Im Kapitelsaale (Hoffest anläßlich des 25jährigen Regierungsjubiläums des deutschen Kaisers im Berliner Schloß).
Originale, großformatige Farb-Offsetlithographie von 1913.
Nach dem Originalgemälde von Georg Schöbel.
In der Platte signiert.
Abgebildet und benannt sind von links nach rechts:
Osmany-Bey, türkischer Gesandter, Freiherr von Levetzow, russischer Botschafter, Admiral Alfred von Tirpitz, Kronprinz Wilhelm, Generalstabschef Helmuth von Moltke, Frau Eliza von Moltke-Huitfeldt, Generalin Katharina von Unger, Hofmarschall von Lyncker, Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg, Oberhofmarschall August Graf zu Eulenburg, Österreichischer Gesandter Ladislaus von Szögyény-Marich, Kammerherr des Kaisers Hans-Karl von Winterfeldt, österreichischer Militärattaché Wilhelm von Bienerth.
Größe 239 x 349 mm.
Auf der Rückseite:
Fünfundzwanzig Jahre Familienchronik, 1888 bis 1913.
Text von Georg Schuster.
Mit fünf Fotoabbildungen:
Wilhelm II. in jugendlichem Alter.
Der junge Wilhelm in Husarenuniform.
Kaiser Wilhelm I. mit dem Prinzen Friedrich Wilhelm, dem jetzigen Kronprinzen, auf dem Arm, der spätere Kaiser Friedrich III. und Prinz Wilhelm von Preußen, jetzt Kaiser Wilhelm II.
Der Kaiser und die Kaiserin mit ihren sechs Söhnen und der Prinzessin Viktoria Luise in kindlichem Alter.
Kaiser Friedrich III., als Kronprinz mit seinen Söhnen Prinz Friedrich Wilhelm und Prinz Heinrich.
Mit minimalen Alterungs- und Gebrauchsspuren, sonst sehr guter Zustand.
Hervorragende Bildqualität auf Kunstdruckpapier – extrem selten!!!
100%-Echtheitsgarantie – kein Repro, kein Nachdruck!!!
Besichtigung jederzeit möglich.
100% guarantee of authenticity - not a reproduction, not a reprint!
Visit any time.
Bitte warten, hier kommt gleich ein großes Bild!!!
"
"
"
Aus großem Bildarchiv, weitere Angebote in meinem ebay-shop!
Out of a large archiv, more offers in my ebay shop!
Das Angebot wird als Sammlerstück verkauft - Urheberrechte sind im Kauf ausdrücklich NICHT enthalten!!!
This offer is sold as a collector's item only and no copyrights are being sold here.
Weitere historische Originale finden Sie in meinem ebay-shop!!!
For more original historical prints please take a look in my ebay-shop!!!
Versand ausschließlich per Einschreiben.
Zu Rückgabe und AGB bitte mich-Seite beachten. Die dort hinterlegten Informationen sind verbindlicher Bestandteil dieses Angebots/dieser Artikelbeschreibung!
1913, 20. Jahrhundert, Abzeichenfarben, Adel, adlig, Akademische Kunst, Akademische Malerei, Altdeutschland, Altmeisterlichkeit, Aristocracy, aristocratic, Aristokratie, Armee, army, Ars gratia artis, art history, Attilafarbe, Belle Époque, Bildnis, Bildniskunst, cultural history, D-10178 Berlin, D-10245 Berlin, Dekorative Grafik, Dekorative Graphik, Der königlich preußische Marstall, Deutsche Geschichte, deutsche Volkskraft, Deutscher Kaiser und König von Preußen, Deutsches Kaiserreich, Deutsches Reich, Deutsches Volk, Deutschland, Dienst, Dienstzeit, Dynastie, Dynastien, Edelleute, Ehrenzeichen, Elite, Elitetruppe, Epauletten, Europäische Geschichte, Exzellenz, Fahne, Fahnen, Fahnenträger, Fahnentuch, Feldzeichen, Flagge, Flaggen, Flotte, Garde-Infanterieregimenter, Garde-Regimenter, Gemälde, Genealogie, General, Generalstab, Generalsuniform, Genre, genre painting, Genremalerei, German, German Empire, Germans, Germany, Gründerzeit, gute alte Zeit, Heer, Heeresdienst, Heeresleitung, Heereswesen, Heerführer, Heerwesen, Herrscher, Herrscherhaus, Herrscherhäuser, High Society, Historical, Historically, Historisch, Historische Bilder, History, Hochadel, hohe Militärs, Hohenzollern, Hoher Orden vom Schwarzen Adler, Imperial German Navy, Insignien des Hausordens der Hohenzollern, Kaiser Wilhelm II., Kaiserhaus, Kaiserkrone, Kaiserlich deutsches Marineoffizierkorps, Kaiserliche Marine, Kaiserreich, Kaiserzeit, Königlich Preußische Armee, Königreich Preussen, Königshäuser, Kontingentverband des Königreiches Preußen, Krone, Kultur, Kulturgeschichte, Kunst, Kunstgeschichte, Macht, Majestät, Militär, Militärgeschichte, Militaria, Militärmacht zur See, Militärmalerei, military, Monarch, Monarchie, nobels, nobility, Nostalgia, Nostalgie, Oberste Heeresleitung, Oberster Kriegsherr, Offizier, Offiziere, Ortsansichten, Ortsgeschichte, Ortskunde, Parade, Paradebänder, Paradebehänge, Paradeuniform , Patriotika, Patriotismus, Person, Persönlichkeiten, Portepee, Pour le merite, Preußen, Preussen, Preußenkorps, Preußisches Heer, Pro Gloria et Patria, Regent, Regentschaft, Regimentsfarben, Regimentsgeschichte, Reichsadler, Reichshauptstadt Berlin, Reichsinsignien, Royal, Royals, Säbel, Schloßgarde-Kompagnie, schwarz-weiß-rot, Staatsoberhaupt, Thron, Tradition, Truppe, Truppenformationen, Truppengattung, Uniform, Uniformkunde, Uniforms, Vaterland, Wilhelminische Ära, wilhelminische Epoche, wilhelminische Epoche, Wilhelminisches Kaiserreich, Wilhelminisches Zeitalter, Zeitgeschehen, Zeitgeschichte, Zweites Kaiserreich, Zweites Reich Carl Louis Albert Georg Schöbel (* 10. Oktober 1858 in Berlin; † 1. Dezember 1928 ebenda) war ein deutscher Illustrator und Historienmaler. Leben Schöbel stammte aus einer Kaufmannsfamilie. Nach Beendigung seiner Schulzeit erlernte er auf Wunsch seiner Eltern zunächst auch diesen Beruf. Ab 1884 begann er dann ein Studium an der Berliner Akademie der Künste. Schon nach kurzer Zeit verließ er die Akademie und eignete sich seine Kunstfertigkeit überwiegend autodidaktisch an. Er ließ sich dabei sehr von Paul Meyerheim (1842–1915) und Adolph Menzel (1815–1905) beeinflussen. Schöbel spezialisierte sich auf Szenen aus dem Leben Friedrichs des Großen, malte allerdings mit Beginn des Ersten Weltkriegs zahlreiche Gemälde mit patriotischen Darstellungen aus Kämpfen an der Westfront. Im Gegensatz dazu ist er auch als Illustrator von Kinderbüchern bekannt. 1904 erhielt er auf der Großen Berliner Kunstausstellung eine kleine Goldmedaille. Schöbel starb 1928 im Alter von 70 Jahren in seiner Berliner Wohnung. Er war seit 1918 mit Elsa Berta Dorothea geborene Schnoor (* 1881) verheiratet. Seine Schwester war die Schriftstellerin Agnes Schöbel (1867–1939). Auch heute finden sich zahlreiche seiner Bilder auf Auktionen und in Galerien. Werke: Abschied der Generäle am Totenbett Friedrichs II. am 17. August 1786 (Datum unbestimmt) Der billige Mann (1893) Erstürmung der 285 Argonnen 13. Juli 1915 (1915) Marktschreier (1893) Ausstellungen Internationale Berliner Kunstausstellung 1896 Große Berliner Kunstausstellung 1897 Kollektivausstellung von Dezember 1911 bis Januar 1912 im Bibliothekssaal des Berliner Generalstabsgebäudes Ausstellungen Internationale Berliner Kunstausstellung 1896 Große Berliner Kunstausstellung 1897, 1904 Kollektivausstellung von Dezember 1911 bis Januar 1912 im Bibliothekssaal des Berliner Generalstabsgebäudes. Alfred Peter Friedrich Tirpitz, ab 1900 von Tirpitz (* 19. März 1849 in Küstrin; † 6. März 1930 in Ebenhausen bei München) war ein deutscher Großadmiral und Nachfolger des Staatssekretärs des Reichsmarineamts Friedrich von Hollmann. Familie Er entstammte einer brandenburgischen Familie und war der Sohn des königlich preußischen Geheimen Justizrats Rudolf Tirpitz (1811–1905). Tirpitz heiratete am 18. November 1884 in Berlin Maria Auguste Lipke (* 11. Oktober 1860 in Schwetz, Westpreußen; † nach 1941 in Ebenhausen). Er wurde am 12. Juni 1900 in Homburg v.d.H. in den preußischen Adelsstand erhoben. Militärische Laufbahn 24. April 1865 Kadett 24. Juni 1866 Seekadett 24. Juni 1869 Eintritt in die Marine des Norddeutschen Bundes 22. September 1869 Unterleutnant zur See 25. Mai 1872 Leutnant zur See 18. November 1875 Kapitänleutnant 17. September 1881 Korvettenkapitän 24. November 1888 Kapitän zur See 13. Mai 1895 Konteradmiral 5. Dezember 1899 Vizeadmiral 14. November 1903 Admiral 27. Januar 1911 Großadmiral ab 15. März 1916 im Ruhestand Lebenswerk Großadmiral Alfred von Tirpitz gilt als Begründer der deutschen Hochseeflotte. Ziel war es, eine Flotte zu schaffen, die zwar die Stärke der britischen Flotte nicht erreichen konnte, doch für die Seemacht Großbritannien zumindest eine Risikodrohung im Falle eines Krieges gegen das Deutsche Reich darstellen sollte. So kam es zum Deutsch-Britischen Wettrüsten. Die so geschaffene Flotte wird auch gelegentlich als Risikoflotte bezeichnet, deren Existenz im Vorfeld des Ersten Weltkriegs von England immerhin als Bedrohung aufgefasst wurde. Meinungsverschiedenheiten mit Wilhelm II. über den Einsatz der Flotte im Krieg führten zum Ausscheiden des Großadmirals aus dem militärischen Dienst. Der „Tirpitz-Plan“ Gemeinsam mit der Berufung von Bernhard von Bülow zum Reichskanzler wurde Alfred von Tirpitz zum Staatssekretär des Reichsmarineamts ernannt, um als Entscheidungsträger im Bereich der deutschen Außenpolitik das Lieblingsprojekt Wilhelms II., den Ausbau der deutschen Hochseeflotte, verwirklichen zu helfen. In diesem Zusammenhang muss allerdings erwähnt werden, dass die Seerüstung keine spezifisch deutsche Angelegenheit war – zumal Großbritannien erst ab 1889 seine Flotte durch den Naval-Defence-Act massiv durch große Schiffe verstärkt und zugleich das Paradigma des Two-Power-Standard eingeführt hatte – sondern auf die Seemachtstheorie Alfred Thayer Mahans zurückging. Sein Werk „The Influence of Sea Power upon History“ hatte für alle großen und mittleren Seemächte zentrale Bedeutung und galt geradezu als Bibel jedes Flottenenthusiasten der damaligen Zeit. Der Historiker René Greger bemerkte dazu lapidar: Das Denken in Schlachtschiffen begann. Um dieses Projekt, für das Tirpitz 20 Jahre veranschlagt hatte, auf Dauer umsetzen zu können, setzte Bülow zunächst durchweg auf die Erhaltung des Friedens. Für den Flottenbau schien vorläufig Ruhe erforderlich. Denn es kam darauf an, eine weltpolitische Gefahrenzone möglichst ungestört zu durchqueren, bis Deutschland mit dem in aller Stille geschärften Schwert in der Hand hervortreten konnte. Bülow sorgte dafür, dass die Rahmenbedingungen geschaffen wurden, damit sich Tirpitz' Forderung nach erheblichem Ausbau der Flotte verwirklichen ließ. So gut es ging, suchte Tirpitz Deutschland aus allen weltpolitischen Konflikten herauszuhalten, bis die Schlachtflotte bereitstehen würde. Im Besitz der Flotte und im Bündnis mit Russland wollte er letztlich für das britische Imperium eine ernstzunehmende Bedrohung darstellen und die Möglichkeit haben, einen großen Teil des kolonialen Erbes der Engländer übernehmen zu können. Der Flottenbau sollte eine Art von Bündnisersatz sein und den Ausbruch aus der kontinentalen Enge fördern; es sollte gleichzeitig die Lösung für die propagandistisch oft als die großen Probleme der Zeit bezeichneten Phänomene des stetigen Bevölkerungswachstums und der Notwendigkeit der Schaffung neuer Märkte zur Ermöglichung einer stetig fortschreitenden Industrieexpansion bieten; darüber hinaus sollte es die bei vielen Kreisen im Lande vorherrschende und publizistisch oft vertretene Prestigesucht befriedigen. Es sollte die außenpolitische Unabhängigkeit sichern und zu weltpolitischer Größe verhelfen, die ihrerseits dann auch die innenpolitischen Verhältnisse dauerhaft konsolidieren würden. Tirpitz glaubte, dass sein Flottenbauplan auch den Effekt haben würde, durch eine erfolgreiche Außenpolitik eine Parlamentarisierung und Demokratisierung des preußisch-deutschen Konstitutionalismus zu verhindern. Dabei sollten Industrielle, Agrarier und Militärs auf der Grundlage gemeinsamer Interessen zur Basis für die Politik des Reiches werden. Die Sammlung dieser „staatserhaltenden Kräfte“ sollte vor allem gegen die Bedrohung durch die Sozialdemokratie gerichtet sein. Es galt, den Arbeiter für ein wirtschaftlich und außenpolitisch erfolgreiches Kaisertum zu gewinnen, indem man an seine nationalen Gefühle appellierte, wobei sich die Krone selbst letztlich als der entscheidende Integrationsfaktor verstand. Daher vollzog sich auch die gleichzeitig mit dem Flottenbau einsetzende Wandlung zum persönlichen Regiment des Kaisers mit seinen bonapartistischen Zügen nicht zufällig . Wilhelm II., der um die Jahrhundertwende noch glaubte, die Sozialdemokratie sei nur eine vorübergehende Erscheinung, wurde spätestens durch das Wahlergebnis von 1903 belehrt, dass diese Annahme falsch war und die Strukturkrise des Reiches keinerlei Besserung erfahren hatte. Es wurde deutlich, dass Flottenpolitik und Kaisertum nie die breite Machtbasis erringen konnten, die sie anstrebten. Zu Anfang des Flottenbauprogramms schwankte der Kaiser in der Frage der Realisierung des Flottenbauprogramms noch