollern war gesichert. Keinen gesunden Thronfolger geboren zu haben, empfand Prinzessin Victoria als persönliches Versagen und war nur schwer bereit, die Behinderung des Sohnes zu akzeptieren. Kronprinz Wilhelm erlebte eine Kindheit voll Torturen, nichts blieb unversucht, seine Behinderung zu beheben. Legendär sind Kuren wie das Einnähen des kranken Armes in ein frisch geschlachtetes Kaninchen oder Metallgerüste, die Wilhelm umgeschnallt wurden, um seine Haltung zu verbessern. Wilhelm, von Geburt an durch diesen verkümmerten Arm behindert, verbrachte laut eigenen Aussagen „eine recht unglückliche Kindheit“. Wie im Hochadel üblich, traten seine Eltern als unmittelbare Erzieher ganz hinter seinem calvinistischen Lehrer Georg Ernst Hinzpeter zurück. Als Siebenjähriger erlebte er den Sieg über Österreich-Ungarn 1866 mit der daraus resultierenden Vorherrschaft Preußens in Deutschland. Mit zehn Jahren, im damals üblichen Kadettenalter, trat er beim 1. Garde-Regiment zu Fuß formell als Leutnant in die preußische Armee ein. Als Zwölfjähriger wurde er mit der Gründung des Deutschen Kaiserreiches nach dem Sieg über Frankreich 1871 auch übernächster Anwärter auf den deutschen Kaiserthron. Nach dem Abitur am Friedrichsgymnasium in Kassel trat er am 9. Februar 1877 seinen realen Militärdienst bei seinem Regiment (6.Kompagnie, Hauptmann v. Petersdorff) an. 1880 wurde er am 22. März, dem Geburtstag seines Großvaters Kaiser Wilhelm I., zum Hauptmann befördert. Bereits in diesen Jahren bildete sich bei ihm ein Verständnis seiner monarchischen Rolle, das den liberal-konstitutionellen Vorstellungen seiner Eltern zuwiderlief. Seine folgenden Lebensstationen sind unter dem Aspekt einer Erziehung zum Monarchen zu sehen: Er sollte möglichst vielerlei Erfahrungen sammeln, erhielt aber in keinem Feld, nicht einmal im militärischen, die Chance, sich beruflich solide einzuarbeiten. Zum Studium begab er sich an die von seinem Urgroßvater gegründete Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, wo er nichtschlagendes Mitglied des Corps Borussia wurde. 1881 heiratete er Prinzessin Auguste Viktoria von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg (22. Oktober 1858–11. April 1921). Bis 1888 war er dann wechselnden Regimentern zugeordnet, dem 1. Garde-Regiment zu Fuß, dann dem Garde-Husaren-Regiment und dem 1. Garde-Feldartillerie-Regiment, wurde schnell bis zum untersten Generalsrang (Generalmajor) befördert und zuletzt Kommandeur der 2. Garde-Infanterie-Brigade. Der Militärdienst wurde immer wieder durch Beurlaubungen unterbrochen, damit er sich auch soweit möglich mit der zivilen Verwaltung vertraut machen konnte. Sehr gründlich konnte dies nicht geschehen, denn immer mehr Eile war geboten: Sein Großvater stand im höchsten Alter, und sein Vater war mittlerweile todkrank. Für die Regierungsgeschäfte war dies weniger problematisch, als man vermuten konnte, da bereits seit 1862 Otto von Bismarck, zunächst als preußischer Ministerpräsident, ab 1871 als Reichskanzler die politische Macht fest in seiner Hand konzentriert hatte. Bismarck war nach drei siegreichen Kriegen (1864, 1866, 1870/71) und als Einiger Deutschlands zur stärksten kontinentaleuropäischen Macht ein weltweit respektierter Staatsmann. Wilhelm I. und Friedrich III. hatten ihm gelegentlich opponiert und am Ende stets vertraut. Von diesem Vertrauen hing allerdings nach der Reichsverfassung der Reichskanzler ab, nicht vom Vertrauen des Reichstags. Bismarck baute selbstbewusst darauf, auch den dritten Kaiser lenken zu können. Das Jahr 1888 ging als Dreikaiserjahr in die Geschichte ein. Nach dem Tode Wilhelms I. am 9. März 1888 regierte Friedrich III. aufgrund seiner bereits fortgeschrittenen Krankheit (Kehlkopfkrebs) nur für 99 Tage (der „99-Tage-Kaiser“). Friedrich III. starb am 15. Juni in Potsdam. An diese Konstellation hatte der 29-jährige Wilhelm II. bei seinem Amtsantritt anzuknüpfen. Er wünschte, ein Kaiser aller Deutschen zu sein. Regentschaft und Politik Soziale Reformen „[...], weil die Arbeiter meine Untertanen sind, für die ich zu sorgen habe! Und wenn die Millionäre nicht nachgeben, werde ich meine Truppen zurückziehen und wenn ihre Villen erst in Flammen stehen, werden sie schon klein beigeben!“ (Wilhelm II. zu Otto von Bismarck, als er sich weigerte, Soldaten zur Niederschlagung eines Streiks im Ruhrgebiet zu schicken.) Dieses Zitat und andere Äußerungen Wilhelms in den ersten Jahren seiner Regentschaft weckten in der Arbeiterschaft zunächst Hoffnungen auf einen sozialen Wandel im Reich. Die Sozialpolitik lag Wilhelm II. durchaus am Herzen. Allerdings folgten seinen sozialen Reformen keine strukturellen Veränderungen im Reich. Im Gegenteil, er baute seinen politischen Einfluss noch aus und lehnte eine Demokratisierung der Verfassung ab. Preußen behielt das seit Anfang der 1850-er Jahre bestehende undemokratische Dreiklassenwahlrecht, das eine repräsentative Landtagsvertretung verhinderte. Nach wie vor wurde die Regierung nicht vom Reichstag gewählt, sondern vom Kaiser ohne Berücksichtigung der parlamentarischen Verhältnisse bestimmt oder entlassen. Es war dem Kanzler aber auch nicht möglich ohne Mehrheit im Parlament Gesetze zu erlassen oder den Haushalt zu beschließen. Das Parlament war in seiner Macht, als echte Legislative, nicht zu unterschätzen. Bei alledem forderte Kaiser Wilhelm II. noch während Bismarcks Kanzlerschaft am 178. Geburtstag Friedrichs des Großen in einer Proklamation an sein Volk, mit der Devise: „Je veux être un roi des gueux“ (frz.; zu dt.: „Ich will ein König der armen Leute sein“) das Verbot der Sonntagsarbeit, der Nachtarbeit für Frauen und Kinder, der Frauenarbeit während der letzten Schwangerschaftsmonate sowie die Einschränkung der Arbeit von Kindern unter vierzehn Jahren. Außerdem forderte er bei dem zur Erneuerung anstehenden „Gesetz wider die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ („Sozialistengesetz“) die Streichung des Ausweisungsparagraphen, der die Polizei zur Ausweisung „gefährlicher Sozialisten“ aus ihrem Heimatort berechtigte. Reichskanzler Bismarck kommentierte dies als „Humanitätsduselei“ und verweigerte sich dem in seinen Forderungen durch den Reichstag unterstützten Kaiser. Seine Forderungen konnte der junge Kaiser erst mit dem Nachfolger Bismarcks durchführen, Leo von Caprivi. Allerdings war Wilhelm II. bei allen sozialen Ambitionen so wenig ein Freund der Sozialdemokratie, wie Bismarck es gewesen war. Im Gegenteil hoffte er, durch seine Reformen die Sympathien für die trotz der Sozialistengesetze erstarkte Sozialdemokratie zu schwächen und durch die Aufhebung des repressiven Sozialistengesetzes der 1890 von SAP in SPD umbenannten Partei ihren Märtyrerbonus zu nehmen. Die Sozialdemokraten ihrerseits ließen sich nicht von dem Reformen Wilhelms II. beeindrucken und setzten unter August Bebel aus ihrem antimonarchistischen Selbstverständnis heraus weiter auf Fundamentalopposition. Obwohl sie den Fortschritt der im Arbeitsschutzgesetz zusammengefassten Reformen sahen, stimmten sie im Reichstag dagegen. Sie forderten grundlegende strukturelle Veränderungen wie zum Beispiel eine Verfassungsänderung, Demokratisierung, ein ausgeweitetes Wahlrecht, Vorrang des Parlaments bei politischen Entscheidungen, eine Umstrukturierung des Haushalts, deutliche Senkung der Rüstungsausgaben, Freiheit für die Kolonien und anderes mehr, für den Kaiser unerfüllbare Anliegen, die seinen Hass auf die Sozialdemokratie noch steigerten. Der Wohlstand der deutschen Arbeiterschaft stieg von Jahr zu Jahr, doch gelang es Wilhelm II. nicht, den Arbeitern in den Städten das Gefühl zu geben, anerkannte Mitglieder der Gesellschaft zu sein, was zu starken Stimmenzuwächsen der Sozialdemokraten im Reichstag und den Landtagen der Länder führte. Diese Vorgänge ließen in Wilhelm II., der immer noch „ein König der Armen“ sein wollte, das Urteil reifen, dass eine Versöhnung mit den Sozialdemokraten nicht möglich sei. Er rief schließlich in Königsberg „zum Kampf für Religion, Sitte und Ordnung, gegen die Parteien des Umsturzes!“ auf. Überblick der unter der Herrschaft Wilhelms II. erlassenen sozialen Reformen 1889: Gesetz betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung vom 22. Juni (für Arbeiter) 1890: Aufhebung des Sozialistengesetzes 1890: Gründung von 31 Versicherungsanstalten – Vorläufer der Landesversicherungsanstalten (LVA) 1891: Auszahlung der ersten Renten an dauernd Erwerbsunfähige und an Arbeiter über 70 Jahre 1891: Arbeiterschutzgesetz vom 1. Juni (23. Novelle zur Reichsgewerbeordnung) mit Frauenschutz, eingeschränkter Nachtarbeit, Sonntagsruhe und Kinderschutz 1891: Einführung der staatlichen Gewerbeaufsicht 1891: Zulassung freiwilliger Arbeiterausschüsse in Betrieben 1891: Verbot der Sonntagsarbeit in Industrie und Handwerk 1892: Novellierung des Krankenversicherungsgesetzes mit Erweiterungen der Versicherungspflicht (Ausweitung auf Familienangehörige) 1895: Verbot der Sonntagsarbeit für das Handelsgewerbe. 