zwischen zwei bautechnischen Alternativen: sollte er eine Kreuzerflotte (Aufklärungsschiffe) bauen lassen, die zum Schutze der Kolonien deutsche Präsenz auf allen Weltmeeren demonstrieren konnte, oder sollte er sich für eine Schlachtflotte entschließen, die in der Nordsee gegen Großbritannien zu stationieren war? Zu dieser Frage arbeitete Admiral von Tirpitz ein Memorandum mit dem unscheinbaren Titel „Allgemeine Gesichtspunkte bei der Feststellung unserer Flotte nach Schiffsklassen und Schiffstypen“ aus. Gleich zu Beginn des Memorandums lehnt er den Kreuzerkrieg als eine für Deutschland aussichtslose Strategie ab. Um in der Nordsee eine Vormachtstellung anstreben zu können, sei es nötig, eine hohe Zahl an Linienschiffen (Großkampfschiffe) zu bauen, die eben für den Kampf in der Linie geeignet seien und im Ernstfall nicht so schnell zu versenken wären. Über die geplante Anzahl an Linienschiffen meinte Tirpitz zu diesem Zeitpunkt, eine Zahl von 2 Geschwadern á 8 Linienschiffen mit jeweils einem Reserveschiff sei bis 1905 zu verwirklichen. Wilhelm II. schloss sich diesen Ansichten des Staatssekretärs Tirpitz an und begann, zunächst gegen den Widerstand des Reichstags, den Schlachtflottenbau in die Wege zu leiten. Mit den beiden Flottengesetzen von 1898 und insbesondere dem von 1900, das die künftige Entwicklung der deutschen Seerüstung im Kern bestimmte, wurde der Grundstein für den von dem deutschen Historiker Volker R. Berghahn zu Recht als „Tirpitz-Plan“ bezeichneten Schlachtflottenbau gelegt; in den Novellen von 1906, 1908 und 1912 fand er konsequent verfolgte und systematisch angepasste Ergänzungen. Über einen Zeitraum von 2 Jahrzehnten sollte eine Schlachtflotte von Linienschiffen erbaut werden, die England Paroli zu bieten vermochte. Erst damit glaubte man Deutschlands Großmachtstatus international festigen zu können. Unaufhebbar gingen offensive und defensive Elemente in den unübersichtlich wirkenden Risikogedanken ein, der im Zentrum des Tirpitz-Plans stand. Für die Briten sollte ein Angriff auf die deutsche Flotte zu einem unabsehbaren Risiko werden, das sie nicht wagen würden einzugehen. Sollte es dennoch zu einem militärischen Konflikt kommen, würde ein Sieg der Royal Navy nur einem Pyrrhussieg gleichkommen, der angesichts der eigenen hohen Verluste eher eine Niederlage bedeuten würde. Mit Sicherheit jedenfalls würde Großbritannien darüber den ohnehin schon zweifelhaft gewordenen „Two Power Standard“ einbüßen, einer Maxime der britischen Admiralty, die besagte, dass die englische Flotte immer mindestens so stark sein müsse wie die der beiden nächsten großen Seemächte zusammen, um somit der Aufgabe der Sicherung des bestehenden Weltreiches ausreichend gewachsen zu sein. So hätte es im Falle eines Konflikts mit Deutschland leicht zum Opfer der dann überlegenen Seestreitkräfte der Franzosen und Russen, die lange Jahre als die gefährlichsten Konkurrenten des Empire galten, absinken können. Einem solchen kühn angelegten Plan haftete von vornherein etwas Illusorisches an. Eine große Macht wie das Deutsche Reich konnte sich kaum einige Jahre von der Weltpolitik verabschieden, um in aller Ruhe ungestört aufzurüsten. Außerdem musste England früher oder später auf die Herausforderung reagieren. Seit dem Herbst 1902 wurden einzelne englische Kabinettsmitglieder auf den offensiven Charakter des Tirpitzschen Schlachtflottenbaukonzepts aufmerksam. Vom Jahre 1904 an kam es zu einer englisch-französischen Zusammenarbeit, so dass die britischen Seestreitkräfte in der Nordsee verstärkt werden konnten. Eine vollends neue Dimension erhielt der Rüstungswettlauf, als England ab 1906 mit der Konstruktion eines neuen, qualitativ überlegenen Schiffstyps, der „Dreadnought“-Klasse, begann. Bald darauf begann sich das endgültige Scheitern des Tirpitz-Plans abzuzeichnen. Politische Folgen des Tirpitzplans Innenpolitisch beabsichtigte Tirpitz, den Umfang der Marine gesetzlich festzulegen (ähnlich wie beim Heer), um damit den Einfluss des Reichstags auf die Marine zu verringern. Durch geschickte Behandlung des Reichstags und gut organisierte Propagandakampagnen gelang es ihm, diesem Ziel mit Zustimmung des Reichstags sehr nahe zu kommen. Als Größenordnung hatte Tirpitz von Anfang an eine Flotte im Auge, die 2/3 der englischen Flotte stark sein sollte. Dieses Ziel benannte er natürlich nicht öffentlich. Wegen der enormen Kosten des Flottenbaus musste an anderen Stellen gespart werden. Dies betraf insbesondere das Heer. Tirpitz hatte es da relativ leicht, weil es in der Heeresführung starke Kräfte gab, die das Heer exklusiv halten wollten, um das Eindringen bürgerlicher und sozialdemokratischer Elemente zu verhindern. Eine Folge davon war allerdings, dass die Landmacht Deutschland zu Beginn des Ersten Weltkriegs weniger ausgebildete Soldaten als Frankreich hatte. Die Propaganda für die Flotte hatte einen fatalen Nebeneffekt: Sie brauchte einen Gegner, um wirksam zu sein. Außer England gab es jedoch keinen Gegner für diese Flotte – weder Frankreich noch Russland konnten glaubhaft als „Seefeind“ dargestellt werden. Auch wenn die Propaganda es nicht direkt sagte, musste England zwangsläufig zum Feindbild werden. Als England begann, die Gefahr zu erkennen und nachzurüsten, schien dies ein Beweis für die Notwendigkeit des Flottenbaus zu sein. So schuf sich die Flotte ihren Feind gewissermaßen selbst. Die Politik hatte gegen diese Stimmung keine Chance. Die Idee, die Flotte unauffällig zu bauen und erst nach ihrer Fertigstellung als Machtmittel einzusetzen, war zwar im Prinzip richtig, aber bei einer Bauzeit von 20 Jahren unrealistisch. Man kann nicht jahrelang für etwas Propaganda machen, von dem das Volk nichts zu sehen bekommt. Natürlich war es auch nicht möglich, den Bau einer so großen Flotte nach außen zu verheimlichen. Dazu kam noch, dass der Kaiser dazu neigte, bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit „seiner“ Flotte zu prahlen. Als politisches Drohmittel war die Flotte ohnehin nur zu gebrauchen, wenn die potentiellen Gegner davon wussten. Spätestens ab 1905 war es klar, dass Deutschland nicht einmal das Wettrüsten auf Basis 2/3 der englischen Stärke gewinnen konnte. Trotzdem lehnten es Tirpitz und der Kaiser strikt ab, über Rüstungsbegrenzung auch nur nachzudenken. Dass England nicht auf die von Tirpitz angestrebte Entscheidungsschlacht in den ersten Kriegstagen einzugehen brauchte, sondern seine Flotte außerhalb der Reichweite der deutschen Flotte zur Fernblockade einsetzen konnte, war schon 1898 in Planspielen diskutiert worden. Politische Konsequenzen wurden daraus nicht gezogen. Tirpitz gab sich auch keine Mühe, dem Kaiser diese Alternative wirklich klarzumachen. Politik 1917 war Tirpitz Mitgründer der alldeutsch und nationalistisch orientierten Vaterlandspartei. Vorsitzender wurde Tirpitz, Wolfgang Kapp sein Stellvertreter, der zusammen mit Heinrich Claß und Conrad Freiherr von Wangenheim den politischen Apparat aufbaute. Hier sammelten sich die Gegner eines Verständigungsfriedens, die in Opposition zur Reichstagsmehrheit den Kampf gegen die Friedensresolution führten. Die Vaterlandspartei war eine außerparlamentarische Bewegung von rechts, mit dem Anspruch auf Integration aller rechten Parteien und Verbände. Erstmals wurde das Konzept der außerparlamentarischen Mobilisierung von rechts realisiert. Auf ihrem Höhepunkt, im Sommer 1918, hatte die Partei über 1.250.000 Mitglieder. Geprägt war die Vaterlandspartei von „cäsaristischem Herrschaftsdenken“, wobei Erich Ludendorff und Paul von Hindenburg als „Volkskaiser“ propagandistisch aufgebaut wurden, mit dem Ziel des „plebiszitären Militärstaates“, dessen Legitimität auf Krieg und Kriegszielen beruhte, als Alternative zur Parlamentarisierung des Reiches. Intern gab es daher Aufrufe zum Staatsstreich von rechts unter der Führung von Hindenburg und Ludendorff, notfalls auch gegen den Kaiser.[1] Tirpitz hat mit dem Flottenverein, den Staatsstreichplänen 1915 und der Vaterlandspartei bewiesen, dass er zur politischen Agitation mit dem Instrument einer Massenpartei und dem Mittel der Propaganda sowie zum Staatsstreich gegen den Kaiser und zur Militärdiktatur bereit war. Tirpitz, der die Kriegszielfrage als die Hauptfrage des Weltkriegs betrachtete, drängte auf Annexionen hauptsächlich im Westen, um „Deutschland als Weltmacht weiter zu entwickeln“. Für Deutschlands „Seegeltung“ brauche man Belgien, den Besitz von Zeebrügge und Ostende, denn der Hauptfeind sei England, daher plädierte er für einen russischen Sonderfrieden und wollte Russland sogar den Zugang zum freien Weltmeer gewähren. Deutschland könne ein noch so großer Kontinentalstaat sein, könne seine Weltstellung aber nur durch ungestörten Welthandel und im Kampf gegen England bewahren und ausbauen. Tirpitz beklagte Deutschlands „Politik der Unklarheit, Unentschlossenheit, des Überwiegens einer humanitären Ideologie über gesunden Selbsterhaltungswillen, der Politik der Übergerechtigkeit für die Neutralen auf Kosten vitaler deutscher Interessen, des Bettelns nach Frieden und des Dienerns ringsum“. Er forderte eine energische Kriegsführung ohne Rücksicht auf diplomatische und handelspolitische Folgen und befürwortete den äußersten Einsatz aller Kampfmittel (uneingeschränkter U-Bootkrieg). Die Haltung seiner nach Westen hin orientierten Gruppe war eine kuriose Mixtur aus Hass, Bewunderung, Neid und Imitation des Britischen Empires. Von 1908 bis 1918 war Tirpitz Mitglied des Preußischen Herrenhauses und von 1924 bis 1928 als Abgeordneter der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) Mitglied des Reichstags. Ehrungen Ehrendoktor der Universitäten Göttingen (16. Juni 1913) und Greifswald Ehrendoktor-Ingenieur der Technischen Hochschule Charlottenburg Ehrenbürger der Stadt Frankfurt (Oder) (15. Januar 1917) Das Schlachtschiff Tirpitz, Schwesterschiff der Bismarck, wurde nach ihm benannt. Friedrich Wilhelm Victor August Ernst von Preußen (* 6. Mai 1882 im Marmorpalais in Potsdam; † 20. Juli 1951 in Hechingen) war der letzte Kronprinz des Deutschen Reiches und von Preußen, sowie nach dem Tode seines Vaters von 1941 bis 1951 Chef des Hauses Hohenzollern. Leben Wilhelm war der Sohn Kaiser Wilhelms II. und dessen Ehefrau Kaiserin Auguste Viktoria. Er war seit 6. Juni 1905 mit Cecilie Herzogin zu Mecklenburg-Schwerin verheiratet. Im Ersten Weltkrieg kommandierte er formal die 5. Armee, u. a. in der Schlacht um Verdun, später die Heeresgruppe "Deutscher Kronprinz." Die tatsächliche operative Führung lag indessen bei seinem Generalstabschef, erst General v. Knobelsdorff, später Oberst v.d. Schulenburg. Nach dem Sturz der deutschen Monarchie am 9. November 1918 ging er wie sein Vater in die Niederlande ins Exil. Er unterschrieb eine Abdankungserklärung und verzichtete damit auf den deutschen Thron, lehnte aber die Weimarer Republik ab. Wilhelm kehrte 1923 nach Deutschland zurück und zeigte sich viel in der Öffentlichkeit. Er war sportbegeistert und hat daher den Sport – vor allem den Fußball – gefördert und u. a. Pokale gestiftet, die Kronprinzenpokale (Bundespokal). Er liebte die Frauen, was allgemein bekannt war. Mit Kurt Tucholsky (Berliner Bälle): Der Kronprinz wohnte zunächst dem Feste bei. Von Republikanern wurde er als "Der lachende Mörder von Verdun" bezeichnet. 