1899: Invalidenversicherungsgesetz 1901: Förderung des Arbeiterwohnungsbaus 1905: Arbeiterausschüsse werden in Bergbaubetrieben zur Pflicht 1908: Höchstarbeitszeit, keine Nachtarbeit für Frauen und Jugendliche 1911: Reichsversicherungsordnung (RVO) 1911: Einführung der Hinterbliebenenrente 1911: Versicherungsgesetz für Angestellte 1911: Hausarbeitsgesetz (Regelung der Heimarbeit) 1916: Herabsetzung des Rentenalters für Arbeiter von 70 auf 65 Jahre 1916: Herabsetzung des Rentenalters für Frauen auf 60 Jahre Entlassung Bismarcks und Antritt Caprivis [Bearbeiten] In der letzten Periode der Regierungszeit Bismarcks hatte das Deutsche Reich einer „Kanzlerdiktatur“ geglichen, dessen politische Ziele nicht die des jungen Kaisers waren. Bismarck wollte Russland als einen starken Verbündeten, Wilhelm II. vertraute auf Österreich-Ungarn. Bismarck wollte den „Kulturkampf“ gegen den politischen Katholizismus fortsetzen, der Kaiser war strikt dagegen. Bismarck wollte das Sozialistengesetz verschärfen, Wilhelm II. wollte es abschaffen: „Ich will meine ersten Regierungsjahre nicht mit dem Blut meiner Untertanen färben!“ Als der Reichskanzler hartnäckig blieb, schickte der Kaiser am Morgen des 17. März 1890 den Chef seines Militärkabinetts, General v. Hahnke, in die Reichskanzlei: Der Kanzler solle am Nachmittag ins Schloss kommen und sein Abschiedsgesuch mitbringen. Dieses wurde ihm am nächsten Morgen aber nur durch einen Boten gebracht. Am 20. März 1890 entließ Wilhelm II. den Reichskanzler Otto von Bismarck. Bismarck überwand dies nie und sorgte indirekt durch vielfach lancierte Kritik an den „Hintermännern“ der wilhelminischen Politik und durch sein Memoirenwerk Gedanken und Erinnerungen für nachhaltige Kritik an Wilhelm II . (Der dritte Teil der Memoiren, in welchem Bismarck seine Entlassung darstellte, wurde in der Tat wegen extremer politischer Brisanz erst 1919 veröffentlicht, als Deutschland Republik geworden war.) Aus der Bismarckschen Darstellung geht explizit hervor, wie isoliert er zum Zeitpunkt der Entlassung schon war, dass er nicht einmal bei den Angehörigen seines eigenen Kabinetts Unterstützung fand und dass sein Stellverteter, Karl Heinrich von Boetticher, in seiner Abwesenheit und ohne seine Billigung mit dem Kaiser in dessen Sinne verhandelt hatte. Bismarck wollte das unterbinden und berief sich auf eine (38 Jahre alte) Kabinettsorder, die es den preußischen Ministern untersagte, ohne Billigung des Kanzlers mit dem Souverän zu sprechen. Damit war für den Kaiser das Maß voll und Bismarck musste „aus Gesundheitsgründen“ sofort zurücktreten. Der Rücktritt Bismarcks war somit zwar primär innenpolitisch begründet, aber langfristig gesehen vor allem außenpolitisch fatal. Bezeichnenderweise erinnerte man nur in Wien, nicht dagegen in St. Petersburg, sofort und explizit an Bismarcks Verdienste (Brief vom Kaiser Franz Joseph I.). Als Bismarcks Nachfolger ernannte Wilhelm II. den General Leo von Caprivi (1831–1899). Caprivi wurde vom Kaiser als „Mann der rettenden Tat“ gefeiert und ob seiner Leistungen in den Grafenstand erhoben. Mit Caprivi glaubte Wilhelm II. eine anerkannte Persönlichkeit gefunden zu haben, mit der er seine geplante Politik der inneren Versöhnung sowie das Arbeitsschutzgesetz durchzusetzen hoffte. Ein wichtiges außenpolitisches Ereignis fiel (quasi „genau passend“) in dieses Jahr des Kanzlerwechsels: Der Rückversicherungsvertrag mit Russland widersprach teilweise den Bedingungen des Dreibundpaktes mit Italien und Österreich-Ungarn. Der Kaiser war gegen ein Verletzen des letztgenannten Paktes, während Bismarck den Rückversicherungsvertrag seinerzeit für unbedingt notwendig gehalten hatte. Jetzt, 1890, ging es um seine Verlängerung. Von der Öffentlichkeit unbemerkt (es handelte sich ohnehin um einen Geheimvertrag), und von Caprivi hingenommen, wurde der auslaufende Rückversicherungsvertrag vom Deutschen Reich bewusst nicht erneuert. In Russland nahm man realistischerweise einen deutschen Kurswechsel an und begann, sich Frankreich anzunähern. Caprivis Kanzlerzeit war durch entschiedene Englandfreundlichkeit geprägt. Er war in der Innenpolitik einer der Hauptverantwortlichen für den Wandel des Deutschen Reiches von der Agrarwirtschaft zur industriellen Exportwirtschaft. Die in diesem Zeitraum gemachten Reformen erleichterten es, dass Deutschland wenig später Großbritannien überholte und zur Weltwirtschaftsmacht Nr. 1 aufstieg. Das „Made in Germany“ errang zu dieser Zeit den Status einer Garantie für höchste Qualität. Integrationspolitik Die turbulente Vereinigung des alten „Deutschen Bundes“ zu einem „Deutschen Reich“ ohne die deutschen Österreicher - die Kleindeutsche Lösung - brachte einige Probleme mit sich. Die rheinländische, süddeutsche und polnische Opposition gegen die preußische Vorherrschaft stützte sich auf ein sich politisierendes katholisches Bürger-, Arbeiter- und Bauerntum. Als Partei des politischen Katholizismus formierte sich das „Zentrum“. Die Versuche Bismarcks, die katholischen Parteien in ihrer Arbeit zu behindern, führte zu Eingriffen in das Leben der Katholiken. Auch die Judenintegration, die es vorher außer in Preußen nur in wenigen anderen Staaten gab, war jung, und der merkliche soziale Aufstieg der jüdischen Bevölkerung nährte Neid und Antisemitismus in der Bevölkerung. In den östlichen Gebieten Preußens, vor allem in der Provinz Posen, gab es eine starke Unterdrückung der polnischen Minderheit, die zu Unruhen und Gefühlen der Ungerechtigkeit führte. Der Kaiser erkannte die Ernsthaftigkeit dieser Probleme und bezeichnete sie als eine seiner Hauptaufgaben. Am besten gelang die Integrationspolitik mit den Katholiken. Sie waren durch den bismarckschen Kulturkampf benachteiligt und an der Teilnahme am politischen Leben, sowie bei der freien Ausübung ihrer Religion gehindert worden. Schon zu seiner Prinzenzeit war Wilhelm gegen diese Praktiken und befürwortete die Beendigung des Kulturkampfes. Um die Einigkeit zwischen Protestanten und Katholiken im Reich zu verbessern, zahlte das Reich die den Opfern vorenthaltenen Gelder zurück, hob allerdings nicht alle gefassten Beschlüsse und Gesetze dieser Zeit wieder auf. Die östlichen Provinzen Preußens (Ostpreußen, Westpreußen, Pommern und Schlesien) waren bis zur Vertreibung nach 1945 mehrheitlich von Deutschen bewohnt, minderheitlich von Polen, dazu regional von Kaschuben und Masuren. In der Provinz Posen (Poznan) stellten die Polen die Mehrheit. Seit der Bismarckzeit versuchte der Staat, die hier lebenden Polen zu germanisieren, was allerdings scheiterte und in offenen Protest mündete. Kaiser Wilhelm II. hob viele dieser Repressionen, die vor allem die Sprache des Unterrichts und später auch des Gottesdienstes regelten, auf und erkannte die Polen als eigenes Volk und Minderheit im Deutschen Reich an. Eine der umstrittensten Bereiche in der Einordnung der politischen Meinung des Kaisers ist seine Beziehung zum Judentum bzw. zum Antisemitismus. Die Historiker gehen hier in den Meinungen weit auseinander, je nachdem welche Quellen sie benutzen. Bei den Reichstagswahlen 1880 zogen zum ersten Mal mehrere antisemitische Parteien in den Reichstag ein. Mit fünf Abgeordneten bildeten sie die „Fraktion der Antisemiten“. Grund für den gestärkten Antisemitismus waren wohl die „Gründerkrise“ und die als relativ stark empfundenen wirtschaftlichen Erfolge jüdischer Unternehmer. Die Juden waren im 1871 gegründeten Deutschen Reich zum ersten Mal freie und gleiche Bürger: Die Einschränkungen, die sie, von Land zu Land unterschiedlich, teilweise zu Schutzbefohlenen eines Herrschers machten und ihnen wirtschaftliche Beschränkungen auferlegten oder ihnen bestimmte Berufsverbote erteilten, waren aufgehoben. Auch der Dienst beim Militär, in Schulen oder der Justiz stand ihnen jetzt offen. Als Reaktion auf den Antisemitismus entstanden gesellschaftliche Gruppen, die letzterem entgegenzuwirken versuchten. So bildeten besorgte Christen den Verein zur Abwehr des Antisemitismus, dem neben Heinrich Mann auch der Historiker Theodor Mommsen beitrat. Im Judentum entwickelten sich neben dem orthodoxen Glauben mehrere Strömungen, teilweise auch mit politischem Hintergrund. So gab es erstens die assimilierten Juden, die sich taufen ließen und das Christentum als Erfüllung des jüdischen Messias-Glaubens akzeptierten. Der jüdische so genannte Reform-Glaube (Reformjudentum) lehnte diese Art ab, passte sich aber in seiner Wesensart fast völlig den deutsch-christlichen Traditionen an. Er hielt Gottesdienst am Sonntag, nicht am Sabbat (Samstag), mit deutscher, nicht hebräischer Liturgie, hielt kürzere Gebete mit Orgeluntermalung und verzichtete auf traditionelle Gebetsbekleidung. Kaiser Wilhelm unterstützte diese Art der Religionsausübung sehr und finanzierte den Bau der Reform-Synagoge in der Berliner Fasanenstraße mit, an deren Einweihung er demonstrativ teilnahm. Eine dritte aufstrebende Richtung war der Zionismus, der die Gründung eines eigenen Judenstaates vorsah. Aus Angst, den Antisemitismus zu bestärken, lehnten die Reformgläubigen auch diese, sehr radikale, ursprüngliche Form des Glaubens ab und strich jegliche Passagen über das gelobte Land aus dem Gottesdienst. Der Kaiser unternahm eine Palästinareise mit Theodor Herzl, dem Begründer des modernen Zionismus in Europa. Auf dieser Reise stiftete er in Jerusalem die Erlöserkirche auf dem Muristangelände. Als Erinnerung an diese Expedition wurde dem Kaiser in Haifa 1982 ein Denkmal gesetzt. Bei seiner Integrationspolitik kam Kaiser Wilhelm II. der Parlamentarismus im Reich entgegen. Anders als heute gab es keine Fünf-Prozent-Hürde, welche das Entsenden von Abgeordneten aus kleineren Parteien verhinderte. So hatten Dänen (1-2 Abgeordnete), Elsass-Lothringer (8-15 Abgeordnete) und Polen (13-20 Abgeordnete) von 1871 bis zur letzten Wahl 1912 stets ihre Fraktion im Reichstag. Juden organisierten sich nicht in einer eigenen Partei. Dies widersprach ihrem Selbstverständnis, deutsche Staatsbürger zu sein, welches durch lange Tradition besonders in Preußen sehr stark ausgeprägt war. Das Wahlsystem grenzte aber auch politische Minderheiten nicht aus. Dies sorgte dafür, dass sich auch die reichsfeindlichen Welfen, aber vor allem die Antisemiten aus der Christlichsozialen Partei und der Deutschen Reformpartei organisieren konnten. Die Zahl ihrer Abgeordneten überschritt aber nie die Zahl der Abgeordneten aus den Parteien der ethnischen Minderheiten. Trotz dieser Unterstützung gibt es von Wilhelm II. mehrere Zitate, die einen antisemitischen Klang haben, so: „Ich denke gar nicht daran wegen der paar hundert Juden und der tausend Arbeiter den Thron zu verlassen!“ Ob er allerdings auf die Juden als Kollektiv schimpfte oder einzelne meinte, z.B. die ihn oft kritisch betrachtenden jüdisch geleiteten Zeitungskonzerne, ist unklar. Die Verurteilung der Juden als Volk ist aber unwahrscheinlich, da er in seinem Freundeskreis nie Unterschiede zwischen Deutschen jüdischer oder christlicher Abstammung machte. Der von Antisemiten geprägte und heute noch verwendete Begriff „Kaiserjuden“ verriet allerdings große Missbilligung von Teilen der Bevölkerung an diesen Kontakten. Wirtschaftspolitik und rüstungspolitische Prioritäten Caprivi setzte einen weiteren von Bismarck verwehrten Wunsch Wilhelms II. durch, die progressive Einkommenssteuer, die höhere Einkommen stärker belastete: die Miquelsche Einkommensteuerreform von 1891. Durch die industriefreundliche und exportorientierte Eindämmung des Protektionismus zog sich Caprivi die Feindschaft der im Bund der Landwirte organisierten Grundbesitzer („Ostelbier“, „Junker“) zu, der sehr eng mit der Konservativen Partei verwoben war. Die nach Abschaffung der Schutzzölle wachsenden Agrarexporte der USA bewirkten für sie einen Preisverfall. Durch die Förderung des Einsatzes von Agrarmaschinen konnte man die Verluste zwar teilweise auffangen, erhöhte aber die agrarprotektionistischen Ansprüche der ohnehin unterkapitalisierten und zu Investitionen genötigten Großgrundbesitzer. 1893 löste Wilhelm II. den 1890er Reichstag auf, jetzt, weil der die auch von ihm gewollte Aufrüstung des Heeres abgelehnt hatte. Im darauf folgenden Wahlkampf siegten die Befürworter der wilhelminischen Politik aus der Konservativen und Nationalliberalen Partei. Auch die von Alfred von Tirpitz propagierte Aufrüstung der Kaiserlichen Marine, im Volk populär (vgl. Matrosenanzug), wurde in der Folgezeit von Wilhelm gefördert (1895 Vollendung des heutigen Nord-Ostseekanals, Ausbau der Marinehäfen Kiel und Wilhelmshaven). In diesem Zusammenhang besetzte und pachtete das Deutsche Reich die chinesische Hafenstadt Tsingtao auf 99 Jahre. Wilhelm erkannte trotz seiner Englandfreundlichkeit nicht, dass damit die weltweite Hegemonialmacht Großbritannien aufs Äußerste beunruhigt wurde. Der anhaltende deutsche Kolonialismus – gegen den Bismarck sich noch gewehrt hatte – wurde von ihm nicht als riskant gegenüber den Großmächten England, Frankreich und Japan erkannt und eher gebilligt: 1899 erwarb das Reich die Karolinen, Marianen, Palau und Westsamoa. Wende in den Reichskanzlerberufungen und außenpolitische Dauerprobleme 1894 wurde Caprivi entlassen. Wilhelm berief erstmals einen Nichtpreußen, den Bayern Fürst Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst, der weder Führungsehrgeiz entwickeln sollte noch entwickelte: 1896 versäumte er, Wilhelm von der Krüger-Depesche abzuhalten, einem Glückwunschtelegramm an die Buren zur Abwehr des britisch inspirierten Jameson Raid, die in Großbritannien mit Empörung aufgenommen und nachhaltig als Abkehr von der englandfreundlichen Politik Caprivis gedeutet wurde. 1900 ersetzte er Hohenlohe durch Graf Bernhard von Bülow, der als Reichskanzler weder die anstehenden innenpolitischen Reformen betrieb noch die sich umgruppierenden außenpolitischen Konstellationen (in Deutschland als Einkreisungspolitik verstanden) zu meistern vermochte. Das Verhältnis zu Frankreich wurde nicht verbessert, England nun auch durch die Flottenpolitik herausgefordert und Russland auf dem Balkan nicht gegen Österreich-Ungarn unterstützt (vgl. dagegen den Rückversicherungsvertrag der Bismarck-Epoche). Wilhelm hatte allerdings bis zur Daily-Telegraph-Affäre und den Eulenburg-Prozessen Vertrauen in Bülow, der sich ihm zudem durch Schmeichelei unentbehrlich machte. Friedenspolitisch ergriff Wilhelm II. erst 1905 eine Initiative: Zwecks Wiederannäherung an Russland, das gerade seinen Krieg gegen Japan zu verlieren drohte, schloss er mit Nikolaus II. den Freundschaftsvertrag von Björkö. Frankreich sollte einbezogen werden. Leider wurde aber der deutsch-russische Freundschaftsvertrag schon 1907 von Russland für gegenstandslos erklärt, weil er mit der französisch-russischen Annäherung, die inzwischen stattgefunden hatte, nicht verträglich sei. Diese Annäherung hatte sich ergeben, nachdem Wilhelm II. 1906 in der Ersten Marokkokrise durch seinen Besuch in Tanger Frankreich stark provoziert hatte. Resultat war überdies eine Verschlechterung der Beziehungen zu Japan, das bisher Preußen/Deutschland als wissenschaftlichen und militärischen Lehrmeister angesehen hatte. 1908 wurde Wilhelms Hilflosigkeit durch die Daily-Telegraph-Affäre deutlich: Er beschwerte sich in einem Interview der Zeitung über seine eigene Regierung: sie sei nicht englandfreundlich genug. Bismarck war ein Meister darin gewesen, seine Politik medial zu flankieren (vgl. die Emser Depesche 1870). Bei Wilhelm II. dagegen sollte das Interview und markige Reden die Politik ersetzen. Ein besonders eklatantes Beispiel gab der Kaiser mit der bereits am 27. Juli 1900 in Bremerhaven gehaltenen Hunnenrede. Mit dem Daily Telegraph-Interview fiel er nunmehr der Reichspolitik in den Rücken, knickte angesichts des deutschen Pressesturms ein und versprach, sich künftig zurückzuhalten. Inzwischen begann die Öffentliche Meinung überhaupt, den Kaiser kritisch zu sehen, und eine Kampagne schadete ihm konkret: Schon 1906 hatte der Journalist Maximilian Harden in seiner Zeitschrift Die Zukunft die Kamarilla um den Kaiser und damit das persönliche Regiment des Kaisers angegriffen. Zu besonders harten Auseinandersetzungen führte seine Enthüllung, dass Philipp von Eulenburg und Hertefeld, ein enger Freund und Berater des Kaisers, homosexuell sei und einen Meineid geleistet habe. Es folgten drei Sensationsprozesse gegen Eulenburg, die trotz „freisprechenden“ Urteils das Ansehen des Kaisers beschädigten. 1909 zerbrach der so genannte Bülowblock, in dem sich die regierungsunterstützenden linksliberalen Parteien, sowie die Nationalliberale und die Konservative Partei zusammengeschlossen hatten. Auslöser war der Versuch Bülows, das preußische Wahlrecht zu reformieren, worauf ihm die im Preußischen Landtag dominierenden Konservativen die Gefolgschaft verweigerten. Sozialdemokraten und Zentrum, die diesen Versuch in seinen Grundsätzen unterstützen, verweigerten trotzdem die Zusammenarbeit mit Bülow. Sie warfen ihm Prinzipienlosigkeit vor, da er erst kurz zuvor in Zusammenarbeit mit den Konservativen neue Repressalien gegen die Polen durchgesetzt hatte. Die Germanisierungspolitik wurde auf Betreiben Kaiser Wilhelms II. beendet. Dass Bülow nun aber, um sich die Loyalität der Konservativen Partei zusichern, die Enteignung von polnischen Gütern erleichterte, ignorierte der Kaiser zunächst, um die stabile Parlamentsmehrheit nicht zu gefährden. Daraufhin entließ er ihn jedoch und ernannte Theobald von Bethmann Hollweg zum Reichskanzler. Er überließ ihm die Außenpolitik, die aber ihre Ziele - Wiederannäherung an England und Distanzierung von der antirussischen Balkanpolitik Österreich-Ungarns - nicht erreichte. Die antifranzösische Politik wurde 1911 in der zweiten Marokkokrise durch deutschen Interventionismus verschärft (der „Panthersprung nach Agadir“), Heer und Flotte wurden weiter verstärkt. Markante Eingriffe Wilhelms unterblieben. Der Kaiser war zwar Militarist, aber kein Bellizist, er wollte trotz seiner kriegerischen Reden im Grunde keinen Krieg. Er tat aber auch zu wenig, um dies deutlich zu machen. Insgesamt ist