1930 tritt er dem "Stahlhelm" bei. 1932 wurde diskutiert, ob er bei der Reichspräsidentenwahl 1932 als Kandidat der rechtsextremistischen "Harzburger Front" gegen Hitler antreten solle, um diesen als Reichspräsidenten zu verhindern. Sein Vater verbot ihm dies. Daraufhin setzte er sich offen für die Wahl Hitlers zum Reichspräsidenten ein. Im Januar 1933 setzte sich Wilhelm mit anderen (u. a. Elard von Oldenburg-Januschau) bei Hindenburg für die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler ein. Sein Sohn Louis Ferdinand unterhielt mit Billigung seines Vaters Wilhelm II. (im Exil in Doorn/Niederlande) bereits seit Ende der 1930er Jahre enge Kontakte zum Widerstand und war auch im Gespräch, nach dem 20. Juli 1944 Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches zu werden. Unter den Beteiligten waren viele Monarchisten bzw. Anhänger des deutschen Kaiser- und preußischen Königshauses, die beabsichtigten, im Falle eines Erfolges wieder zur Monarchie zurückzukehren. Reichsverweser bzw. Deutscher Kaiser wäre zunächst Wilhelm (III.) geworden, der das Amt umgehend an seinen Sohn Louis Ferdinand weitergeben hätte. Eine entsprechende Erklärung war bereits vorbereitet. Bis Oktober 1945 in französischer Gefangenschaft, lebte er danach in einer Villa in Hechingen am Fuße der Burg Hohenzollern. Der Kettenraucher Wilhelm von Preußen starb 1951 an den Folgen eines Herzinfarkts. Kinder Wilhelm (1906–1940, gefallen in Nivelles) ∞ 1933 Dorothea von Salviati Louis Ferdinand (1907–1994) ∞ 1938 Kira Kirillowna Romanow, frühere Großfürstin von Russland Hubertus (1909–1950) Friedrich (1911–1966) Alexandrine Irene von Preußen (1915–1980) Cecilie (1917–1975) Helmuth Johannes Ludwig von Moltke, genannt Moltke der Jüngere (d. J.) (* 25. Mai 1848 in Gersdorf; † 18. Juni 1916 in Berlin) war ein preußischer Generaloberst und von 1906 bis 14. September 1914 Chef des Großen Generalstabes. Leben Helmuth Johannes Ludwig von Moltke stammt aus dem alten mecklenburgischen Adelsgeschlecht Moltke und war der Neffe des Generalfeldmarschalls Helmuth Karl Bernhard von Moltke (Moltke d. Ä.). Er und seine Frau Eliza waren Christliche Wissenschafter, seine Frau betrachtete sich als von einer Krankheit durch die Gebete einer Ausüberin der Christlichen Wissenschaft, Frances Thurber Seal, geheilt. Beide hatten auch Kontakt zu Rudolf Steiner. Die in diesem Kontext entstandenen „Post-mortem-Mitteilungen“ von Moltkes sind seit ihrer Herausgabe 1993 erstmals einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich. Diese Mitteilungen werfen noch einmal ein erhellendes Licht auf die Geschehnisse vor und während des Ersten Weltkrieges, unter anderem zur Kriegsschuldfrage und zur Person des Kaisers als „geistige Null“. Während des Deutsch-Französischen Krieges kämpfte er im Grenadier-Regiment „König Wilhelm I.“ (2. Westpreußisches) Nr. 7. 1880 wurde er Mitglied des Großen Generalstabes und 1882 Adjutant seines Onkels. Von 1902 bis 1904 war er Kommandeur der 1. Division des Gardekorps. 1904 wurde er Generalquartiermeister und 1906 Nachfolger Alfred von Schlieffens als Chef des Großen Generalstabes in Berlin. Seine Ernennung entstand aus dem Wunsch Kaiser Wilhelms II., einen eigenen Moltke zu haben. Als von Schlieffen 1906 aus dem Amt ausschied, hinterließ er Moltke eine Denkschrift, welche die Grundzüge des Schlieffen-Plans enthielt. Obwohl Schlieffen als Zivilist mehrfach sein Konzept aktualisierte, ging die eigentliche Ausarbeitung der operativen Feldzugspläne von Moltke aus, welcher, anders als von Schlieffen vorgesehen, den linken Heeresflügel zu Ungunsten des Rechten verstärkte. Schon nach wenigen Wochen des Kampfes im Ersten Weltkrieg wurde Moltke für das Debakel in der Marneschlacht verantwortlich gemacht und musste Erich von Falkenhayn im Amt des Chef der Obersten Heeresleitung weichen. Moltke starb 1916 während des Staatsaktes für Generalfeldmarschall Colmar von der Goltz an einem Schlaganfall in Berlin. Wilhelm Filchner benannte 1912 während der zweiten deutschen Antarktisexpedition eine Gruppe von eisfreien Felskliffs in der Antarktis Moltke-Nunataks zu Ehren von Helmuth und seinem Bruder Friedrich von Moltke. Moltkes Kriegsführung Trotz neuer strategischer Überlegungen erachtete Moltke den Aufmarschplan seines Vorgängers, Alfred von Schlieffen, weiterhin als die richtige strategische Idee. Dementsprechend trieb er die Planungen zu dessen Umsetzung weiter voran. Als es schließlich zum Krieg kam, musste Moltke für die Durchführung der militärischen Operationen mit dem Ziel eines Sieges gegen gleich mehrere europäische Mächte naturgemäß entscheidende Verantwortung tragen - eine ungeheure Last, die von ihm deutlich als solche empfunden wurde. Nachrangig muss demgegenüber bewertet werden, dass Moltke als nicht entscheidungsbefugter Militär vor allem Österreich-Ungarn gegenüber signalisiert hatte, dass Deutschland seine Bündnispflicht erfüllen werde, ganz gleich, was der andere Partner in Bezug auf Serbien tun sollte. Moltke wird von einigen Forschern heute als Kriegstreiber gesehen, der zum Beispiel in brutaler Sprache zum Zuge gegen die Russen blies. Bereits anlässlich des sogenannten Kriegsrates mit dem Kaiser vom Dezember 1912 drängte er mit den Worten "je eher, desto besser" auf einen Kriegsbeginn. Und er sah auch bezüglich möglicher Konsequenzen im Gegensatz zur euphorisierten Bevölkerung völlig klar: "... wenn dieser Krieg zum Ausbruch kommt, so ist seine Dauer und sein Ende nicht abzusehen", äußerte er in seiner letzten Reichstags-Rede. Im Verlauf der ersten Kriegswochen brach Moltke nervlich zusammen. Entscheidenden Anteil daran hatte der Kaiser gehabt, der unmittelbar am Vorabend der ersten Kampfhandlungen noch der Illusion aufgesessen war, dass England einer Verletzung der belgischen Neutralität tatenlos zusehen würde und der daraufhin die planmäßige Entfaltung der deutschen Kräfte für Stunden gestoppt hatte. Von dem so empfundenen dilettantischen Eingreifen seines Kaisers (zumal dies ja nicht der einzige Fall im Laufe der Jahre war) in entscheidender Stunde konnte sich Moltke nie wieder ganz erholen. Der Schweizer Albert Steffen hat diese entscheidende Szene in seinem Moltke gewidmeten Drama „Der Chef des Generalstabs“ (Dornach 1927) eindrücklich dargestellt. Eine weitere Demütigung durch den Kaiser erfolgte in den Wochen nach der Marneschlacht, als der Kaiser ihn pro forma im Amt beließ, de facto aber bereits kalt stellte. Vorwürfe wurden ihm gemacht, weil er den Schlieffenplan verwässert habe, sich von der Front zu weit entfernt gehalten habe und Soldaten in den Osten schickte, als sie dort noch nicht, im Westen aber noch für den Angriff benötigt wurden. Nachdem durch die Klucksche Schwenkung die deutschen Truppen ohnehin nicht mehr auf der Linie des Schlieffen-Plans vorgedrungen waren und östlich von Paris standen, ordnete er im Verlauf der Marneschlacht einen Rückzug an und meldete dem Kaiser: „Majestät, wir haben den Krieg verloren!“ Maximilian Freiherr von Lyncker (* 4. April 1845 in Berlin; † 30. April 1923) war ein preußischer General der Infanterie, Haus- und Hofmarschall von Kaiser Wilhelm II. sowie Generalintendant der königlichen Gärten. Leben Herkunft Maximilian war ein Sohn des preußischen Generalmajors Heinrich von Lyncker (1810–1883) und dessen Ehefrau Elise, geborene Hübner (1816–1890). Militärkarriere Nach dem Besuch des Kadettenkorps trat Lyncker am 9. April 1864 als Portepeefähnrich in das 2. Garde-Regiment zu Fuß der Preußischen Armee ein und avancierte bis Mitte Oktober 1865 zum Sekondeleutnant. Während des Kriegs gegen Österreich wurde er im Gefecht bei Königinhof verwundet und für sein Verhalten durch König Wilhelm I. belobigt. Im Krieg gegen Frankreich nahm er am 18. August 1870 mit der 8. Kompanie an der Schlacht bei Gravelotte teil und wurde dabei schwer verwundet. Nach seiner Gesundung war Lyncker als Ordonnanzoffizier beim Regimentsstab tätig, wirkte im Januar 1871 kurzzeitig als Platzmajor von Sarcelles und wurde dann durch Divisionsbefehl mit der Instandhaltung und Verbesserung der Befestigungswerke in Pierrefitte-sur-Seine beauftragt. Ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse stieg Lyncker nach dem Friedensschluss Mitte Dezember 1871 zum Premierleutnant auf. Mit der Ernennung zum Flügeladjutanten des Herzogs von Sachsen-Meiningen schied Lyncker am 16. April 1874 aus dem Regiments aus. Er avancierte Anfang April 1876 zum Hauptmann und wurde am 18. Februar 1879 unter Entbindung von seinem Verhältnis als Flügeladjutant und unter Stellung à la suite des 2. Garde-Regiments zu Fuß zur Dienstleistung bei dem Erbprinzen von Sachsen-Meiningen kommandiert. Lyncker kehrte am 3. April 1883 mit der Ernennung zum Kompaniechef in den Truppendienst zurück und war ab dem 1. Juli 1884 zur Dienstleistung beim Stab der IV. Armee-Inspektion kommandiert. Unter Belassung in diesem Kommando wurde er am 22. März 1885 als überzähliger Major seinem Regiment aggregiert. Am 26. März 1888 schied Lyncker aus dem Militäretat aus und wurde mit seiner Regimentsuniform à la suite der Armee gestellt. Nachdem man ihn Ende November 1888 mit Pension zur Disposition gestellt hatte, wurde er am 27. Januar 1889 beim 2. Aufgebot des 2. Garde-Landwehr-Regiments wieder angestellt. Mit der Verleihung des Charakters als Oberstleutnant wurde Lyncker am 27. Januar 1891 Haus- und Hofmarschall von Kaiser Wilhelm II., dem er bis zum Ende der Monarchie in Deutschland im November 1918 dienen sollte. In dieser Stellung stieg Lyncker weiter auf und erhielt am 16. Juni 1913 den Charakter als General der Infanterie à la suite der Armee. Familie Lyncker hatte sich am 1. Mai 1879 mit Mathilde von Daum (1851–1933) verheiratet. Aus der Ehe gingen folgende Kinder hervor: Charlotte (* 1880), Stiftsdame in Bayreuth, zuletzt im St. Joseph-Krankenhaus Potsdam tätig Doro (* 1882) ⚭ Otto von Lyncker, preußischer Rittmeister Viktoria (1885–1945) ⚭ Armin von Lossow (1876–1945), Landrat des Kreises Rotenburg (Wümme) Margarethe (1889–1933) Theobald Theodor Friedrich Alfred von Bethmann Hollweg (* 29. November 1856 in Hohenfinow, Provinz Brandenburg; † 2. Januar 1921 in Hohenfinow) war ein deutscher Politiker. Seine Karriere begann als Verwaltungsbeamter und gipfelte in seiner Amtszeit als Reichskanzler von 1909 bis 1917. In dieser Zeit erfolgte der Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Theobald von Bethmann Hollweg vertrat liberale Auffassungen und stand der Fortschrittlichen Volkspartei nahe. Er bemühte sich als überparteilicher Kanzler um einen Ausgleich zwischen Sozialdemokratie und Konservatismus (Politik der Diagonalen, Burgfriedenspolitik). Dieses Ansinnen brachte ihm Lob, aber vor allem Kritik beider Seiten ein. Während des Ersten Weltkrieges, dessen Ausbruch er zu verhindern versuchte, trat er dem Annexionismus rechtsgerichteter Kreise entgegen und bemühte sich um einen Verständigungsfrieden. Die Entlassung des Kanzlers erfolgte 1917 unter dem Druck der Obersten Heeresleitung. Seine ethisch-moralischen Werte und die humane, fortschrittliche Grundhaltung als Leitlinie der Politik beeinflussten gesellschaftliche Gruppen der Weimarer Republik (SeSiSo-Club) und die Widerstandsbewegung gegen den Na. (Solf-Kreis, Kreisauer Kreis). Sein Umgang mit der SPD schaffte weite Akzeptanz für diese im Bürgertum und bildete nach Ansicht seines Biographen Eberhard von Vietsch die Grundlage für die spätere Entwicklung der Partei. Leben Jugend Theobald von Bethmann Hollweg wuchs in Hohenfinow in der Provinz Brandenburg auf, wohin seine Familie 1855 gezogen war. Theobalds erster Unterricht erfolgte durch Erzieherinnen und Hauslehrer. Die Erziehungsziele des Vaters Felix von Bethmann Hollweg waren Härte gegen sich selbst, Willenskraft, Treue und Pflichterfüllung. Dies spiegelte sich in den allgemeinen Lebensumständen Theobalds in Hohenfinow wider. Sein älterer Bruder Max verließ 1884 im Streit mit dem Vater Brandenburg, um nach Amerika auszuwandern, wo er noch vor der Jahrhundertwende in schlechten Verhältnissen verstarb. Eine willkommene Abwechslung vom tristen, provinziellen Alltag war für die Söhne der alljährliche Besuch bei ihren Tanten, den Schwestern der weltgewandten Mutter, in Paris. Dort konnte er frühzeitig die europäische Umwelt kennen lernen und mögliche Vorurteile bezüglich des vermeintlichen „Erbfeindes“ ablegen. Dazu kam ein besonders inniges Verhältnis zum Großvater, Moritz August von Bethmann Hollweg, der bei seinen Besuchen von Burg Rheineck in Hohenfinow mit seinem Enkel sprach, spielte und las. Moritz August von Bethmann Hollweg hatte in der Zeit des Vormärz' eine gemäßigt konservative Politik betrieben und war - im Gegensatz zu seinem Sohn Felix, dem Vater Theobalds - liberalen Gedanken nicht verschlossen (siehe auch: Bethmann (Familie)). Sein Enkelsohn zeichnete sich durch eine überdurchschnittliche musische Begabung aus, die er beim Klavier spielen unter Beweis stellte. 1869 trat er als Untertertianer in die Königliche Landesschule Schulpforta ein, um dort 1875 als Klassenbester die Reifeprüfung abzuschließen. Seine Abschlussarbeit behandelte das Thema „Die ‚Perser’ von Äschylus vom Standpunkt der Poetik des Aristoteles betrachtet“. Er verfasste sie, wie an altsprachlichen Gymnasien üblich, in lateinischer Sprache. Später äußerte sich Bethmann Hollweg dahingehend, dass er nie so wie damals das Gefühl geistiger Überlastung gehabt habe. Aus diesen harten Schulerlebnissen erwuchs seine Kritik an der Lehrmeisterin Geschichte und einer rückwärtsorientierten, weltfremden Einstellung. Gleichzeitig verdanke er Schulpforta eine selbstständige Urteilsbildung. Bei seinen Klassenkameraden war er wegen eines gewissen Maßes an geistigem Hochmut eher geduldet als gemocht. Seine beiden einzigen Schulfreunde, Karl Lamprecht und Wolfgang von Oettingen, behielt Bethmann Hollweg aber bis zum Tod. Für die bestandene Abschlussprüfung schenkte sein Großvater ihm eine mehrmonatige Italien-Reise. Über diese schrieb er an seinen Freund Oettingen: „Der köstlichste Gewinn, den eine Reise nach Rom bringt, ist der, dass man vor der Großartigkeit der Geschichte und der Natur die Sentimentalität etwas unterdrücken lernt.