Wilhelms II. Anteil an der deutschen Außenpolitik umstritten. Während John C. G. Röhl in ihm eine wirkungsmächtige Instanz hervorhebt, die in die Politik des Reiches eigenständig eingriff, sieht die Mehrzahl der Historiker wie Wolfgang Mommsen die zivile Reichsleitung im Zentrum der Verantwortung. Unbestreitbar ist, dass der Kaiser nicht als Koordinator zwischen Außen-, Heeres- und Flottenpolitik wirkte. So kam es, dass Reichskanzler, Heeres- und Marineleitung je unterschiedliche Ziele verfolgten, die miteinander nicht verträglich waren: Vor allem der Aufbau der Flotte schuf ein außenpolitisches Problem. Erster Weltkrieg 1914 in der Julikrise spielte Wilhelm II. eine ambivalente Rolle. Er wollte den Frieden retten und auf der Monarchenebene versuchte er sein Bestes, einen fieberhaften Briefwechsel mit dem russischen Kaiser (Lieber Nicky! – Lieber Willy!), der bei der nunmehr objektiven Kriegsentschlossenheit sämtlicher Kontinental-Großmächte gar nichts bewirkte. Objektiv jedoch steigerte der Kaiser die Kriegsgefahr: Denn er ermächtigte Bethmann Hollweg nach dem Attentat von Sarajewo am 28. Juni 1914, Österreich-Ungarn eine Blankovollmacht für dessen aggressive Politik gegen Serbien zu erteilen. Faktisch wurde nach der österreichisch-ungarischen Kriegserklärung an Serbien die Außenpolitik von Kaiser und Kanzler dem deutschen Generalstab überlassen: Die Mobilmachung im Russischen Reich erlaubte es nach dessen Urteil dem Deutschen Reich nicht, mit der Kriegserklärung an Russland und Frankreich länger zu warten, da sonst der deutsche Schlieffenplan, bei einem Zweifrontenkrieg erst schnell Frankreich, dann Russland zu schlagen, undurchführbar zu werden drohte. Wilhelm mischte sich in der Folge nicht in militärische Zielsetzungen ein, überließ diese aber nicht verfassungsgemäß dem Reichskabinett, sondern der Obersten Heeresleitung. Im Verlauf des Ersten Weltkrieges 1914–1918 wurde die Bedeutung des Kaisers immer geringer. Besonders mit der 3. Obersten Heeresleitung unter Hindenburg und dem dominierenden Ludendorff wurde er 1916–1918 zunehmend von den politisch-militärischen Entscheidungen ausgeschlossen. Jedoch schob die Heeresleitung ihm 1917 die auch im Reich umstrittene Entscheidung über den „uneingeschränkten“ U-Boot-Krieg zu. Er schloss sich – gegen den Rat seines Reichskanzlers – der Meinung der Militärs an und willigte ein, was dann zur Kriegserklärung der USA führte. Diese machten später die Abdankung des Kaisers zur Bedingung für die Eröffnung von Friedensverhandlungen. Ab 1917 hatte Ludendorff eine faktisch diktatorische Position. Auf weitere Reichskanzlerwechsel nahm Wilhelm II. keinen Einfluss, die 1918er Reform der Reichverfassung in Richtung auf eine parlamentarische Monarchie wurde ohne ihn versucht. Durch den Hungerwinter 1917/18 und das völlige Desaster der Kriegsführung, spätestens nach der gescheiterten Frühjahrsoffensive im Westen 1918, war Wilhelm II. im Reich unhaltbar geworden. Dazu kam die Tatsache, dass der Bevölkerung längst bewusst war, dass ein Friedensschluss unter leidlichen Bedingungen („Selbstbestimmungsrecht der Völker") nur noch von der Abdankung ihres Kaisers abhing, da die USA sich weigerten, Friedensverhandlungen vorher zu beginnen. Am 9. November 1918 gab Reichskanzler Prinz Max von Baden (1867–1929) eigenmächtig und ohne Wilhelms II. Einwilligung dessen (!) Abdankung bekannt. Damit war in Deutschland die Monarchie überall am Ende. Der noch im selben Monat vom Kaiser selbst ausgesprochene Rücktritt (s.u.) war angesichts der Situation zwangsläufig (s. Novemberrevolution). Die Folgen konnte man zu diesem Zeitpunkt noch nicht erahnen: Der Sturz der Monarchie ebnete nach Ansicht des späteren britischen Premierministers Sir Winston Churchill den Weg in die Diktatur Adolf Hitlers. Am 10. November 1918 fuhr der Kaiser aus seinem Hauptquartier in Spa in die Niederlande und erbat (und erhielt) dort Asyl. Besonders enttäuscht war er von Hindenburg, der ihn fallen ließ, des Weiteren wetterte er gegen „das Judengesindel“ (O-Ton Wilhelm). Er dankte offiziell am 28. November 1918 ab, 19 Tage nach Ausrufung der Republik, gab aber nie den Wunsch auf, wieder auf den Thron zurückzukehren. Text der Abdankungsurkunde: Ich verzichte hierdurch für alle Zukunft auf die Rechte an der Krone Preussen und die damit verbundenen Rechte an der deutschen Kaiserkrone. Zugleich entbinde ich alle Beamten des Deutschen Reiches und Preussens sowie alle Offiziere, Unteroffiziere und Mann- schaften der Marine, des Preussischen Heeres und der Truppen der Bundeskontingente des Treueides, den sie Mir als ihrem Kaiser, König und Obersten Befehlshaber geleistet haben. Ich erwarte von ihnen, dass sie bis zur Neuordnung des Deutschen Reichs den Inhabern der tatsächlichen Gewalt in Deutschland helfen, das Deutsche Volk gegen die drohenden Gefahren der Anarchie, der Hungersnot und der Fremdherrschaft zu schützen. Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unter- schrift und beigedrucktem Kaiserlichen Insiegel. Gegeben Amerongen, den 28. November 1918 Wilhelm Zeit nach der Abdankung Exil Bis 1920 lebte Wilhelm II. in Amerongen, danach bis zu seinem Tod in dem von ihm erworbenen Haus Doorn in den Niederlanden im Exil. 1921 starb seine Frau. 1922 heiratete er die verwitwete Prinzessin Hermine von Schönaich-Carolath, geborene Prinzessin Reuß ä.L. (1887-1947) („Kaiserin“ in seiner Titulatur, amtlich „Prinzessin von Preußen“). Er versammelte Gelehrte zu kulturhistorischen Studien um sich (Doorner Arbeitskreis), verfasste seine Memoiren und weitere Bücher und hielt sich für die Wiederherstellung der Monarchie bereit. Unter anderem durch den Hitlerputsch 1923 sah er sich darin bestätigt, dass nur ein Monarch Ruhe und Ordnung garantieren könne. Immer wieder äußerte er sich antisemitisch, „Presse, Juden und Mücken“ solle man den Garaus machen, „am besten mit Gas“. 1933 näherte er sich – auch bestärkt durch seine Frau, die im Reich umherreiste – den Nationalsozialisten an, von denen er sich die Restauration des Kaiserreichs versprach, was sich trotz zweimaligen Besuchs Görings in Doorn bald als unrealistisch erwies. Hitler hielt ihn hin. Als er im November 1938 von dem antijüdischen Pogrom, der „Kristallnacht“, erfuhr, äußerte er sich entsetzt und hielt es für eine Schande. Bei Besetzung der Niederlande 1940 ließ Hitler das Anwesen durch die Geheime Feldpolizei abriegeln. Zum deutschen Sieg über Frankreich im Mai erhielt Adolf Hitler ein angeblich von Wilhelm II. abgesandtes Glückwunschtelegramm. Darin wurde zwar nicht dem „Führer“ Hitler, aber dem Reichskanzler, und vor allem zum „Sieg der deutschen Waffen“ gratuliert. Ob es von Wilhelm II. stammte, wird stark bestritten, sein damaliger Hausminister Wilhelm von Dommes dürfte der Urheber dieses Telegramms gewesen sein. Tod Wilhelm II. starb am Morgen des 4. Juni 1941 im Haus Doorn. Seine letzten Worte sind zweifelhaft überliefert: „Ich versinke, ich versinke...“. Trauerfeiern im Reich wurden verboten. Die NS-Machthaber erlaubten nur einer kleinen Zahl von Personen (dem engeren Familienkreis, einigen ehemaligen Offizieren) die Fahrt in die besetzten Niederlande zur Teilnahme an der Beisetzung. Der Kaiser wurde zunächst in einer Kapelle nahe dem Doorner Torhaus beigesetzt. Sodann wurde sein Sarg in das nach seinen Zeichnungen posthum erbaute Mausoleum im Park von Haus Doorn überführt. Sein selbst gewählter Grabspruch lautet: „Lobet mich nicht, denn ich bedarf keines Lobes; rühmet mich nicht, denn ich bedarf keines Ruhmes; richtet mich nicht, denn ich werde gerichtet.“ Beide Gattinnen ruhen im Antikentempel am Neuen Palais in Potsdam. Wilhelm II. als Persönlichkeit Auf Grund von Komplikationen bei seiner Geburt war Wilhelms II. linker Arm um 15 cm kürzer als der rechte und teilweise gelähmt, mit daraus resultierenden Gleichgewichtsstörungen und Haltungsschäden sowie häufigen Schmerzen im linken Ohr. Eine besondere elterliche Zuwendung erfuhr er nicht und dankte es mit einem bleibenden Ressentiment besonders gegen seine Mutter, die ihn selbst wiederum, wie in ihren Briefen deutlich zu lesen, hasste. Schmerzvoll waren die Versuche der Familie, seiner Behinderung entgegen zu wirken. Denn der zukünftige König von Preußen sollte ein „ganzer Mann“ und kein Krüppel sein. So musste er sich als Kleinkind z.B. schmerzhaften Elektroschocktherapien unterziehen. Auch wurde erfolglos versucht, seinen verkümmerten Arm zu strecken. Das beruflich oft erforderliche Reiten fiel ihm daher schwer. Diese unbehebbare Behinderung prägte ihn sehr. Er war gehalten, sie stets als einen Makel zu verbergen. Das Tragen von Uniformen und das Abstützen der linken Hand auf der Waffe war ein Ausweg. Die Behinderung machte ihn vermutlich zu einem Menschen mit Selbstzweifeln und geringem Selbstbewusstsein und einer darauf beruhenden Ichverfangenheit, leichten Kränkbarkeit und ihr zufolge Sprunghaftigkeit. Später dürfte diese auch seine sprichwörtliche Reiselust begünstigt haben. Ob mögliche Neurosen eine ernsthafte seelische Erkrankung unterstellen