“ Studium Auf die Reise folgte das Studium der Rechtswissenschaften in Straßburg, das er 1876 erfolgreich abschloss. Die nächste Station seiner Ausbildung war die Universität Leipzig. Nach kurzem Soldatenleben in Berlin fühlte er sich faul und apathisch, lebte in den Tag hinein und fand seinen jugendlichen Idealismus verdammt fadenscheinig. Nach dem gescheiterten zweiten Attentat auf Kaiser Wilhelm I. am 2. Juni 1878 schrieb er, er sei von seinem utopischen Ideal der Auflösung des einzelnen Vaterlandes in einen allgemeinen Weltbrei für immer geheilt. Doch trotz seines Protests gegen die niederträchtigen sozialistischen Bestrebungen ordnete er sich nicht einer der bestehenden politischen Richtungen zu. In gleichem Maße verurteilte er doktrinär liberale Bemühungen, die unglaublich dummen Reaktionäre und die selbsternannten Kreuzzeitungsritter. Die sich herauszeichnende politische Linie war die der Mitte, des Kompromisses zwischen nicht-revolutionärer Sozialdemokratie und monarchistischem Konservatismus. An der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin legte Bethmann Hollweg seine Abschlussprüfung ab. Sein Lehrmeister dort war Rudolf von Gneist. Sein Studium in der Hauptstadt erfolgte sicher nicht aus patriotischen Gründen: Bethmann Hollweg wollte schon bald so schnell wie möglich zurück an den Rhein. Jedoch blieb er in Berlin und arbeitete als Referendar am Amtsgericht Berlin I. Er las viel, vornehmlich auf Englisch und Französisch und diskutierte mit seinen Studienfreunden. Doch er selbst beurteilte seinen gesellschaftlichen Verkehr als Fehler meiner Schwerfälligkeit als beschränkt und bekannte, dass man wohl in aller Ewigkeit ein langweiliger Kerl bleibt. Entgegen dem Trend der Zeit schloss er sich keiner Studentenverbindung an. Seiner Liebe zur Jagd folgend reiste er 1879 in die Karpaten, nachdem er sich zuvor doch noch entschlossen hatte, das preußische Offizierspatent zu erwerben. Bethmann Hollweg besuchte Wien und Budapest und schrieb an Oettingen: Fremdes Land und fremde Sitten, wie köstlich ist das für uns nordische Biber. Darin wird deutlich, dass Bethmann Hollweg stets den Blick über den Horizont des deutschen Nationalstaates hinaus gerichtet hat. Er befasste sich mit anderen Völkern, und seine Fremdsprachenkenntnisse waren für einen preußischen Referendar nicht der Normalfall. Im Oktober 1880 kam der Jurist ans Amtsgericht Frankfurt/Oder. Verwaltungsbeamter 1882 trat Bethmann Hollweg zur Bezirksregierung Frankfurt (Oder) über, bevor er zu seinem Vater ans Landratsamt nach Freienwalde wechselte. 1884 legte er in Frankfurt die Assessorprüfung mit Auszeichnung ab. Seine Amtseinführung als königlicher Regierungsassessor erfolgte am 10. Dezember 1884. Im Jahr darauf ging Bethmann Hollweg zur brandenburgischen Provinzialregierung nach Potsdam. Bereits Mitte 1885 wünschte Felix von Bethmann Hollweg seinen Landratsposten im Landkreis Oberbarnim aufzugeben, weshalb der Sohn zunächst interimistisch, am 20. Januar 1886 aber durch seine offizielle Ernennung das Amt übernahm. Mit nur 29 Jahren war Bethmann Hollweg zum jüngsten Landrat der Provinz Brandenburg geworden. Im Juli 1889 heiratete er Martha von Pfuel, die Tochter des Hauptritterschaftsdirektors von Pfuel auf Wilkendorf (bei Strausberg). Die Heirat stellt gleichzeitig ein Symbol für die Akklimatisierung Bethmann Hollwegs im schwerfälligen Osten dar. Schließlich hatte Bethmann Hollweg wegen seiner westdeutschen, bürgerlichen Abstammung lange Zeit als Frankfurter Bankiersspross gegolten, was in den Kreisen des konservativen Adels als Makel gesehen wurde. Der Ehe entsprossen vier Kinder (eines starb früh). Laut Gerhard von Mutius (Bethmann Hollwegs Vetter) war und blieb er in allen Phasen seines Lebens ein einsamer Mensch. Er war weder pädagogisch, noch spielerisch genug, um sich dem Familienleben hinzugeben. Das Amt des Landrates übte er mit größter Genauigkeit und beherztem Engagement aus. War sein Vater noch im Stil des preußischen Junkertums verfahren, zog mit dem ausgebildeten Juristen ein neues Amtsverständnis ein: Er fuhr selbst auf die Dörfer, sprach nicht nur mit Gutsherren, sondern auch mit deren Arbeitern, überprüfte die jährlichen Investitionen. Als Repräsentant des preußischen Königs ließ Bethmann Hollweg große Gerechtigkeit walten. Seine Arbeit beruhte auf dem Prinzip der freiwilligen Mitwirkung der Bürger, weniger auf autoritären Anweisungen. Das ausgeprägte Gefühl für seine Schutzbefohlenen machte ihn zu einem der fortschrittlichsten Landräte seiner Zeit. 1890 stellten Konservative, Nationalliberale und Freikonservative Bethmann Hollweg als gemeinsamen Kandidaten für den Reichstag auf. Damit trat er politisch in die Fußstapfen seines Vaters Felix, der seinem zögernden Sohn zur Kandidatur geraten hatte. Mit einer Mehrheit von nur einer Stimme war die Kandidatur zwar erfolgreich, doch Proteste der gegnerischen Kandidaten wegen vermeintlicher Unregelmäßigkeiten sorgten für eine Neuwahl, bei der der freikonservative Landrat nicht mehr teilnahm. Damit war die kurze Episode Bethmann Hollwegs als Parteipolitiker beendet. Zeit seines Lebens blieb ihm das Parteiwesen unsympathisch. Nach zehn Jahren Landratszeit erfolgte 1896 seine Beförderung zum Oberpräsidialrat im Oberregierungspräsidum Potsdam. In diesem Amt verblieb er drei Jahre, bevor er am 1. Juli 1899 zum Regierungspräsidenten in Bromberg ernannt wurde. Nur drei Monate später war Theobald von Bethmann Hollweg mit 43 Jahren als jüngster Oberpräsident Preußens an die Spitze der Provinz Brandenburg aufgestiegen. Dieser schnelle berufliche Erfolg war durch mehrere Faktoren ermöglicht worden: Einerseits durch sein eigenes Talent in staatsmännischen Tätigkeiten, dann durch das Prestige des Großvaters und andererseits durch die Fürsprache des Reichskanzlers Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst, der den Aufstieg des jungen Oberpräsidenten seit einiger Zeit beobachtet hatte. An der Spitze der bedeutendsten Provinz des Königreichs boten sich für Bethmann Hollweg nun ganz neue Möglichkeiten gesellschaftlicher Kontaktaufnahme. Die rasante Entwicklung der Weltstadt Berlin warf für ihn komplexe Fragen der neuen Industriegesellschaft auf. Nannten ihn seine Zeitgenossen einen geborenen Oberpräsidenten, fühlte sich Bethmann Hollweg selbst deplaziert: Er fluchte in goethe'scher Manier über das geschäftige Nichtstun der Narren, Philister und Schelme von Beamten. Zudem nahm er den Briefverkehr mit seinem Freund Oettingen nach beinahe fünfzehnjähriger Unterbrechung wieder auf. Ohne dass ein besonderer Grund vorlag, waren sich Oettingen und Bethmann Hollweg einander fremd geworden. Letzterer hatte in dieser Zeit unter der beruflichen Pflichterfüllung seine sozialen Kontakte vernachlässigt. 1901 machte er jedoch einen Schritt zur Wiederaufnahme der Beziehung und schrieb an Oettingen: „Ich bin ein Mensch, der der Fülle der ihm gestellten Aufgaben nie gewachsen war, der darin zu einem oberflächlichen und darum unbefriedigten Dilletanten geworden ist, und dem trotzdem Stellung über Stellung restlos zugeflogen ist. [...] Wann wird sich bei mir der Neid der Götter offenbaren, oder verbüße ich meine Schuld dadurch, dass ich das unverdiente Glück nicht voll und rein genießen kann? Dass ich das Verhältnis zwischen Kraft und Pflicht täglich peinigend erlebe?“ Oberpräsident Bethmann Hollweg orientierte sich an den Entwicklungen im europäischen Ausland: Als preußischer Kosmopolit weilte er 1904 in Paris. Zuvor hatte er sich in London als Gast Paul Metternichs fortgebildet: In Berlin stand die Eingemeindung von Vororten auf der Tagesordnung und Bethmann Hollweg nahm sich für diese Aufgabe den Stadtverband Groß-London zum Vorbild. Preußischer Innenminister Am 21. März 1905 erfolgte die Ernennung Bethmann Hollwegs zum preußischen Minister des Innern und damit der endgültige Aufstieg in die Politik. Für dieses Amt hatte der Altkanzler Hohenlohe ihn vorgeschlagen. Bethmann Hollweg nahm die Aufgabe nur widerwillig an, da er Ansichten vertrete, die in den preußischen Schematismus nicht hineinpassen. Die Ernennung war vor allem bei den Konservativen umstritten. Ernst von Heydebrand schrieb: Als Minister des Innern brauchen wir einen Mann mit fester Hand und Rückgrat. [...] Statt eines Mannes geben Sie uns einen Philosophen. Nach Zeugnis Bernhard von Bülows ging Heydebrand sogar noch weiter: Der Mann ist mir zu klug. Für Sozialdemokraten und Radikalliberale war er nur ein weiterer Vertreter des verhassten Obrigkeitsstaates, weshalb ihm auch die linke Seite mit Reserviertheit betrachtete. So machte sich bereits zu Anfang die parteipolitische Heimatlosigkeit Bethmann Hollwegs bemerkbar, die aus einem Fehlen einer echten Mitte resultierte. Als bedeutende Aufgabe setzte er sich, der das langsame Auseinanderdriften der wilhelminischen Gesellschaft in immer nationalistischer, militaristischer werdende Rechte und immer radikaler, republikanischer werdende Linke früh feststellte, die Gegensätze der politischen Interessen durch Kompromisse zu überwinden. An den damals neu ernannten Chef der Reichkanzlei Friedrich Wilhelm von Loebell schrieb er: „Die zu versöhnenden Elemente haben keinerlei innerliches Verhältnis für die gegenseitigen politischen Anschauungen mehr. Sie stehen einander gegenüber wie die Glieder verschiedener Welten. Hoffentlich glückt es Ihnen, ausgleichend zu wirken, denn ohne allmähliche Assimilierung kommen wir zu ganz unhaltbaren Zuständen.“ So richtete sich sein Blick als Politiker früh auf die Verpflichtung der SPD auf das bestehende Staatsgefüge. In seiner Antrittsrede im Preußischen Abgeordnetenhaus vom 6. April 1905 nahm er in diesem Sinne Stellung zum Antrag der Linken auf Schaffung eines Volkswohlfahrtsamtes. Dabei bezeichnete er die Volkswohlfahrtspflege als wichtigste und ernsteste Aufgabe der Gegenwart. Die Beförderung nationaler Volkskultur habe den Kern jeder staatlichen Tätigkeit zu bilden und zur Veredelung der Vergnügungen der Menschen beizutragen. Gleichzeitig wandte er sich eindrucksvoll gegen politische, religiöse und soziale Ressentiments, indem er den Abgeordneten (unter großem Beifall der Linken und Nationalliberalen) zurief: Nihil humani a me alienum puto. Er schöpfe Vertrauen in die Entwicklungsfähigkeit menschlicher Art und freue sich, dass das Kulturbedürfnis der Bürger auch in den unteren Schichten ständig steige. Bethmann Hollweg versprach, den Antrag gründlich und wohlwollend zu prüfen und wies darauf hin, dass die Befreiung von bürokratischen Fesseln nur bei freier Teilnahme aller Volkskreise möglich sei. Für einen preußischen Innenminister waren diese Klänge ungewöhnlich. Das Berliner Tageblatt schrieb 1909 rückblickend auf Bethmann Hollwegs Antrittsrede: Man war in diesem Dreiklassenparlament mit seinem flachen Nützlichkeitsdenken nicht daran gewöhnt, so etwas wie eine Weltanschauung zu finden und die Staatsnotwendigkeiten durch philosophische Gründe erhärtet zu sehen. Herr von Bethmann Hollweg wurde angestaunt wie eine rara avis (seltener Vogel). 1906 wurde im Preußischen Abgeordnetenhaus die Frage des Dreiklassenwahlrechts behandelt: Hier war der Kurs Bethmann Hollwegs deutlich vielschichtiger als der seiner Kollegen. Er lehnte im Parlament eine Übertragung des allgemeinen und gleichen Reichstagswahlrechts auf Preußen ab, betonte, dass die königliche Staatsregierung zwar hinter dem Notwendigen nicht zurückbleiben, über das Ausreichende aber nicht hinausgehen wolle. Der Minister warnte vor demokratischer Gleichmacherei, lobte aber das gewaltige Aufstreben unserer Arbeiterschaft und die langsame, aber entschiedene Hinwendung zum großen Aristokraten des Geistes, Kant. Dessen Ansichten versuchen die Triebe des Menschen zu entwickeln, die nach der Höhe streben. An seinen Freund Oettingen schrieb Bethmann Hollweg: „Ich war mir wohl bewusst, mit meiner Rede nicht nur in ein Wespennest zu stechen, sondern auch die eigene Persönlichkeit aufs Spiel zu setzen. Unser preußisches Wahlrecht ist auf die Dauer unhaltbar, und wenn es auch ein an sich aktionsfähiges Parlament lieferte, so ist doch dessen konservative Mehrheit so banausisch gesinnt und in dem satten Gefühl ihrer unantastbaren Macht für jeden vorwärts Wollenden so demütigend, dass wir neue Grundlagen suchen müssen. Aber schon für diesen Grundgedanken finde ich weder im Staatsministerium noch auch wahrscheinlich bei Seiner Majestät und natürlich unter keinen Umständen bei der Majorität des Landtages irgend welches Verständnis. [...] Die Konservativen vorwärts treiben und die Liberalen von Parteifragen und Parteischablonen abdrängen - ich verzweifele an der Möglichkeit, wenn ich sehe, wie meine Worte, größtenteils allerdings böswillig, missverstanden und verdreht werden. Der Zusammenhang zwischen Lebensanschauung und Politik ist den Menschen ganz unverständlich geworden, und man setzt sich höhnischer Kritik aus, wenn man ganz bescheidentlich auf ihn hinweist.