lassen müssten, ist durchaus strittig. Ob auch eine Anlage zu einer Geisteskrankheit vorlag, noch mehr. Ein schwermütiger Zug wird ihm mitunter attestiert. Der noch heute berühmte Psychiater Emil Kraepelin bezeichnete sogar – auf Grund ferndiagnostisch zugänglicher öffentlicher Quellen – Wilhelms Gemüt als einen „typischen Fall periodischen Gestörtseins“, ein freilich bestrittenes Urteil in Richtung auf eine manisch-depressive Disposition. Anhaltende Schwierigkeiten waren Wilhelm II. verhasst, deswegen ließ er auch bewährte Freunde und Parteigänger schnell im Stich, so dass eher diplomatisierende Charaktere, wie Bülow und viele Höflinge, seinen Umgang ausmachten und seine Personalauswahl bestimmten. Offiziere, unter denen er sich wohlfühlte, erweiterten sein Urteil wenig, denn sie hatten im Zweifel die politischen Vorurteile ihrer kastenartig abgeschlossenen Berufsgruppe, und auch ihr Stil des Schwadronierens färbte auf ihn ab. Von seiner Persönlichkeit her gesehen behinderten narzisstische Züge seine Einfühlungsgabe und sein Urteil über Andere, wie z.B. über Nikolaus II. von Russland. Seine Taktlosigkeiten waren bekannt. Sie fielen seiner Mitwelt besonders bei seinem Regierungsantritt und bei Bismarcks Entlassung ins Auge, die dieser in seinen Gedanken und Erinnerungen rachsüchtig ausbreitete. Eine diese Handikaps ausbalancierende Welt- und Menschenkenntnis zu erwerben, hatte sein Werdegang ihm nicht erlaubt. Trotz der Wesensunterschiede zu seinem altpreußisch-schlichten und im Persönlichen bemerkenswert loyalen Großvater Wilhelm I. versuchte Wilhelm II. immer, dessen Regierungsmuster zu folgen. Man kann sein anfängliches Verhältnis zu Caprivi dergestalt deuten, dass er hier ‚seinen eigenen Bismarck‘ gefunden zu haben hoffte. Zum militärischen Oberbefehlshaber ernannte er den Neffen des berühmten Generalfeldmarschalls Helmuth von Moltke („Ich will auch einen Moltke.“), der dann aber aus dem Schatten Alfred von Schlieffens nicht heraus zu treten vermochte. Allerdings wurde die Zurückhaltung seines Großvaters bei direkten politischen Eingriffen keineswegs bleibendes Merkmal des Enkels; wiederholt griff Wilhelm II. durch Personalentscheidungen und Befehle für Gesetzesvorlagen direkt in die Politik ein. Gar nicht folgte er der öffentlichen Zurückhaltung des alten Kaisers: Selbstdarstellungseifer drängte Wilhelm II. oft repräsentativ in die Öffentlichkeit, wobei eine nicht unbeachtliche Rednergabe ihm Echo einbrachte, aber auch zu politisch bedenklichen Formulierungen verlockte. Auch begünstigte dieser Übereifer sein Verhältnis zu den Massenmedien. Man kann ihn als ersten Medienmonarchen des 20. Jahrhunderts ansehen. Seine Schaustellungen von Uniformen und Orden stimmten im Übrigen zum Protzstil des später nach ihm benannten Wilhelminismus. Die Künste standen ihm fern, die Literatur lag ihm nicht am Herzen. Eigene Interessen entwickelte er für die Archäologie, seine Korfu-Aufenthalte sind auch davon bestimmt. Außerdem oblag er, wie in Adelskreisen nicht unüblich, begeistert der Jagd, seine Trophäenzahl erfreute ihn (er erlegte rd. 46.000 Tiere); im Exil fällte er gerne Bäume. Bei der Jagd lernte Wilhelm auch seinen später engen Freund Philipp Graf zu Eulenburg kennen, der besonders in den Jahren 1890 bis 1898 zu seinen wichtigsten Beratern zählte. Desengagement, wenn die Dinge anders liefen, als er wollte, blieb sein Wesenszug. Noch 1918, angesichts der revolutionären Verhältnisse im Reich, emigrierte er sang- und klanglos ins neutrale Ausland. Seine in Holland verfasste Autobiografie mit ihren Rechtfertigungen oder Themenvermeidungen ist ein gutes Zeugnis seiner Urteilsschwächen. Das Bild Wilhelms II. in der Öffentlichkeit Wilhelm II. war zunächst sehr populär. Die weniger geschätzten Züge einer Reichseinigung „von oben“ mit Bewahrung alter Machtstrukturen fand in der Kaiserverehrung einen willkommenen Ausgleich. Die weithin monarchistisch gesonnene Presse nahm dies auf, man fand für ihn die Bezeichnungen „Arbeiterkaiser“ und „Friedenskaiser“ (dies geht u. a. auf den Vorschlag von Emanuel Nobel von 1912 zurück, Kaiser Wilhelm II. den von Alfred Nobel gestifteten Friedensnobelpreis zuzusprechen, damals hatte das Deutsche Reich unter seinem Kaisertum 24 Jahre Frieden gehalten). Doch wurde er auch als bedrohlich empfunden (vgl. Ludwig Quiddes als Kritik an Wilhelm II. aufgefasste und vielrezipierte 1894er Studie Caligula zum "Cäsarenwahnsinn“). Zunehmend mischte sich dann Spott hinein: „Der erste war der greise Kaiser, der zweite war der weise Kaiser, der dritte ist der Reisekaiser.“ Auch in der Bezeichnung „Redekaiser“ steckte Kritik. Seine vielerlei Uniformen wurden bewitzelt: „Majestät, im Badezimmer ist ein Rohr geplatzt.“ – „Bringen Sie die Admiralsunifom.“ („Simplicissimus“) Von den ihn kritisierenden Demokraten, Sozialisten, Katholiken, auch den kritischen Minderheiten (von 1864 her die Dänen, seit 1866 die Hannoveraner, seit 1871 die Elsass-Lothringer, dauerhaft die Polen) wurde ihm zunächst das die öffentliche Meinung beherrschende Bürgertum am gefährlichsten. Bei den Schriftstellern war er nicht angesehen, der ironische Thomas Mann war in seinem Roman Königliche Hoheit noch am mildesten mit einem behinderten und etwas einfältigen Dynasten umgegangen. Direkte Kritik verbot der Paragraph zur „Majestätsbeleidigung“ im Strafgesetzbuch, aber die Witze über ihn wurden immer beißender. Man vergleiche nur das viel positivere Kaiserbild von Franz Joseph in Österreich-Ungarn, der doch viel stärkere innen- und außenpolitische Probleme hatte. Nach 1918 und seiner Flucht ins Exil überwog die Verachtung, man warf ihm Feigheit vor: Warum ist er nicht an der Spitze seines Heeres kämpfend gefallen? Monarchisten erhofften 1933 mit Hitlers Machtantritt seine Rückkehr. Da Hitler nichts dergleichen im Sinne hatte, wurde Wilhelm II. in seinen letzten zehn Lebensjahren immer stärker vergessen, sein Tod blieb überwiegend unbetrauert. Sein öffentliches Ansehen hat sich seither kaum erholt. Außerhalb Deutschlands war sein Ansehen eher schlechter als in Deutschland. Während des Ersten Weltkrieges war Wilhelm II. oft die symbolische Zielfigur der feindlichen Propaganda. Familie Stammbaum Söhne und Töchter Friedrich Wilhelm Victor August Ernst (1882-1951) ∞ 1905 Herzogin Cecilie zu Mecklenburg-Schwerin (1886-1954) Wilhelm Eitel Friedrich Christian Karl (1883–1942) ∞ 1906-1926 Herzogin Sophie Charlotte von Oldenburg (1879-1964) Adalbert Ferdinand Berengar (1884–1948) ∞ 1914 Prinzessin Adelheid von Sachsen-Meiningen (1891-1971) August Wilhelm (1887–1949) ∞ 1908-1920 Prinzessin Alexandra von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg (1887-1957) Oskar Karl Gustav Adolf (1888–1958) ∞ 1914 Gräfin Ina Maria von Bassewitz (1888-1973) Joachim Franz Humbert (1890–1920, Selbstmord) ∞ 1916 Prinzessin Marie Auguste von Anhalt (1898-1983) Victoria Luise Adelheid Mathilde Charlotte (1892–1980) ∞ 1913 Herzog Ernst August von Braunschweig-Lüneburg (1887-1953) Titel und Ränge Titular Akademische Titel (alphabetisch nach Hochschulen) Dr. iur. utr. h.c. der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin Dr.-Ing. E.h. der Polytechnischen Hochschule in Berlin Ehrendoktor der Wissenschaften der Universität Klausenburg Dr. of Civil Law der Universität Oxford Ehrendoktor der Rechte der Universität von Pennsylvania Ehrendoktor der Medizin der Karls-Universität Prag Militärische Laufbahn 27. Januar 1869: Leutnant im 1. Garderegiment zu Fuß und à la suite des 1. Batl. (Berlin) des 2. Garde-Landwehr-Regiments. 22. März 1876: Oberleutnant 22. März 1880: Hauptmann 16. Oktober 1881: Major 16. September 1885: Oberst und Kommandeur des Garde-Husaren-Regiments 27. Januar 1888: Generalmajor und Kommandeur der 2. Garde-Infanterie-Brigade 15. Juni 1888: Oberster Kriegsherr des deutschen Heeres und Chef der Marine, Chef des 1. Garde-Regiments zu Fuß, des Regiments der Garde du Corps, des Leib-Garde-Husaren-Regiments 13. September 1889: Chef des Königs-Ulanen-Regiment (1. hannoversches) Nr. 13 Chefstellen und andere Ehrenränge Hier geht es um den Rang des Chefs (in Bayern: Inhaber) von Truppenteilen, dessen Namen diese dann auch oftmals trugen (das militärische Kommando liegt nicht beim „Chef“, sondern bei dem jeweiligen „Kommandeur“). Die Generals- und Admirals-Titel sind ebenfalls als Ehrenränge zu verstehen. Deutschland Chef des 1.Garde-Regiments zu Fuß Regiments der Gardes du Corps Leib-Garde-Husaren-Regiments Königs-Ulanen-Regiments (1. Hannoversches) Nr. 13 Königs-Infanterie-Regiments (6. Lothringisches) Nr. 145 Grenadier-Regiments König Friedrich Wilhelm I. (2. Ostpreußisches) Nr. 3 Regiments Königs-Jäger zu Pferde Nr. 1 Leib-Kürassier-Regiments Großer Kurfürst (Schlesisches) Nr. 1 1. Leib-Husaren-Regiments Nr. 1 2. Leib-Husaren-Regiments Königin Viktoria von Preußen Nr. 2 Leib-Grenadier-Regiments Friedrich Wilhelm III. (1. Brandenburgisches) Nr. 8 2. Badischen Grenadier-Regiments Kaiser Wilhelm I. Nr. 110 Infanterie-Regiments Kaiser Wilhelm (2. Großherzoglich Hessisches) Nr. 