“ Im selben Jahr brach der polnische Schulstreik aus, mit dem die polnischen Schulkinder der Provinz Posen - vom katholischen Klerus unterstützt - zu erreichen versuchten, dass der Unterricht wieder in polnischer Sprache erteilt werden durfte. Die Konservativen pochten auf Erhöhung der militärischen Präsenz in Posen, was Bethmann Hollweg entschieden ablehnte. Er genehmigte vielmehr, Religionsunterricht zukünftig in polnischer Sprache zu geben. Zwangsverfügungen sah er als nicht mehr empfehlenswertes staatliches Machtmittel vergangener Zeiten [an], das moralisch bedenklich sei. 1907 stand im Zeichen des Bürokratieabbaus: Er forderte das Preußische Herrenhaus zur Lockerung der bürokratischen Fesseln auf und erklärte am 19. Februar vor dem Abgeordnetenhaus, er wolle so viel dezentralisieren wie möglich. Dabei gehe er nach eigener Aussage noch über die Linken des Hauses hinaus. Die Einstellung des Ministers, das Königreich Preußen müsse im Alltag menschlicher und toleranter werden, zeigte sich 1906 bei der Affäre um die homosexuellen Neigungen des Kaiserfreundes Philipp Eulenburg. Der kaiserliche Hof gab dem Polizeipräsidium Berlin den Auftrag, eine Liste aller höhergestellten Homosexuellen aufzustellen. Bethmann Hollweg hatte diese Liste als Innenminister vor der Übergabe an den Kronrat zu prüfen. Er gab sie stattdessen dem zuständigen Kriminalisten, Hans von Tresckow, mit der Bemerkung zurück, er wolle so viele Menschen nicht unglücklich machen. Im Oktober 1907 ging die preußische Ministerzeit für Theobald von Bethmann Hollweg mit seinem Wechsel zum Reichsamt des Innern zu Ende. Am 24. Juni 1907 stieg er als Nachfolger des nüchternen aber engagierten Arthur von Posadowsky-Wehner zum Staatssekretär auf. Damit wurde er gleichzeitig zum Vizepräsidenten des Preußischen Staatsministeriums, zum nach dem Kanzler Bülow wichtigsten Politiker des Kaiserreiches. Staatssekretär des Innern Bethmann Hollweg war durch Bülow in unmittelbarem Anschluss an die Reichstagswahl 1907, die eine herbe Niederlage für die Sozialdemokratie darstellte, zum Staatssekretär des Innern berufen worden. Der Kanzler erhoffte sich, nach dem als aufmüpfig empfundenen Posadowsky einen Mitarbeiter berufen zu haben, mit dem es sich weitaus bequemer arbeiten ließ. Das Amt hatte Bethmann Hollweg nur höchst widerwillig angenommen. Da er die Berufung als kaiserlichen Befehl auffasste, sah er für sich letztendlich keine Alternative. Er schrieb an seine Frau: „Gesucht habe ich die neue Bürde nicht, sondern mich bis zum Letzten gegen sie gewehrt. Nun sie mir auferlegt ist, muss ich sie zu tragen versuchen, wie ich nun einmal bin. Ich fürchte mich nicht sowohl vor der positiven Arbeit, vor den Gesetzen, die nun einmal die öffentliche Meinung will, als vor dem unpolitischen Sinn unserer Nation, der von vorgefassten Meinungen nicht lassen will, und der doch zu Opfern gezwungen werden muss, wenn es glücken soll, alles Lebenskräftige zu politischer Mitarbeit zu verpflichten.“ Zu den anspruchsvollen Aufgaben als wichtigster Ressortleiter Deutschlands kam noch (zumeist) der Vorsitz (als Vertretung des Reichskanzlers) im Bundesrat. In der sozialpolitischen Tradition seines Vorgängers stehend gab er der Innenpolitik ein neues Profil: Bethmann Hollweg besuchte im Oktober 1907 den Deutschen Arbeiterkongress, ein zentrales Treffen der christlichen Gewerkschaften, wo das Auftreten eines kaiserlichen Staatssekretärs als großer Fortschritt gewertet wurde. Am 2. Dezember 1907 stand im Reichstag die Schaffung eines Reichsarbeitsamtes zur Debatte, was der Staatssekretär schon allein wegen geforderter Abgabe eigener Ressorts ablehnte. Gleichzeitig wies er die Behauptung zurück, in sozialpolitischen Angelegenheiten würde die Regierung ruhen: Ich habe in dieser Tätigkeit niemals auch nur eine Spur von müdem Skeptizismus entdeckt; in ihr hat sich, allerdings fernab von der parlamentarischen Arena, unser heutiges Deutschland gebildet. Darin spiegelt sich seine Einstellung wider, das sich das Suchen und Tasten nach Neuem im Volke selbst vollzieht, nicht bei den Volksvertretern. Aufgrund dessen sei erforderlich, für die neuen Anschauungen, welche aus den gewandelten wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen hervorgegangen sind, Raum zu schaffen. Nur wenige Tage später legte er den damaligen § 7 (sog. „Sprachenparagraph“) des Vereinsgesetz-Entwurfes als Staatssekretär so aus, dass das Verbot des Gebrauchs einer Fremdsprache als Verhandlungssprache nur dann gelten würde, wenn der Gebrauch des fremden Idioms gegen das Kaiserreich gerichtet sei. Die Gründung polnischer Vereine erklärte er damit für zulässig. Der Entwurf wurde durch den Reichstag angenommen. Die Mitglieder des preußischen Staatsrates führten im Frühjahr 1908 eine Diskussion über ein neues Gesetz gegen sozialdemokratische Bestrebungen. Reichskanzler Bülow übertrug in diesem Punkt seinem Staatssekretär die Vollmachten. Bethmann Hollweg wies aber, anstatt einen Gesetzentwurf vorzulegen, den Wunsch nach einer solchen Bestimmung zurück. Diese würde die Verbürgerlichung der Sozialdemokratie, die Bethmann Hollweg schon bei vielen Gelegenheiten versuchte zu fördern, empfindlich beeinträchtigen. Zur gleichen Zeit waren sechs sozialdemokratische Abgeordnete darin begriffen, in den preußischen Landtag einzuziehen. Diesen Vorgang bedachte Bethmann Hollweg mit der kurzen Bemerkung: Das ist die Freiheit, die ich meine. Auf seinen Rat hin kündigte der Kaiser in der von Bethmann Hollweg verfassten Thronrede vom 20. Oktober 1908 eine Wahlreform im Königreich Preußen an. Wilhelm II. versprach eine organische Fortentwicklung, was der Monarch als eine der wichtigsten Aufgaben der Gegenwart bezeichnete. Friedrich Naumann, der den Stil des Staatssekretärs mochte, hob später den positiven Einfluss Bethmann Hollwegs auf den Kaiser besonders hervor. Am 28. Oktober 1908, nur acht Tage nach der hoffnungsvollen Thronrede, gab Wilhelm II. dem „Daily Telegraph“ jenes Interview, das zur gleichnamigen Affäre führte. Infolgedessen verlor Bülow sein Vertrauen beim Kaiser, der ihn, als der Bülow-Block in der Debatte zur Einführung der Erbschaftssteuer zusammengebrochen war, entließ. Damit öffnete sich für den Vizekanzler Bethmann Hollweg der Weg zum höchsten Politikeramt. Reichskanzler Amtsantritt und Reaktionen Wilhelm II. berief 1909 Bethmann Hollweg aus unterschiedlichen Gründen zum neuen Reichskanzler: Einerseits war dieser schon in Bülows Amtszeit dessen Stellvertreter gewesen, andererseits wusste der Kaiser um die ausgleichende Persönlichkeit des Staatssekretärs, die die Situation der rivalisierenden Parteien beruhigen sollte. Zudem stand Bethmann Hollweg durch sein bescheidenes Auftreten und seine Erfolge als Kaiserberater in der Gunst Wilhelms II. Die Berufung Bethmann Hollwegs war zuvor in Politikerkreisen, u.A. von Friedrich August von Holstein, nahegelegt worden. Loebell, der Leiter der Reichskanzlei, schrieb später, Bethmann Hollweg habe ihn unter Tränen beschworen, Bülow von einem Ernennungsvorschlag abzuraten. Stattdessen solle der Oberpräsident der Rheinprovinz, Freiherr von Schorlemer-Lieser, Kanzler werden. Schließlich nahm Bethmann Hollweg seine Beförderung als kaiserlichen Befehl hin, dem er Folge zu leisten hatte. Karl von Eisendecher gegenüber sagte er: Nur ein Genie oder ein von Machtkitzel und Ehrgeiz verzehrter Mann kann ein solches Amt anstreben. Und ich bin keins von beiden. Der gewöhnliche Mann kann es nur in letztem Zwange des Pflichtbewusstseins annehmen. Aus allen Parteien, einschließlich der SPD, kam ein eher positives Echo auf die Ernennung: Zwar hatte das Zentrum Bedenken und für die Sozialdemokraten stellte Bethmann Hollweg nur einen weiteren kaisertreuen Reichskanzler dar. Doch die wohlwollende Neutralität des gesamten Parteienspektrums resultierte aus der Vielschichtigkeit seiner Person: Er war kein Ostelbier, kein Junker im eigentlichen Sinne, was die Linken als positives Zeichen aufgriffen. Seine Familiengeschichte machte ihn bei Nationalliberalen und Zentrum geschätzt und seine Tätigkeit als Verwaltungsbeamter schuf Vertrauen bei den Konservativen. Die Resonanz aus dem Ausland war ausschließlich freundlich: Die französische Zeitschrift „Journal des Débats“ sprach von einem beruhigenden Symptom für die deutsch-französischen Beziehungen. Der französische Botschafter in Berlin, Jules Cambon, schickte dem neuen Reichskanzler sogar ein offizielles Glückwunschschreiben. So etwas war bis zu diesem Zeitpunkt noch niemals vorgekommen. Die Deutsche Botschaft London unter Graf Metternich schrieb, der britische König halte den neuen Kanzler für einen wichtigen Partner für die Beibehaltung des Friedens. Auch Österreich-Ungarn und das Russische Reich schickten Glückwunschtelegramme in die Reichskanzlei. William H. Taft, der Präsident der Vereinigten Staaten lobte, dass zum ersten Mal ein deutscher Kanzler aus der inneren Verwaltung genommen worden war. Baronin Spitzemberg, eine Dame aus Hofkreisen, kommentierte die Berufung folgendermaßen: Wie kann ein so edles Pferd einen so schweren und verfahrenen Karren aus dem Sumpf ziehen? Innenpolitische Positionen 1910 legte Bethmann Hollweg eine Reformvorlage für die Änderung des preußischen Wahlrechts vor, die vom Reichstag aber abgelehnt wurde. Im Januar desselben Jahres ergab sich ein Briefkontakt mit Professor Karl Lamprecht. Diesem schrieb Bethmann Hollweg, der Regierung stelle sich die große Aufgabe politischer Erziehung des Volkes unter Beseitigung der Herrschaft von Phrasen und oberflächlicher Wertungen. Die Grundaufgabe eines Staatsmannes sah Bethmann Hollweg in einem gewissen Hinhorchen in die Entwicklung Da er sich seit seiner Zeit als Staatssekretär den süddeutschen Staaten in besonderer Weise verpflichtet fühlte, nicht zuletzt wegen seines Studienaufenthaltes in Straßburg, trieb er die Reform der staatsrechtlichen Stellung des Reichslandes Elsaß-Lothringen voran. Das Reichsland erhielt eine eigene Verfassung mit einem Zweikammer-System, dessen Unterhaus nach Reichstagswahlrecht zusammentrat. Gegen heftigsten Protest von Konservativen und Militärs wurde die Vorlage des Reichskanzlers am 23. März 1911 angenommen. Anders als in Preußen traten Bethmann Hollweg keine einflussreichen Konservativen entgegen, weshalb seine demokratische Verfassungsinitiative zum Abschluss gelangen konnte. Außenpolitische Positionen In der Außenpolitik legte Bethmann Hollweg von Beginn an viel Wert auf eine Verständigung mit England. Zugleich hielt er die deutsch-österreichischen Beziehungen für so problemlos, dass er es für wichtiger erachtete, sich den anderen Mächten gegenüber als freundlich zu erweisen. Als Staatssekretär des Äußeren berief er Alfred von Kiderlen-Waechter, der sich, anfangs als gute Besetzung aufgefasst, später als eine Enttäuschung erwies. Der impulsive Schwabe stellte in vielerlei Hinsicht einen Gegensatz zum Reichskanzler dar: Nicht nur in seiner temperamentvollen Lebensart, sondern vor allem auch in außenpolitischen Fragen. Obwohl Kaiser Wilhelm II. in seiner Thronrede 1909 noch das verstärkte Auftreten des Kaiserreiches für friedliche und freundliche Beziehungen zu den anderen Mächten gefordert hatte, so entsprach die Diplomatie Kiderlen-Waechters im Zusammenhang mit dem Panthersprung nach Agadir ganz und gar nicht dieser Maxime. Bethmann Hollweg sagte am 5. März 1910 im Reichstag: „Unsere auswärtige Politik allen Mächten gegenüber ist lediglich darauf gerichtet, die wirtschaftlichen und kulturellen Kräfte Deutschlands frei zur Entfaltung zu bringen. Diese Richtlinie ist nicht künstlich gewählt, sondern ergibt sich von selbst aus dem Dasein dieser Kräfte. Den freien Wettbewerb anderer Nationen kann keine Macht auf der Erde mehr ausschalten oder unterdrücken. […] Wir sind alle darauf angewiesen, in diesem Wettbewerb nach den Grundsätzen eines ehrlichen Kaufmanns zu verfahren.