116 Königlich Sächsischen 2. Grenadier-Regiments Kaiser Wilhelm Nr. 101 Königlich Württembergischen Infanterie-Regiments Nr. 120 Königlich Württembergischen Dragoner-Regiments Königin Olga (1. Württembergisches) Nr. 25 Inhaber des 1. Königlich Bayerisches Ulanen-Regiment „Kaiser Wilhelm II., König von Preußen“ Königlich Bayerischen 6. Infanterie-Regiments Kaiser Wilhelm, König von Preußen Ausland Inhaber des K.u.k. Infanterie-Regiments Nr. 34 (Österreich-Ungarn) K.u.k. Husaren-Regiments Nr. 7 (Österreich-Ungarn) Chef des Kaiserlich Russischen St. Petersburger Leib-Garde-Grenadier-Regiments 'König Friedrich Wilhelm III.' 85. Infanterie-Regiments „Wyborg“, (Russland) 13. Husaren-Regiments „Narva“ (Russland) Königlich Großbritannischen 1. Dragoner-Regiments Ehrenoberst des Königlich Portugiesischen 4. Reiter-Regiments Königlich Spanischen Dragoner-Regiments „Numancia“ Kaiserlich Osmanischer Feldmarschall Feldmarschall der Kaiserlich-Königlichen Armee Österreich-Ungarns Königlich Großbritannischer Feldmarschall Königlich Großbritannischer Ehrenadmiral der Flotte Königlich schwedischer Flaggenadmiral Königlich norwegischer Ehrenadmiral Königlich dänischer Ehrenadmiral Admiral der Kaiserlich russischen Flotte Ehrenadmiral der Kgl. griechischen Flotte Sonstige (nichtmilitärische) Ränge und Orden Auswahl Neuntes Oberhaupt und neunter Souverän und Meister des Hohen Ordens vom Schwarzen Adler Protektor des Johanniterordens Ritter des Hosenbandordens (Vereinigtes Königreich) Ritter des St.Andreasordens (Russland) Ritter des Annunciaten-Ordens (Italien) Ritter des Elefanten-Ordens (Dänemark) Ritter des St.-Hubertus-Ordens Ritter des Seraphinenordens (Schweden) Ritter des Löwen-Ordens (Norwegen) Ritter des Ordens vom Goldenen Vlies (Spanien) Ehrenbailli und Großkreuz des Souveränen Malteserordens Imperator (lateinisch für „Befehlshaber, Gebieter“) bezeichnete in der Römischen Republik ursprünglich den Träger einer militärischen Gewalt (imperium). Ab dem späten 3. Jahrhundert v. Chr. (Scipio Africanus) aber wurde die Bezeichnung zunehmend speziell für einen militärischen Kommandeur verwendet, den seine Soldaten nach einem Sieg zum Imperator ausgerufen hatten (Akklamation). Dieser Ehrentitel erlosch, wenn der Imperator nach Rom zurückkehrte und das Pomerium überschritt. Im Regelfall geschah dies in einem feierlichen Triumphzug, zu dem der Imperatorentitel berechtigte. Viele römische Feldherren bezeichneten sich in ihren Provinzen aber als Imperatoren, ohne dazu ausgerufen worden zu sein. Octavian, der spätere Augustus, nahm etwa 39/38 v. Chr. Imperator statt seines ursprünglichen Namens Gaius als Vornamen an (praenomen imperatoris). Die nachfolgenden Kaiser verzichteten anfangs darauf, aber ab Nero wurde Imperator wieder fester Beginn der kaiserlichen Titulatur, in der Regel abgekürzt zu Imp. und direkt gefolgt vom Titel Caesar, dann den individuellen Namensbestandteilen und dem Titel Augustus (Beispiel: Imp. Caesar M. Aurelius Commodus Antoninus Augustus). Bei einem militärischen Erfolg ihrer Legionen erhielten die Kaiser, auch wenn sie persönlich nicht beteiligt waren, weiterhin die imperatorische Akklamation, die mit ihrer Zählung ebenfalls in der Titulatur erschien (imp. III, also zum dritten Mal). Bis ans Ende der Spätantike blieb Imperator Teil der kaiserlichen Titulatur; so nannte sich noch Justinian I. Imperator Caesar Flavius Iustinianus Augustus. Erst unter Herakleios ließ man um 625 den Titel Imperator (gr. Autokrator) fallen. Aus dem Titel Imperator entstand in vielen Sprachen, beispielsweise im Englischen (emperor) und Französischen (empereur), der Begriff für einen Kaiser. Palästinareise Kaiser Wilhelms II. Die Palästinareise des Deutschen Kaisers Wilhelm II. dauerte vom 11. Oktober bis 26. November 1898, Höhepunkt war die Einweihung der deutschen Erlöserkirche. Im Rahmen seiner Fahrt nach Palästina wurden unter anderem die damals noch zum Osmanischen Reich gehörenden Städte Konstantinopel, Haifa, Jaffa, Jerusalem und Beirut besucht. Der Kaiser stützte die Macht des Sultans im labilen Osmanischen Reich seit der Balkankrise, bemühte sich um eine politische Stärkung des Christentums, vor allem der evangelischen Kirche und ermutigte die deutschen christlichen und jüdischen Siedler, ohne sich politisch für sie einsetzen zu wollen. Historischer Kontext Am Ende des 19. Jahrhunderts, als Wilhelm II. die Kaiserwürde übernahm, befand sich das Deutsche Reich im Umbruch. Es vollzog einen Wandel vom Agrar- zum Industriestaat. Dieser ökonomische Strukturwandel brachte soziale Veränderungen mit sich. So verdrängten beispielsweise die neuen Großunternehmer den alten Mittelstand mit seinen kleinen Einzelhandelsgeschäften und gewannen durch ihre große Finanzkraft an politischer Relevanz. Ein weiteres Indiz für den Wandel ist der Anstieg der Erwerbstätigkeit in der Industrie. Die Zahl der Industriearbeiter stieg auf das Niveau der Arbeiterzahl in der Land- und Forstwirtschaft. In dieser Zeit avancierte das Deutsche Reich zu einer der drei großen Industrienationen (neben den USA und Großbritannien), was ein Bevölkerungswachstum nach sich zog, das wiederum die Urbanisierung förderte und die Zahl der Großstädte wachsen ließ (von 1871 bis 1910 um 58 Prozent). Die unter anderem dadurch ausgelösten sozialen Gegensätze, besonders zwischen der Arbeiterschaft und dem Bürgertum, vermochte der Staat nicht ausreichend zu balancieren und orientierte sich, um die innenpolitischen Spannungen zu kompensieren, nach außen (Imperialismus). Nicht zu unterschätzen für den wirtschaftlichen Aufstieg des Deutschen Reiches ist der zu dieser Zeit stattfindende Ausbau des Verkehrswesens und in diesem Zusammenhang vor allem die Erweiterung des staatlichen Eisenbahnnetzes. Damals wurde der wirtschaftliche Aufschwung vom Export getragen. 1891 erreichte der Export von Gütern den Wert von 7,3 Mrd. Goldmark und stieg bis 1911 auf 17,8 Mrd. Mark. Es könnte vom Betrachter angenommen werden, dass die damaligen Kolonien dabei eine Rolle spielten, doch lagen die überseeischen Absatzmärkte vor allem in angelsächsischen Gebieten. 1914 lebten in Palästina 5000 (europäische) Christen wovon die Hälfte aus Deutschland stammte. Die deutschen Siedler waren aus religiösen oder national-jüdischen Motiven dort hingezogen und standen unter dem Protektorat des Deutschen Reiches. Neben den aus Europa eingewanderten Christen bestand unter den Pälästinensern eine lange christliche Tradition, noch 1848 waren 80 % der Einwohner Bethlehems Christen. Vorgeschichte In der Geschichte der Hohenzollern war es nicht das erste Mal, dass ein Mitglied der Familie sich nach Palästina begab. Aus religiösen Motiven interessierte sich bereits König Friedrich Wilhelm IV. (1795-1861) für das Heilige Land und gründete dort 1841 ein protestantisches Bistum, das ungewollt zu Rivalitäten der ansässigen Religionen führte. Kronprinz Friedrich Wilhelm (1831-1888) bereiste 1869 Jerusalem zur Eröffnungsfeier des Sueskanals. Kaiser Wilhelm I. ließ für den Bau einer Kirche in Jerusalem Gelder sammeln. 1889 bestätigt Kaiser Wilhelm II. die Gründung des deutschen Jerusalem-Stifts. Der Zweck dieser Stiftung war der Erhalt sowie die Schaffung evangelisch kirchlicher Einrichtungen und Anstalten in Jerusalem. Die Tatsache der deutschen Besiedlung und die traditionelle Beziehung der Hohenzollern zum Heiligen Land wird den Ausschlag zu seiner Reise gegeben haben. Das erklärte Ziel war die Einweihung der Erlöserkirche in Jerusalem. Auch wollte er als Pilger ins Heilige Land reisen wie einst sein Vater und dem Wunsch seines von ihm sehr verehrten Großvaters nachkommen, eine evangelische Kirche in Jerusalem einzurichten. Anlässlich der Reise wurde von türkischer Seite erwogen, einen Teil der Stadtmauer Jerusalems abzureißen, da man mit einem erhöhten Verkehrsaufkommen rechnete, wozu der Kaiser sagte: „Das soll inhibiert werden; ich hoffe nicht, daß eine solche Barbarei wirklich gemacht wird“ (zit. nach Carmel, Alex/Eisler, Ejal-Jakob, 1999, S. 51) Die Mauer wurde für seinen Einmarsch durchbrochen. Allgemein wurde behauptet, der Kaiser habe den Abriss angeordnet. Politische Relevanz erhielt die Palästinareise durch den Besuch des Kaisers beim „Roten Sultan“ Abdülhamid II. (so genannt wegen des Massakers an den Armeniern in Konstantinopel), um die guten Beziehungen der beiden Länder zu bestätigen. Die französische Presse behauptete, der Kaiser wolle mit seinem Protektorat die französische Tradition des Schutzes der Katholiken sowie deren Institutionen im Orient ohne Unterscheidung der Nationalitäten beseitigen. Die damalige Unterstellung der Entente-Mächte, der Kaiser habe die Absicht verfolgt, sich Palästina anzueignen, ist deshalb wohl gegenstandslos, weil Berlin später auf Palästina zugunsten Frankreichs verzichtete. Am 17. Oktober 1898 behauptete die Zeitung Le Matin, dass der Kaiser in Haifa eine Flottenbasis errichten wolle und dies der hauptsächliche Zweck der Reise sei. Doch wie Bemerkungen des Kaisers zu entnehmen ist, wusste dieser erst kurze Zeit vor seiner Ankunft, wo Haifa überhaupt lag. „Haifa, wo ist denn das?“ (zit. nach ebd. S. 58) Ursprünglich sollte der Kaiser nämlich in Jaffa anlegen, doch aufgrund der fortgeschrittenen Jahreszeit wurde empfohlen, in Haifa zu landen, womit der Kaiser auch einverstanden war. Hintergrund dieser Empfehlung ist die Einschiffung von Kaiser Franz Joseph anlässlich seiner Nahostreise von 1869, bei der das Schiff fast gekentert wäre. Verlauf Bereits im Frühjahr wurde die Reise des Kaiserpaares vorbereitet. Unter anderem reiste eine Delegation nach Palästina, um die geplante Route zu kontrollieren. Am 11. Oktober begann die Reise. Kaiser und Kaiserin mit Gefolge machten sich zunächst auf den Weg nach Konstantinopel. Viele Pilger sowie zweihundert offizielle Gäste schlossen sich ihnen an. Während das offizielle Gefolge zusammen mit dem Kaiserpaar den Weg über Konstantinopel nahmen, reisten die Pilger direkt nach Palästina. Begrüßungen Der Empfang, der dem Kaiser und der Kaiserin in Konstantinopel, Palästina sowie Syrien bereitet wurde, war von einer sehr positiven Haltung geprägt. Nach einem kurzen Aufenthalt in Konstantinopel reisten sie mit dem Gefolge weiter nach Palästina. Am 25. Oktober kamen sie mit der Jacht Hohenzollern in Haifa an. Es war das erste Mal seit 670 Jahren, dass ein Kaiser deutscher Nation das Heilige Land betrat. Der Staufer Friedrich II. (1194-1250), der einen Kreuzzug ins Heilige Land unternommen hatte, war der Letzte, der 1228 in Akko landete. Vom Berg Karmel schaute Wilhelm II. samt seinem Gefolge auf Haifa mit seiner dort ansässigen deutschen Kolonie hinab. An dieser Stelle wurde später ein Kaiser-Wilhelm-Denkmal erbaut und der Platz davor Kaiser-Wilhelm-Platz genannt. Englische Soldaten demontierten 1918 das Denkmal, jedoch wurde es 1982 im Beisein von Prinz Louis Ferdinand von Preußen wieder errichtet. Am 26. Oktober traf der Kaiser feierlich im deutschen Konsulat ein. Das Oberhaupt der deutschen Kolonie, der Lehrer Friedrich Lange (1840-1923), und der Vizekonsul Fritz Keller (1833-1913) begrüßten ihn und die Kaiserin im Namen der Templer. Lange drückte seinen Dank dafür aus, dass die Kolonie unter dem deutschen Protektorat stehe und finanzielle Unterstützung erhielt, und sprach die Hoffnung aus, auch in Zukunft unterstützt zu werden, was der Kaiser freudig bejahte. Als Vertreter der in Tabgha am Tiberias-See ansässigen Katholiken und Protestanten sprach der Pastor Herman Baumeister (1867-1898) ein paar Worte. Daraufhin gab der Kaiser dem Pastor zu verstehen, dass er den „Katholischen Unterthanen“ überall Schutz gewähre (zit. nach ebd. S. 72). Im Anschluss an die Begrüßungsfeier im Garten des deutschen Konsulats besuchte man das katholische Hospiz der barmherzigen Schwestern vom heiligen Borromäus sowie die evangelische Schule, die sich ebenfalls in Haifa befand. Nach den Besuchen in Haifa, ging die Reise weiter nach Jaffa. Unterwegs wurden Atlit und Tantura besichtigt, und man übernachtete kurz vor Caesarea Maritima in einem Zeltlager bei Burdsch-el-Khail (heute Burdsch Binjamina). Am Morgen des 27. Oktobers wurde die Reise fortgesetzt. Der zur Tempelgesellschaft gehörige Georg Sus (1853-1932) führte den kaiserlichen Hofzug auf der neu errichteten Straße nach Jaffa. Der Kaiser passierte Kakun und Kafr Saba (das heutige Kfar Saba) sowie die landwirtschaftliche Templerkolonie Sarona, die nördlich von Jaffa lag, im heutigen Regierungsviertel von Tel-Aviv. In Sarona wurde der Kaiser herzlich empfangen. Der deutsche Konsul in Jaffa Edmund Schmidt (1855-1916) empfing den Kaiser und begrüßte ihn freundlich im Auftrag der gesamten Kolonie. Der Kaiser wies auf die Hoffnung hin, dass seine freundschaftliche Politik gegenüber dem Osmanischen Reich dazu dienen werde, dass die deutschen Kolonien (ehemals vier an der Zahl) sich in der dortigen Region gut entwickeln könnten. Von der Kolonie in Sarona ging die Reise weiter nach Jaffa, wo die Reisenden im deutschen Hotel du Parc gastierten. Vier Kolonialisten (mit Christian Hoffmann II. als Anführer), je einer aus jeder Kolonie, besuchten am nächste Tag den Kaiser. Man überbrachte ein Memorandum, in dem die Ansiedlung der Templer in Palästina beschrieben wurde, sowie ein mit Zeichnungen versehenes Album des deutschen Orientmalers Gustav Bauernfeind (1848-1904). Der Kaiser drückte den Kolonialisten gegenüber seinen Wunsch aus, sie sollten „zum Wohle der Bewohner dieses Landes mit Ausdauer und Erfolg mit ihrer wichtigen Aufgabe fortfahren“ (zit. nach ebd. S. 81). Nun verließ der kaiserliche Hofzug Jaffa in Richtung Jerusalem. Auf dem Weg, bei der jüdischen Ackerbauschule Mikwe-Israel, traf der Kaiser mit Theodor Herzl zusammen. Über die Zukunft der Juden in Palästina sagte er zu diesem Zeitpunkt noch nichts. Strafpredigt vor Geistlichen Der Kaiser reiste nun zu Pferd und gelangte über Ramle und Latrun nach Bab el-Wad. Am Morgen des 29. Oktobers verlief die Reiseroute über Abu-Ghosh nach Jerusalem. Das Kaiserpaar ritt auf Schimmeln in weißen Sonnenmänteln dem Tross vorweg in die Stadt ein. Der Aufenthalt in Jerusalem dauerte eine Woche. Dass der Kaiser über die Stadt enttäuscht war, wurde aus einer Rede deutlich, die er in Betlehem auf einer Terrasse vor der 1883 eingeweihten evangelischen Weihnachtskirche hielt. Das Publikum der Rede bestand aus christlichen Geistlichen aus Palästina, Kleinasien und Ägypten. Der Kaiser kritisierte die Verstimmungen, die zwischen den Christen herrschten und so weit führten, dass türkische Soldaten sogar in den Kirchen intervenieren müssten, um Ausschreitungen zwischen den Christen zu verhindern. Des Weiteren bemängelte er die Uneinigkeit der Protestanten. Dies sei ein schlechtes Auftreten vor der moslemischen Bevölkerung und gebe ein unwürdiges Bild des Christentums wieder. Die Absicht Deutschlands müsse darin liegen, den Mohammedanern zu zeigen, wie die christliche Religion und Liebe sei. Dies solle durch Erziehungs- und Wohlfahrtseinrichtungen sowie durch die Kultur des Christentums bewirkt werden und nicht durch erlahmende Reden. Der verarmten regionalen Bevölkerung fehle es an diesen genannten Dingen, und darüber führe der Weg, „ihre Achtung und Liebe zum Christentum zu wecken“ (zit. nach ebd. S.120). Rhetorische Ermutigung der Templer Als er aus Betlehem wieder nach Jerusalem zurückkehrte, ging der Kaiser zur dortigen Templerkolonie und fand für sie bestärkendere Worte als zuvor für die geistliche Hörerschaft vor der Weihnachtskirche in Betlehem. Er sagte, dass es ihn freue, daß Ihr verstanden habt, durch euer persönliches Leben Eueren Nachbarn ein gutes Beispiel zu geben, und daß Ihr gezeigt habt, wie man es machen muß, um in diesen Ländern den deutschen Namen Achtung zu verschaffen. Ihr habt… Euch einen guten Ruf erworben hier und auch im Auslande und habt gezeigt, wie man es angreifen muß, öde Felder wieder fruchtbar zu machen… Ich hoffe, daß, wie augenblicklich, so auch in Zukunft die freundschaftlichen Beziehungen zum osmanischen Reiche, und insbesondere die Freundschaft zu Seiner Majestät dem Sultan und Mir, dazu dienen werden, Eure Aufgaben zu erleichtern. Wenn irgendeiner von Euch Meines Schutzes bedarf, so bin Ich da… und erfreulicher Weise ist das Deutsche Reich ja imstande, seinen Angehörigen im Auslande nachhaltigen Schutz zu gewähren. (zit. nach ebd. S.120) Diese positiven Worte des Kaisers zeigen, dass er großes Interesse am guten Gedeihen der Kolonien in Palästina hatte. Die Anrede der Siedler in der zweiten Person erweckt den Eindruck der besonderen Nähe. Auch lobt er ihre Arbeit, weil „…Ihr gezeigt habt, wie man es machen muß, um in diesen Ländern den deutschen Namen Achtung zu verschaffen“ (zit. nach ebd. S. 120). Dieser Satz könnte eine Anspielung auf die zuvor gehaltene Rede in Betlehem sein. Freudig gestärkt durch des Kaisers Worte wurde am darauffolgenden Tage die Nachtruhe durch den Gesang deutscher Siedler gestört. Sie sangen die deutsche Nationalhymne. Doch Robert Bosse (preußischer Kultusminister sowie Mitglied des kaiserlichen Gefolges) meinte, man solle den Siedlern nicht zu viele Hoffnungen machen. Bosse war es bewusst, dass Wilhelm II. keine „konkrete Schritte“ (zit. nach ebd. S.120) einleiten würde, die die Beziehungen zum Sultan Abdülhamid II. gefährdeten, auch wenn der Kaiser versuchte, die Stellung der deutschen Siedler in Palästina zu stärken. Einweihung der Erlöserkirche Die Leitung des Baus der Erlöserkirche von 1893-1898 hatte Paul Roth (1859-1955) inne. Der Wunsch des Kaisers war es, dass eine Urkunde zusammen mit drei Fünfmarkstücken, die Bildnisse vom Kaiser Wilhelm I., Friedrich III. und Wilhelm II. zeigten, sowie den 95 Thesen Luthers in ein kupfernes Kästchen gelegt und mit einer Steinplatte verschlossen werden sollten. Das Gebiet, auf dem die Kirche errichtet wurde, hatte der Kaiser dem katholischen „Deutschen Verein vom Heiligen Lande“ übergeben, der selbst schon längere Zeit versucht hatte, es zu kaufen. Doch war das Terrain auch den Moslems heilig, und so bemühte sich der Verein vergeblich. Erst als der