“ 1911 griff er dieses Wort vom Kaufmann als Randbemerkung zum für den Kanzler besorgniserregenden, eigenmächtigen Vorgehen seines Staatssekretärs vorm Deutschen Handelstag in Heidelberg wieder auf: „Kein verständiger Kaufmann dünkt sich zur Alleinherrschaft berufen.“ Später wurde Bethmann Hollweg sein passives Auftreten in der Zweiten Marokkokrise häufig zum Vorwurf gemacht. Dass er trotz seiner Bedenken an der Politik Kiderlen-Waechters, seinem Staatssekretär freie Hand ließ, lässt sich durch das Gefühl mangelnder außenpolitischer Fachkompetenz des Kanzlers erklären. Durch ständige Selbstkritik hielt sich Bethmann Hollweg für nicht kompetent genug, um dem vermeintlichen Fachmann Kiderlen-Waechter in der Marokkofrage Paroli zu bieten. Der zweite außenpolitische Problemfall neben der Marokkokrise war für Bethmann Hollweg die von Staatssekretär Alfred von Tirpitz gewünschte Erweiterung der Kaiserlichen Marine. In dieser Frage setzte der Kanzler auf enge Zusammenarbeit mit Großbritannien. Der Dialog mit dem Vereinigten Königreich sollte einerseits eine behutsame Flottenerweiterung ermöglichen und gleichzeitig durch Ehrlichkeit die Beziehungen verbessern. Diesen Weg versuchten Bethmann Hollweg und Botschafter Paul Metternich seit 1909 gemeinsam zu verfolgen. Aufgrund von Drohreden der deutschen Konservativen im Reichstag und der britischen Konservativen in den Houses of Parliament verliefen diese Bemühungen erfolglos. Die Folgen der Marokkokrise waren auch auf diesem Feld seit 1911 zu spüren und die zeitweise Annäherung war wieder wett gemacht. Die deutsch-russischen Beziehungen hatten vor der Marokkokrise neuen Auftrieb bekommen. 1910 war Zar Nikolaus II. in Potsdam gewesen, was der Reichskanzler in einem Brief an Eisendecher als Sprungbrett für eine Verständigung mit England bezeichnete. Nach Aufzeichnungen des russischen Hofstaates sah der Zar eine kriegerische Verwicklung mit Deutschland in weite Entfernung gerückt. An der Außenpolitik Bethmann Hollwegs wurde durch die Rechte erhebliche Kritik geübt. Den Kanzler verunglimpften die Konservativen als feige. Von der SPD kam dagegen Anerkennung. Ludwig Frank lobte im Reichstag den Kanzler, nachdem dieser einen Krieg mit Frankreich um Marokko als Verbrechen bezeichnet und die demagogischen Wege der Konservativen verurteilt hatte. Diese Rede Bethmann Hollwegs sei eine mutige und verdienstvolle Tat von bleibendem Wert gewesen, so die Sozialdemokraten. Doch aus dem Lager der Nationalliberalen kam Kritik. Walther Rathenau, der eigentlich politischer Freund des Kanzlers war, schrieb nach einem Treffen mit Bülow stichwortartig: Mangel an Zielen in innerer und äußerer Politik. Seine (Bülows) Politik hätte noch ein Ziel gehabt: Platz an der Sonne, Flotte, Weltmacht. Jetzt nichts mehr. Die Marokkokrise, die Bethmann Hollweg wie nie zuvor in internationale Politik hineingezogen hatte, wurde mit einem deutsch-französischen Abkommen beigelegt, in dem das Kaiserreich seine Ansprüche auf Marokko (erneut) aufgab und im Gegenzug dafür Neukamerun, eine Landerweiterung Deutsch-Kameruns, erhielt. Der konservative Kolonialstaatssekretär Friedrich von Lindequist protestierte heftig und trat im November 1911 zurück. Doch anstatt den von Lindequist vorgeschlagenen Nachfolger zu ernennen, wählte Bethmann Hollweg den liberalen Gouverneur von Samoa, Wilhelm Solf. Dieser vertrat als einer der wenigen Außenpolitiker des Kaiserreichs voll und ganz die Linie Bethmann Hollwegs. Solf legte auf Verständigung und eine friedliche Emanzipation Deutschlands den größten Wert. Er trat in diesem Sinne auch nach dem Tod Bethmann Hollwegs als Bewahrer dessen politischen Erbes auf. 1912 scheiterte mit der Haldane-Mission ein erneuter Versuch Bethmann Hollwegs, einen Ausgleich mit Großbritannien in der Flottenfrage zu erzielen. Dennoch genoss Bethmann Hollweg beim britischen Außenminister Sir Edward Grey einen guten Ruf: So long as Bethmann Hollweg is chancellor we will cooperate with Germany for the peace of Europe. 1912 arrangierte der Reichskanzler ein Treffen zwischen Kaiser und Zar in Baltischport (heute Paldiski, Estland) zu einer freundschaftlichen Unterredung. Im Anschluss daran besuchten Wilhelm II. und Bethmann Hollweg St.Petersburg als Gegenbesuch für die Visite des Zaren in Potsdam 1910. Nach Gesprächen mit Ministerpräsident Kokowzow und Außenminister Sasonow konnte Bethmann Hollweg an Eisendecher schreiben, er habe vertrauensvolle und freundschaftliche Beziehungen knüpfen können. Nach Abschluss der offiziellen Konferenz blieb der Kanzler noch einige Tage in Russland. Er war beeindruckt von den neuen Eindrücken, die ihm St. Petersburg bot. Zudem habe er sich von Vorurteilen befreien können, die er aus unserer leichtfertigen Journalistik eingesogen habe. Die Hurrahstimmung unserer unverantwortlichen Politiker sei ihm im Blick aus der Ferne noch gefährlicher erschienen. Auf der zutiefst erfrischenden Reise habe er die heimische Misere vergessen und die Hoffnung schöpfen können, langfristig auch größere koloniale und Welthandelsbestrebungen verwirklichen zu können, ohne einen Krieg heraufzubeschwören. Auch fand er eine gewisse Stärke in seiner Haltung gegenüber den Alldeutschen wieder, deren superkluge Alarmartikel er mit Spott bedachte. Aber mit diesen Schafsköpfen sei nun mal keine Politik zu machen. Am 25. Juli 1912 weilte Walther Rathenau auf Hohenfinow, um mit dem Kanzler über dessen Russlandreise zu sprechen. Rathenau notierte in seinem Tagebuch, Bethmann Hollweg wolle den modus vivendi auch in der Russlandfrage erhalten. Diese Worte unterstreichen, dass in der deutschen Politik keineswegs ein Gefühl der Kriegsvorbereitungen herrschte. In außenpolitischen Fragen hatte Rathenau Bethmann Hollweg Folgendes vorgeschlagen: Europäische Zollunion, britischen Imperialismus im Mittelmeer unterbinden, danach Bündnis mit Großbritannien zwecks Verständigung und eigener kolonialer Erwerbungen. Diese Forderungen entsprangen nicht dem Gedankengut des Kanzlers, doch unterschrieb er den Vorschlagskatalog mit allgemein einverstanden. Innenpolitik während der Zabern-Affäre Wenige Monate später erschütterte die Zabern-Affäre die deutsche Politik und Öffentlichkeit. Im elsässischen Zabern hatte ein Leutnant sich der Bevölkerung gegenüber taktlos verhalten, wurde von seinem Obersten jedoch nur geringfügig zur Rechenschaft gezogen, und nach Protest der Elsässer ließ das Militär sogar einige Bürger unrechtmäßig festnehmen. Bevor sich der Kanzler der Entrüstung des Reichstages und der Bevölkerung stellen musste, nahm er Kontakt zum Statthalter in Straßburg, Karl von Wedel, auf. Der Kanzler sah seinen politischen Weg der Diagonalen, der Mitte gefährdet. Die aufgebrachte Stimmung heizte die inneren Konflikte des Kaiserreichs erneut an und riss alte Wunden wieder auf. Am 2. Dezember 1913 erklärte Bethmann Hollweg im Reichstag, der Rock des Kaisers müsse unter allen Umständen respektiert werden. Dies führte zum allgemeinen Eindruck, der Kanzler sei in seinen Ausführungen voll und ganz dem Kriegsminister Erich von Falkenhayn gefolgt. Die Parteien, die bisher Bethmann Hollweg als Träger einer fortschrittlichen Politik unterstützt hatten, d.h. Zentrum, Fortschrittliche Volkspartei, Nationalliberale Partei und Sozialdemokraten, brachten geschlossen einen Misstrauensantrag gegen den Reichskanzler ein. Philipp Scheidemann wies auf die vorbildlichen Verfassungszustände in Großbritannien und den Niederlanden hin, worauf Bethmann Hollweg mit abweisenden, ungehaltenen Zwischenrufen reagierte. Der bisherige Kanzler der Mitte schien nach rechts gewechselt zu sein, ungeachtet dessen, dass er in national-konservativen Kreisen nach wie vor geradezu gehasst und als Demokrat verschrien war. Mit Unterstützung des Kronprinzen ließ die Berliner Bevölkerung ihrem Unmut freien Lauf: In den Straßen formierten sich Protestzüge, „Bethmann-Soll-weg“ rufend. Der Kaiser ließ währenddessen Personalvorschläge einholen. Bethmann Hollweg fühlte sich vom parlamentarischen Feuerregen erfasst, wie er an Oettingen schrieb. Wahrscheinlich tauge ich deshalb nicht zum Politiker. Gegen seine Überzeugung war der Kanzler im Parlament aufgetreten, um die Neutralität der Regierung zu wahren und seine Loyalität dem Kaiser gegenüber zu untermauern. Letztendlich war er aber auch gegenüber den Militärs eingeknickt und in eine Position der Schwäche geraten. In dieser großen Krise Bethmann Hollwegs bekannte er zum ersten Mal, dass er es bedauere, keine Partei hinter sich zu haben. An den Kronprinzen schrieb er: „Mit dem Schwert rasseln, ohne dass die Ehre, die Sicherheit und die Zukunft des Landes bedroht sind, ist nicht nur tollkühn, sondern verbrecherisch.“ Zeit der Hoffnung Zur Jahreswende 1913/1914 hatte sich die Stimmung langsam beruhigt und den Kanzler umfing ein neuer außenpolitischer Optimismus. Mit dem Frieden von Bukarest, so schien es Bethmann Hollweg, hatte man die Probleme auf dem Balkan mittelfristig gelöst, und ein neuerlicher Briefverkehr mit dem russischen Außenminister Sasonow stabilisierte nach Osten hin. Die Liman-Krise um die deutsche Militärmission im Osmanischen Reich war überstanden, trotz der panslawistischen Stimmung im Zarenreich. An Eisendecher schrieb Bethmann Hollweg: Das Leben könnte passabel sein, wenn die Menschen nur nicht gar zu unvernünftig wären. Sämtliche Zitate des Reichskanzlers lassen durchscheinen, dass er zu jedem Zeitpunkt bestrebt war, einen großen europäischen Krieg zu verhindern. Das entschiedenere Vorgehen Russlands in Nordpersien bewirkte zudem eine vorübergehende Annäherung Großbritanniens an Deutschland. Als im Frühsommer 1914 die Regierung Kenntnis von einer englisch-russischen Marinekonvention erhielt, warf dies schwere Schatten auf die Außenpolitik Bethmann Hollwegs. In seinem Vertrauen zu Außenminister Edward Grey enttäuscht, schrieb er an die Deutsche Botschaft Konstantinopel, es gälte, sich ohne größere Konflikte durch die Zeit durchzuwinden. Wenige Tage später begab er sich nach einem Streitgespräch mit Generalstabschef Moltke in die friedlichen Sommerferien nach Hohenfinow, die kurz nach seiner Ankunft durch das Attentat von Sarajevo abrupt beendet wurden. Vom „Blankoscheck“ zum Kriegsausbruch Nur wenige Wochen zuvor war die Ehefrau Bethmann Hollwegs verstorben und der Reichskanzler sah sich den größten Schwierigkeiten seiner politischen Laufbahn ausgesetzt. Wilhelm II. war nach der Ermordung des österreichischen Thronfolgers vorgeprescht und hatte dem Botschafter der Donaumonarchie in Berlin, Szögyeny, den berühmten Blankoscheck ausgestellt, was allerdings keine große Neuerung darstellte: Die Nibelungentreue im Zweibund herrschte seit dem Kanzler Hohenlohe vor. Bethmann Hollweg schrieb später in seinen „Betrachtungen“, diese Ansichten des Kaisers deckten sich mit seinen Anschauungen. Am 6. Juli 1914 versicherte der Reichskanzler der österreichischen Botschaft erneut, dass das Deutsche Reich treu an der Seite seines Verbündeten kämpfen werde. Zugleich ließ er den Staatssekretär Jagow an Lichnowsky telegrafieren, dass „alles vermieden werden muss, was den Anschein erwecken könnte, als hetzten wir die Österreicher zum Kriege“. Aus dem Gedanken heraus, den Konflikt lokalisieren zu können, befürwortete Bethmann Hollweg die Fortsetzung der kaiserlichen Nordlandkreuzfahrt. Der Kanzler ließ der österreichischen Politik freie Hand, doch nicht kritiklos, wie der französische Botschafter in Wien, Dumaine, bezeugte. Bethmann Hollweg sprach früh die Befürchtung aus, dass wenn Österreich zu expansionistische Töne anschlagen würde, der Konflikt nicht mehr auf dem Balkan zu halten sei und „zum Weltkriege führen könne“. Doch selbst als das Auswärtige Amt im Juli 1914 endgültig wusste, dass das Ultimatum Österreich-Ungarns an Serbien unannehmbar formuliert werden sollte, ließ der Kanzler gewähren. Auf Nachfrage bekundete die Reichskanzlei: „Zur Formulierung der Forderungen an Serbien können wir keine Stellung nehmen, da dies Österreichs Sache ist.