Kaiser persönlich intervenierte, kaufte der Sultan selbst das Gebiet für 100.000 Mark, die Wilhelm II. aufbrachte. Am 31. Oktober geschah als Hauptziel der Reise die Einweihung der Erlöserkirche vor Besuchern aus der ganzen Welt. Die Besuche, die der Kaiser im Jordanland geplant hatte, sagte er aufgrund der Hitze sowie der staubigen Straßen ab; außerdem auch wegen Nachrichten, die ihn aus Berlin erreichten, wie es in der öffentlichen Bekanntmachung hieß. In seinen letzten Tagen in Jerusalem traf er die wichtigsten Vertreter aller dort ansässigen Religionen wie auch der staatlichen Einrichtungen. Des Weiteren besuchte er Pastor Johann Ludwig Schnellers Syrisches Waisenhaus, die Kaiserswerther Mädchenschule „Talitha Kumi“ sowie das deutsche Diakonissen-Krankenhaus und die katholische Hospiz. Absage an den Zionismus Eine zionistische Gesandtschaft traf am 2. November unter der Leitung Theodor Herzls im Zeltlager des Kaisers ein. Wilhelm II. teilte ihnen mit, dass alle diejenigen Bestrebungen auf sein wohlwollendes Interesse zählen könnten, welche auf eine Hebung der Landwirtschaft in Palästina zur Förderung der Wohlfahrt des türkischen Reiches unter voller Beachtung der Landeshoheit des Sultans abzielten. Theodor Herzl muss sehr enttäuscht über die klare Ablehnung des Kaisers gewesen sein, wenn er gehofft hatte, mit dessen Hilfe den Weg zum Judenstaat in Palästina bahnen zu können. Sogar der Onkel des Kaisers, Friedrich I. von Baden, hatte Herzl telegrafisch zum Erfolg beglückwünscht. Die letzte Zeile, in der Wilhelm II. die Landeshoheit des Sultans herausstellt, dürften die Hoffnungen Theodor Herzls samt seiner Begleiter auf deutsche Unterstützung begraben haben. Dem Kaiser waren die guten Beziehungen zum türkischen Sultan also wichtiger als die deutschen Siedler und möglicherweise die Hoffnung, die linksorientierten Juden in Deutschland loszuwerden. Mochte der Kaiser anfangs mit dem Gedanken gespielt haben, in Palästina den Zionisten zu helfen, hat er ihn während der Orientfahrt wieder abgelegt, vielleicht beim Besuch des Sultans. Theatralische Rückkehr Ein Abschiedsgottesdienst für den Kaiser fand am 3. November in der Erlöserkirche statt. Mit der Eisenbahn gelangte der Hof am nächsten Tag zurück nach Jaffa, wo es mit dem Schiff weiter nach Beirut ging. Im Libanon und in Syrien schaute sich der Kaiser geschichtsträchtige Orte an und kehrte schließlich am 26. November nach Berlin zurück. Doch noch politisch wurde es allerdings bei der triumphalen Heimkehr: Seine Schwester Charlotte konnte ihren Augen und Ohren nicht trauen, als sie von seiner Absicht erfuhr, festlich in Berlin Einzug zu halten, als hätte er einen Krieg gewonnen. (zit. nach Röhl, John C. G., 2001, S. 1059) Volkstümliche Werke, Kinderbücher sowie eine Prachtausgabe verbreiteten den Mythos der kaiserlichen Wallfahrt als wahr gewordenes Märchen. Auch in seiner darauffolgenden Rede versuchte er die Orientreise zu nutzen, indem er vor dem Brandenburgischen Provinziallandtag sein erhebendes Gefühl schilderte, welches ihn auf dem Ölberg ergriffen habe, wo der Erlöser den Kampf aller Kämpfe für die Menschheit focht. Schließlich merkte Wilhelm noch an, wie schön es doch in der deutschen Heimat sei und dass es die Aufgabe aller sein müsse, die Einheit zu bewahren. Deswegen wollen wir trachten, dass wir Germanen wenigstens zusammenhalten, wie ein fester Block. (zit. nach ebd., S. 1060) Fazit Der Geschäftsträger der Botschaft in Konstantinopel überprüfte die Ergebnisse der Reise. Kopien dieses Berichts wurden auf Anweisung des Kaisers an alle ausländischen Botschaften versandt, was Alex Carmel als Zustimmung des Kaisers auffasst. Als Begünstigte der Reise wurden die deutschen Siedler herausgestellt, die vor allem von den extra für den Besuch des Kaisers ausgebauten Straßen und Brücken etc. profitierten. Das Leitmotiv, das für die Reise angegeben wurde, war ihre Religiosität, und ihr größter Erfolg sei die Begeisterung für die Deutschen, die sie ausgelöst habe. Robert Bosse bemerkte, dass einige Mitreisende meinten, das Deutsche Reich werde nun auch in Palästina „festen Fuß fassen“. Allerdings zeigte die Reise, wie vorsichtig unser Kaiser in dieser Beziehung alles vermieden habe, was übertriebenen politischen Hoffnungen oder auch dem Misstrauen anderer Nationen zum Anhalt hätte dienen können. Die auswärtige Politik des Deutschen Reiches bewegt sich auch heute noch – Gott sei Dank – auf dem von den Fürsten Bismarck vorgezeichneten Bahnen. Sie ist namentlich in der orientalischen Frage ausgesprochene Friedenspolitik. (zit. nach Carmel, Alex/Eisler, Ejal-Jakob, 1999, S. 169) Deutsche Territorien oder Zentren zu gewinnen, wie in China, habe das Deutsche Reich in Palästina nicht vor, sondern erfreue sich über die friedliche Arbeit der dortigen deutschen Siedler. Man kann also sagen, das Verhältnis des Kaisers zu den deutschen Siedlern in Palästina war ihnen gegenüber wohlwollend, jedoch seine Unterstützung war in Anbetracht der Beziehungen zum Osmanischen Reich nicht uneingeschränkt. Die Hoffnung der Templer, dass der Kaiser sich vor allem politisch für die Kolonien einsetze, wurde also nicht erfüllt. Die Träume der deutschen Kolonialisten in Palästina zerplatzten wohl endgültig, als ihnen der Kaiser im Fall Fritz Unger (1876-1910) nicht zur Hilfe eilte, obwohl er ihnen auf seiner Orientreise mehrmals seinen Schutz zugesichert hatte. Der Siedler Unger wurde von wütenden Arabern in Anwesenheit des deutschen Vizekonsuls und Vertreter türkischer Behörden erschlagen, da in der vorherigen Nacht ein Dieb, der aus ihren Dorf stammte, im Weinberg erschossen worden war. Das politische Interesse des Deutschen Reiches an Palästina erlahmte, als den Franzosen offiziell das Heilige Land überlassen wurde, weil die deutsche Hauptstadt die Zone entlang der Bagdadbahn beanspruchte, als Deutschland, Frankreich, England und Russland die asiatische Türkei in Interessensphären einteilten. Mit Ausnahme des Besuches bei Sultans Abdülhamid II. war die Reise eher unpolitisch und hatte den Charakter einer Pilgerfahrt im Geiste der Ahnen. Ein Interesse hatte der Kaiser gewiss auch an den deutschen Siedlungen, zumindest in kultureller Hinsicht, weniger in politischer. Wie der gesamte Verlauf zeigt, überwogen die religiösen Motive. Im Herbst des Jahres 1898 reiste Wilhelm der Zweite in den Orient. Er wolle - wie offiziell verlautbart wurde - als frommer Pilger das Heilige Land besuchen und bei der Einweihung der Jerusalemer Erlöserkirche anwesend sein. Doch die kaiserliche Morgenlandreise war mehr als eine fromme Pilgerfahrt.Beim Sultan setzte sich Wilhelm der Zweite für den Bau der Bagdadbahn ein, als "Weltpolitiker" erwartete er die Ausweitung des deutschen Einflusses bis an den Persischen Golf. Als Kaiser des paritätischen Deutschen Reiches schenkte er dem katholischen "Verein vom Heiligen Lande" die "Dormition". Seine katholischen Untertanen wollte er für sich und seine Politik gewinnen. Als zeitweilig enthusiastischer Befürworter der zionistischen Idee hatte Wilhelm der Zweite vor seinem Aufbruch in den Orient Theodor Herzl versprochen, die Einwanderung der Juden nach Palästina unter seinen Schutz zu stellen.Die deutsche Türkeipolitik fügte dem deutsch-russischen Verhältnis irreparablen Schaden zu und belastete die deutsch-französischen Beziehungen. Staatsführung und Öffentlichkeit in Deutschland erkannten nicht, dass zu Erhalt und Sicherung des Deutschen Reiches in der Mitte Europas keine "Weltpolitik", sondern eine vorsichtige und weltgewandte Politik notwendig war.Die Orientreise des deutschen Kaisers Wilhelm II. im Herbst 1898, dem der Volksmund seiner Zeit nicht zuletzt aus diesem Grunde den Beinamen Reisekaiser gegeben hatte, besaß eine weit über den proklamierten Anlass hinausgehende Bedeutung. Die relativ lange Auslandreise sollte eine kaiserliche Pilgerfahrt vornehmlich nach Palästina, ins Heilige Land der Juden, Christen und Moslime sein. Die Stadt Jerusalem, wo der Tempel von König Salomon gestanden hatte, wo Jesus von Nazareth gekreuzigt worden war, wo sich der Felsendom zur Verehrung Allahs befindet, war das Hauptreiseziel. Dort sollte die evangelische Erlöserkirche feierlich eingeweiht werden. Das Londoner Reisebüro Thomas Cook & Sohn hatten das Ereignis mit organisiert. Anlässlich der Einweihung des christlichen Monuments unweit der jüdischen Klagemauer demonstrierte der damals 39jährige deutsche Monarch, stets militärisch exakt gekleidet und preußisch-trocken auftretend, sein kirchenpolitisch bemerkenswertes Anliegen sowie den Anspruch auf weltpolitische Anerkennung des. Deutschen Reiches. Er machte mehr als einmal deutlich, dass Deutschland sich zukünftig intensiver als bisher im Vorderen Orient zu engagieren gedächte. Die Reise von Wilhelm II. rief vor allem aus diesem Grunde ein sehr differenziertes Echo in der zeitgenössischen öffentlichen Meinung hervor. Die weltpolitischen Konkurrenten in Großbritannien und Frankreich reagierten selbstverständlich anders als Presse und Wirtschaft in Deutschland.