“ Bethmann Hollwegs Wesenszug, Menschen nicht unter Druck setzen zu wollen, trat an dieser Stelle überdeutlich zu Tage. Im Glauben an die Neutralität Großbritanniens telegrafierte er an das Londoner Foreign Office: Da Österreich bei seinem Vorgehen vitale Interessen wahrt, ist eine Ingerenz des verbündeten Deutschland ausgeschlossen. […] Nur gezwungen werden wir zum Schwerte greifen. Als am 27. Juli 1914 die diplomatisch geschickte Antwort Serbiens auf das österreichische Ultimatum in Berlin eintraf, sah der Kaiser jeden Grund zum Krieg entfallen. Wilhelm II. schlug vor, dass Österreich Belgrad zwecks weiterer Verhandlungen zur dauerhaften Lösung der Balkanfrage besetzen sollte, was von Edward Grey begeistert unterstützt wurde. Doch zeitgleich stellte der vermeintliche Dreibundgenosse Italien Kompensationsforderungen für das österreichische Vorgehen auf dem Balkan. Wien reagierte mit dem Angebot einer Aufteilung Serbiens unter Russland, das zuvor keinerlei Gebietsforderungen in Serbien gestellt hatte, und Österreich, was in Berlin mit lautem Protest abgelehnt wurde. Zum ersten Mal geriet Bethmann Hollweg offen in Harnisch gegen die Donaumonarchie. Er telegrafierte an das Auswärtige Amt: „Eine Politik des doppelten Bodens kann das Deutsche Reich nicht unterstützen. Sonst können wir in St. Petersburg nicht weiter vermitteln und geraten gänzlich ins Schlepptau Wiens. Das will ich nicht, auch nicht auf die Gefahr, des Flaumachens beschuldigt zu werden.“ Der plötzliche Widerstand gegen Österreich zeigte erneut, dass tiefgreifende außenpolitische Entscheidungen Bethmann Hollwegs nicht aus Staatsräson oder Kalkül entsprangen, sondern aus der Ethik. Das Vorgehen Wiens widersprach in seinen Augen dem Grundsatz vom ehrlichen Kaufmann. Noch am selben Tag sprach er mit dem Kaiser darüber, dass wenn die Krise vorbei sei, die Verständigung über die Flottenfrage mit England erneut in Betracht käme. Der britische Außenminister Grey warnte unterdessen Deutschland, dass wenn der Konflikt sich nicht auf Österreich und Russland beschränken, sondern auch Frankreich und das Reich mit hineinziehen würde, auch Großbritannien nicht abseits stehen könne. Bethmann Hollweg teilte daraufhin dem deutschen Botschafter in Wien mit, dass Österreich sich nicht gegen Verhandlungen mit dem Zarenreich wehren dürfe. Zwar sei man bereit, der Bündnispflicht nachzukommen, doch nicht, sich dabei leichtfertig [...] in einen Weltbrand hineinziehen zu lassen. Für die Bremsung Österreich-Ungarns war es zu diesem Zeitpunkt schon zu spät. Die Militärs an Donau und Newa waren längst in Aktion getreten, und Generalstabschef Moltke forderte den Kanzler auf, die deutsche Generalmobilmachung einzuleiten. Man dürfe Österreich nicht im Stich lassen. Die strategische Route des Generalstabs, in Belgien einzumarschieren, vereitelte schließlich alle Bemühungen Bethmann Hollwegs um eine Lokalisierung des Konflikts. In seinen Erinnerungen bezeichnete Tirpitz die Situation des Kanzlers in jenen Tagen als die eines Ertrinkenden. Kriegsausbruch Am 31. Juli 1914 fand die offizielle Verhängung des Kriegszustandes statt. Auf formellen Kriegserklärungen hatte Bethmann Hollweg im Gegensatz zu Vertretern des preußischen Kriegsministeriums bestanden, um nach dem Völkerrecht eine Bestätigung zu haben. Der tiefe Wunsch nach immer geltenden Richtlinien im Krieg wurde in Berlin mit Verwunderung aufgenommen. Den Vorschlag des russischen Zaren, die Serbienfrage vor den internationalen Schiedsgerichthof zu bringen, lehnte Bethmann Hollweg ab, weil Tags zuvor die russische Generalmobilmachung erfolgt war. Noch am 3. August versicherte der Reichskanzler dem britischen Außenminister Grey, für den deutschen Einmarsch in Belgien sei letztendlich die russische Mobilmachung verantwortlich, die das Reich in eine solche Zwangslage versetzt habe. Er habe alles versucht, den Völkerrechtsbruch zu vermeiden und den Wahnsinn einer Selbstzerfleischung der europäischen Kulturnationen zu verhindern. In den nächsten Tag zeigte sich in aller Deutlichkeit, wie wenig Bethmann Hollweg für nationalistische Parolen empfänglich und dem Paneuropa-Gedanken zugeneigt war. Am 4. August trat er in Erwartung der britischen Kriegserklärung vor den Reichstag, um zu betonen, dass Deutschland den Krieg nicht gewollt und die russischen Militärs den Brand entfacht hätten. Das Unrecht an Belgien müsse das Kaiserreich wieder gut machen. Doch wer so bedroht sei, der dürfe nur daran denken, wie er sich durchhaue. Am Abend des 4. Augusts führte Bethmann Hollweg ein Gespräch mit dem britischen Botschafter Goschen. Unter Tränen schüttete der Kanzler ihm die Seele aus: Für einen Fetzen Papier (just for a scrap of paper, gemeint war die belgische Neutralitätserklärung) wolle Großbritannien gegen eine verwandte Nation Krieg führen, die mit ihr in Frieden leben wolle. Alle Bemühungen seien vor seinen Augen zusammengebrochen wie ein Kartenhaus (like a house of cards). Zuletzt sollen sich Reichskanzler und Botschafter weinend in den Armen gelegen haben. In seinen „Betrachtungen“ räumte er später ein, das Wort vom „Fetzen Papier“ sei eine Entgleisung gewesen, doch hielt er an der Meinung fest, die belgische Neutralität sei im Vergleich mit dem herannahenden Weltkrieg eine Nichtigkeit gewesen. 1914: Sorgen und Siegestaumel Doch zu Anfang des Krieges hatte sich Bethmann Hollweg einigen Illusionen hingegeben: Er musste nun feststellen, dass die Kriegspropaganda auch im Vereinigten Königreich ihr Übriges getan hatte. Eine leidenschaftliche Kriegsbereitschaft war erwacht, die sich z.B. in der Landung eines britischen Expeditionskorps an der Küste Flanderns zeigte. In den später Septemberprogramm genannten vorläufigen Erwägungen formulierte das Kaiserreich erstmals konkrete Kriegsziele. Wichtigster Punkt war die Schaffung einer europäischen Zollunion, die der deutschen Wirtschaft im benachbarten Ausland den Weg ebnen und gleichzeitig die deutsche Vorherrschaft in Mitteleuropa sichern sollte. Ob diese Pläne Gedanken Bethmann Hollwegs entstammen, ist nicht nachzuweisen. Vielmehr gilt Kurt Riezler als Autor des Septemberprogramms. Dieser schrieb selbst am 20. September 1914, der Kanzler würde in der Frage der Kriegsziele immer nur hören. Dennoch unterschrieb Bethmann Hollweg die im Septemberprogramm genannten Kriegsziele, inklusiver annexionistischer Gebietsforderungen in Europa, die der Kanzler später ablehnte. Von der patriotischen Begeisterung in Deutschland blieb der Kanzler unterdessen fast gänzlich unberührt. Ein Brief an seinen Freund Oettingen, den er am 30. August 1914 aus dem Großen Hauptquartier versandte, legt davon zwingend Zeugnis ab: „Arbeit und Hoffnung sind mir in den Händen entzweigeschlagen worden. Aber ich fühle mich unschuldig an den Strömen von Blut, die jetzt fließen. Unser Volk ist herrlich und kann nicht untergehen. Viel schweres, vielleicht sogar das Schwerste steht uns bevor.“ Karl Helfferich, der im Hintergrund eine enorme Feindseligkeit gegen einen der bedeutendsten Berater von Kaiser und Kanzler, Walther Rathenau, entwickelte, begleitete Bethmann Hollweg zur Obersten Heeresleitung. Helfferich schrieb später, dass Bethmann Hollweg die Frage „Wo ist ein Weg zum Frieden?“ unausgesetzt und auf das innerlichste beschäftigt habe. So erwog der Kanzler die Rückgabe der deutschen Kolonie Kiautschou (heute Qingdao) an China. Durch die damit verbundene Aufgabe des Ostasiengeschwaders sollte eine Wiederannäherung an Großbritannien, aber auch an Japan erzielt werden. Dennoch stimmte laut Tirpitz der Kanzler im Gespräch August 1914 der Annexion Antwerpens und eines nördlichen Gebietsstreifens zu. In Anbetracht der Forderungen der Militärs stellte das tatsächliche Septemberprogramm eine deutliche Milderung dar. So wurde dort noch die Frage Antwerpen offen gelassen. Der vermeintlichen Fachkompetenz des Generalstabs sah sich der Reichskanzler nicht gewachsen, weshalb er seinen Kurs wiederum änderte. Zitate aus dieser Zeit belegen jedoch seine innere Distanz zu seinen eigenen politischen Entscheidungen. Seinem Mitarbeiter Otto Hammann schrieb Bethmann Hollweg am 14. November 1914 aus dem Hauptquartier in Charleville: „Ich bin immer voller Scham, wenn ich vergleiche, was in Berlin geleistet wird und was wir hier nicht tun. Komme ich gar zur Front und sehe die gelichteten Reihen unserer grauen Jungs [...] in das Morden von Ypern marschieren, dann geht es mir durch Mark und Bein. [...] Belgien ist eine harte Nuss. Ich habe anfangs die Phrase vom halbsouveränen Tributärstaat nachgeschwatzt. Jetzt halte ich das für eine Utopie. Selbst wenn wir den Bären schon erlegt hätten.“ Gegenüber dem freisinnigen Historiker Hans Delbrück gab Bethmann Hollweg 1918 zu, dass die Forderung der Wiederherstellung Belgiens wohl objektiv gesehen das Beste gewesen wäre. Doch unter dem enormen Druck, der von den Militärs ausging und nach Annexionen schrie (Diese verfluchte Stimmung des Hauptquartiers.), sei dies damals nicht möglich gewesen und die Politik sei, nach Bismarck, nun mal die Kunst des Möglichen. Stattdessen sprach der Kanzler vom „Faustpfand“ in Belgien und Frankreich. Diese Formulierung hatte für ihn das Gute, dass sie zu keiner verfrühten Festlegung führte. Denn erst am Ende des Krieges würde sich die Frage der Einlösung des Pfandes stellen. So war die Faustpfandformel eine rhetorische Waffe gegen annexionistische Ansprüche. Gleichzeitig galt für ihn das Bekenntnis von der Schuld am Unrecht an Belgien weiterhin. Das am 4. August 1914 gesprochene Wort nahm Bethmann Hollweg, entgegen der Meinung einiger Historiker, niemals zurück. Seinem Freund Karl von Weizsäcker gestand er im Mai 1917 ein, dass er mit beiden Formulierungen (Faustpfand, Unrecht an Belgien) auch die Sozialdemokratie hatte an das Kaiserreich binden wollen. Nichtsdestoweniger beweist seine Aussage vor dem Untersuchungsausschuss der Weimarer Nationalversammlung 1919, wo er unterstrich, das Bekenntnis vom Unrecht nie widerrufen zu haben, seine tiefe Verankerung im Moralischen. Jederzeit betonte Bethmann Hollweg den Verteidigungscharakter, den der Krieg seines Erachtens hatte. Er sprach stets von der Sicherung des Reichs und, im Siegesfall, von einem stärkeren Deutschland, nie aber von einem größeren, wie der Alldeutsche Chemiker Hans von Liebig (nicht zu verwechseln mit Justus von Liebig) missbilligend bemerkte. Der linken, auf eine völlige Verzichterklärung pochenden Seite konnte der Kanzler, obwohl er im März 1915 im Hauptquartier von der völligen Freigabe Belgiens sprach auch nicht voll gerecht werden, um weiterhin des Wohlwollens Wilhelms II. sicher zu sein. Als weiteres Problem erwies sich die militärische Volksaufklärung. Bereits im September 1914 hatte Generalstabschef Erich von Falkenhayn die systematische Aufklärung der Öffentlichkeit über die ungünstige militärische Situation infolge der Marneschlacht gefordert. Auf Rat des Auswärtigen Amtes, das unberechenbare Folgen im Ausland fürchtete, und mehrerer Wirtschaftsverbände lehnte Bethmann Hollweg die Verbreitung der militärischen Wahrheit durch die Regierung ab. Trotz aller Selbsttäuschung könne die Aufklärung nur allmählich durch die Ereignisse selbst geschehen. Die Siegeszuversicht sei schließlich moralischer Faktor von ungeheuerer Bedeutung. Während im Reichstag die Nationalliberalen in Unkenntnis der tatsächlichen Lage an der Front immer weiter nach rechts rückten und sich Annexionsgedanken hingaben, stellte Bethmann Hollweg fest, dass die Parteinahme für große Gebietsforderungen sich weitgehend mit der Gegnerschaft zur preußischen Wahlrechtsreform deckte. So waren die außenpolitischen Fronten im Hintergrund auch innerpolitischer Natur, was sich für den Kanzler und das Kaiserreich als das entscheidende, tiefsitzende Problem erweisen sollte. Doch zu Anfang des Krieges war es gelungen, die gesellschaftlichen Klüfte in nationaler Hochstimmung durch den sogenannten Burgfrieden zu überbrücken. Dieser Zusammenschluss basierte zu einem großen Teil auf der Arbeit des Kanzlers. So hatte er von Anfang an den Plan führender Militärs, so z.B. Tirpitz', bei Kriegsausbruch den SPD-Vorstand zu verhaften und die Partei aufzulösen, entschlossen abgelehnt. Außerdem war Bethmann Hollweg offen auf die Sozialdemokratie zugegangen, um sie langfristig für das Kaisertum zu gewinnen. Doch schon die simple Geste eines Begrüßungshandschlags 1912 zwischen ihm und August Bebel war in weiten Kreisen der Medien als Ausdruck staatsfeindlicher Gesinnung gewertet worden. Einem überparteilichen Kanzler musste es aber doch daran liegen, die Arbeiterschaft für die Mitwirkung im Krieg zu gewinnen. Über den Sozialdemokraten Albert Südekum, der aus seiner Fraktion dem Reichskanzler am nächsten stand und häufig als Bindeglied zwischen Regierung und parlamentarischer Opposition fungierte, ließ Bethmann Hollweg am 29. Juli 1914 bei der SPD anfragen, wie sie sich im Krieg stellen werde. Zu seiner Genugtuung erhielt er die Zusicherung, weder mit Sabotage, noch mit Generalstreiks rechnen zu müssen. Nachdem er diesen Brief des SPD-Vorstandes dem Kaiser zur Kenntnis vorgelegt hatte, sprach dieser am 4. August im Reichstag das berühmte Wort: Ich kenne keine Parteien mehr, kenne nur noch Deutsche. In der Sitzung des Preußischen Staatsministeriums vom 15. August forderte er eine gerechte Behandlung der Sozialdemokratie, was zu entrüsteten Äußerungen der Konservativen führte. Rückblickend sah Bethmann Hollweg den Tag des Kriegsausbruchs als einen der größten der deutschen Geschichte an. Am 4. August 1914 seien die inneren Schranken gefallen, die das Zusammenwachsen zum wahren Nationalstaat verhindert hätten. Zum Demokraten Conrad Haußmann, der mehrmals auf Hohenfinow weilte, sagte er Anfang Oktober 1914: „Es müssen die Schranken fallen, es fängt nach dem Krieg eine neue Zeit an. Die Standesunterschiede sind so stark zurückgetreten wie noch nie.“ Erst in den folgenden Wochen begann der Kanzler festzustellen, dass sich die Konservativen, wie sie da so eiskalt sitzen, nicht der neuen Gemeinschaft über alle Weltanschauungen hinweg anschließen wollten. Bethmann Hollweg nahm unterdessen auch an Feindesopfern Anteil. In diesem Sinne rief er 1916 im Reichstag aus: „Immer neue Völker stürzen sich in das Blutbad. Zu welchem Ende?“ Das Fehlen jedweder nationalistischer Hassgefühle prägte immer die Politik des Reichskanzlers. Mitten im Krieg gegen den „Erbfeind“ las er französische Literatur (Honoré de Balzac, Anatole France), erfreute sich an der Schönheit der französischen Sprache und beklagte, dass die Moderne Kunst in Berlin nicht so aufgeblüht war wie in Paris. Sein Lieblingsmaler war Max Liebermann, der ihm auch politisch nahe stand und vor dem Krieg ein Bildnis des Kanzlers geschaffen hatte. 1915-1917: Erwachen Im Sinne von Fortschrittlern und Linken bekannte sich die Regierung im Februar 1915 zur sogenannten Neuorientierung, die auch eine Wahlrechtsreform in Preußen beinhalten sollte. Den Konservativen Innenminister Friedrich Wilhelm von Loebell (ehemaliger Kanzleramtsdirektor) wies Bethmann Hollweg an, einen Gesetzentwurf vorzulegen. Der im Frühsommer 1915 eingebrachte Reformentwurf sah allerdings wieder ein ständisch abgestuftes Wahlrecht vor. In der Thronrede 1916 stellte sich Wilhelm II. durch einen Hinweis auf die Neuorientierung - zum großen Unmut Loebells - hinter diese. Doch der kleine Wink des Kaisers, der für die Konservativen als besorgniserregende Geste verstanden wurde, ging Bethmann Hollweg nicht weit genug. Die Militärs reagierten mit Unmut auf die Wiederaufnahme der Bemühungen um die Wahlrechtsreform: Oberst von Thaer nannte den Kanzler untauglich, die Reform höchst überflüssig. Der Kanzler hätte doch besser Mädchenschullehrer werden sollen. Nach mehreren Entwürfen, die alle das Pluralwahlrecht erweiterten, jedoch nicht zum allgemeinen gleichen Wahlrecht überleiteten, sagte Bethmann Hollweg zu Wahnschaffe, das Dreiklassenwahlrecht sei unmöglich geworden und es würde notwendig, zum gleichen Wahlrecht überzugehen. Ende September 1915 empfing zum ersten Mal ein deutscher Kanzler im Reichskanzlerpalais einen Sozialdemokraten, Philipp Scheidemann, zum Diner. In seinen Erinnerungen schrieb Scheidemann: „Jeder Satz des Kanzlers hat Sehnsucht nach Frieden und guten Willen geatmet.“ Von links und von rechts wurde ihm unterdessen Entscheidungsschwäche vorgeworfen. Das Fehlen einer politischen Mitte trat immer deutlicher zutage. Eine solche hätte sich vor allem auf die Nationalliberalen stützen müssen, die aber unter ihren annexionistischen Wortführern Ernst Bassermann und Gustav Stresemann nicht an eine Kooperation mit den hinter Bethmann Hollweg stehenden linksliberalen Fortschrittlern dachten. Wie klar der Kanzler schon im Frühjahr 1915 die militärische Situation des Reichs sah, zeigte ein ungewöhnlicher Vorschlag an das preußische Staatsministerium: Darin legte er die Abtretung der Landkreise Leobschütz und Pleß (Provinz Schlesien) an Österreich nahe, damit der Donaumonarchie Gebietskonzessionen an Italien leichter fallen würden.. Nur dadurch könne man den Kriegseintritt Italiens auf Seiten der Entente verhindern. Er erklärte den Ministern, dass, wenn Italien eingreife, der Krieg verloren sei. Seine Ministerkollegen lehnten den Vorschlag entsetzt als geradezu unpreußisch ab. Die am 23. Mai 1915 erfolgte Kriegserklärung Italiens erübrigte die weitere Erörterung des schlesischen Angebotes. Am 7. Mai 1915 torpedierte ein deutsches U-Boot das amerikanische Passagierschiff RMS Lusitania vor Irland. Dabei starben 120 Amerikaner, was das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten erheblich belastete. Damit trat die Frage des uneingeschränkten U-Boot-Krieges erneut auf die Tagesordnung. Im November 1914 hatte Tirpitz in einem Interview den U-Boot-Krieg als das einzige wirklich effektive Gegenmittel gegen die völkerrechtswidrige Seeblockade, die das Vereinigte Königreich über Deutschland verhängt hatte, bezeichnet. In der Erwartung, dass humanitäre Argumente bei der Admiralität kaum auf Widerhall stoßen würden, hatte der Reichskanzler versucht, durch kritische Fragen den uneingeschränkten U-Boot-Krieg zu vermeiden oder zumindest hinauszuzögern. So zweifelte er an der kriegsentscheidenden Bedeutung einer solchen militärischen Aktion gegen die britische Kriegswirtschaft. Auch befürchtete der Kanzler früh den Kriegseintritt der USA auf Seiten der Entente. Obwohl auch Generalstabschef Falkenhayn schwankte, gab Wilhelm II., der anfangs von einer unchristlichen Kriegsführung gesprochen hatte, der Admiralität teilweise nach. Im Februar 1915 erklärte der Kaiser die Gewässer um die britischen Inseln zum Kriegsgebiet. Dies bedeutete zwar keineswegs die Erlaubnis eines uneingeschränkten U-Boot-Krieges, doch löste die deutsche Vorgehensweise scharfe Proteste bei den neutralen Anrainerstaaten aus. Dennoch galt das Angebot des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson, für Vermittlung und Ausgleich zwischen den Kriegsparteien zu sorgen. Bethmann Hollweg war bereits 1911 von einer diplomatischen Bemühung Amerikas angetan gewesen: Damals hatte Präsident Theodore Roosevelt während eines Berlin-Aufenthaltes einen Transatlantischen Dreibund aus Großbritannien, Deutschland und den Vereinigten Staaten vorgeschlagen. Begeistert schrieb Bethmann Hollweg an die deutschen Botschaften in London und Washington, sie sollten an der Verwirklichung dieser Idee engagiert mitwirken.[103] Doch die internationale Entwicklung entfernte die Staaten immer weiter voneinander. Am 19. August 1915, noch immer im politischen Fahrwasser der Lusitania-Versenkung, trat Bethmann Hollweg vor den Deutschen Reichstag und sprach den markigen und nachhallenden Satz: „Die Macht können wir - auch nach außen hin - nur im Sinne der Freiheit gebrauchen.“ Die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in Großbritannien sorgte im Januar 1916 in Berlin und Washington gleichermaßen für Unmut. Präsident Wilson regte die Einberufung einer Friedenskonferenz an und entsandte den Sonderbeauftragten Oberst House (siehe auch: Grey-House-Memorandum) nach Berlin. Am 19. Februar 1916 wurde die bedeutsame U-Boot-Denkschrift des Reichskanzlers veröffentlicht. Darin verwendete er das später so berühmt gewordene Wort vom Eisernen Vorhang, der nicht um England gezogen werden dürfe. Gegenüber dem Admiral von Müller verlieh er seiner großen Sorge Ausdruck, die Neutralen könnten sich geschlossen gegen Deutschland stellen, wenn das Reich im Krieg nicht die völkerrechtlichen Abkommen der Haager Landkriegsordnung beachten würde. „Man wird uns erschlagen wie einen tollen Hund.“ Anfang März 1916 zeigte sich Bethmann Hollweg im Hauptquartier in Charleville in ungewohnter Härte. Unter Androhung seines Rücktritts setzte er die Herauszögerung des uneingeschränkten U-Boot-Krieges tatsächlich durch. Daher reichte Tirpitz wenig später seinen Rücktritt ein, den er am 12. März auch erhielt. Der größte Widersacher des Kanzlers und Befürworter der U-Boot-Kriegsführung, die Bethmann Hollweg ein Verbrechen am deutschen Volke nannte, war geschlagen. Am 10. März schrieb Albert Ballin an den Reichskanzler, dieser sei mit dem Krieg ganz außerordentlich gewachsen und nehme mit erstaunlicher Frische und Wucht Verantwortungen auf seine Schultern, denen er früher vermutlich ausgewichen sei. Der Kanzlerberater Riezler meinte, der Herr auf Hohenfinow sei in seine weltgeschichtliche Stellung hineingewachsen. In Berlin stand zu diesem Zeitpunkt (24. März 1916) allen Anschein nach das Auseinanderbrechen der SPD bevor. Während einer Reichstagssitzung hatten weite Kreise der Sozialdemokraten dem Regierungschef Bethmann Hollweg Zustimmung geäußert. Der gemäßigte Flügel unter Friedrich Ebert schien sich vollends von der linken Parteiseite zu trennen. Bethmann Hollweg hoffte auf einen Zusammenschlus der gemäßigten Sozialdemokraten und der Fortschritllichen Volkspartei zu einer Fraktion der Mitte (Fraktion der Vernünftigen). Doch noch am selben Tag trat die USA-Problematik durch den Abschuss der Sussex erneut hervor. Bethmann Hollweg drängte gegenüber dem amerikanischen Botschafter in Berlin, James W. Gerard, auf Vermittlung von Präsident Wilson im internationalen Konflikt. Er brachte die Entsendung eines deutschen Sondergesandten, für den er Wilhelm Solf vorsah, ins Gespräch und beteuerte, Deutschland stimme jederzeit einem Friedensschluss unter liberalen Bedingungen zu. Im Februar 1916 begann die deutsche Offensive vor Verdun. Falkenhayn wollte Frankreich, da ein schnelles Vorankommen, wie es 1870/71 geglückt war, an der Realität der Schützengräben scheiterte, ausbluten lassen. Als Nachrichten von den grausamen Umständen vor Verdun in die deutsche Presse kam, schrieb Bethmann Hollweg an Kabinettschef Rudolf von Valentini, er müsse den Kaiser dahin umstimmen, Paul von Hindenburg zum neuen Leiter des Generalstabs zu ernennen. Erst der Kriegseintritt Rumäniens im August 1916 brachte die Umstimmung des Kaisers und die Entlassung Falkenhayns mit sich. Unter dem neuen Führungsduo Hindenburg und Erich Ludendorff, den der Kaiser für einen zweifelhaften, vom Ehrgeiz zerfressenen Charakter hielt, nahm die dritte Oberste Heeresleitung ihre Arbeit auf. 1916 erhielt mit der Polenfrage ein altes Problem wieder Aktualität. Schon im Juli 1914 hatte Wilhelm II., dem polnischen Grafen Bogdan von Hutten-Czapski erklärt, er wolle, falls Deutschland siege, dem polnischen Volk die Freiheit schenken und es in die Unabhängigkeit entlassen. Ein Jahr später befand sich ganz Polen in der Hand der Mittelmächte. Falkenhayn drängte auf den Anschluss Polens an Österreich-Ungarn, was Bethmann Hollweg im Hinblick auf Aussicht eines Friedens mit Russland als die am wenigsten ungünstige Lösung bezeichnete. Mit dem Wechsel im Generalstab änderte sich der Tonfall: General Ludendorff forderte die sofortige Errichtung eines scheinselbstständigen Königreichs Polen als Zuchtstätte für Menschen, die für weitere Kämpfe im Osten nötig sind. Ludendorffs Gedanken von Zwangserhebungen in Polen standen im Gegensatz zu den Vorstellungen des Kanzlers. Im Frühjahr 1916 fand der Kanzler im Reichstag eindringliche Worte gegen den Annexionismus: „Für Deutschland, nicht für ein fremdes Stück Land, bluten und sterben Deutschlands Söhne.“ Daraufhin sprang der sozialdemokratische Abgeordnete Karl Liebknecht, Wortführer des Bethmann-feindlichen, linksradikalen SPD-Flügels, auf und rief erregt: Das ist nicht wahr! In Verhandlungen mit dem österreichischen Außenminister Stephan Burián von Rajecz im August 1916 einigten sich die Vertreter der Mittelmächte auf ein unabhängiges konstitutionelles Königreich Polen, dass aber, wie Bethmann Hollweg durchsetzte, erst nach Kriegsende ausgerufen werden sollte. Am 18. Oktober 1916 wurde nach Protesten aus Wien die Einigung über Polen vom August für ungültig erklärt und die Unabhängigkeit Polens auf den November vorgezogen. Am 5. November 1916 wurde die Proklamation des Regentschaftskönigreich Polen verkündet. Bethmann Hollweg war dem Druck der Heeresleitung und der Donaumonarchie erlegen. Nur Zwangsrekrutierungen konnte er verhindern, doch die Tatsache, dass die Militärs mit der Polnischen Wehrmacht sofort nach Ausrufung der polnischen Unabhängigkeit mit der Rekrutierung erster Freiwilliger anfingen, offenbarte die radikalen Pläne Ludendorffs. Obwohl der Kanzler nicht die treibende Kraft in der Polenfrage war, ja sogar offenen Widerstand gegen die OHL leistete, war er der letztlich politisch Verantwortliche und den Anklagen der Geschichte ausgesetzt. Kurt Riezler schrieb dazu treffend: Der General drängt, der Kanzler zögert. Im Herbst 1916 war von der OHL, die zunehmend zur tatsächlich regierenden Kraft im Reich wurde, ein Kriegsleistungsgesetzentwurf ausgearbeitet worden. Dieser stand unter dem Motto Wer nicht arbeiten will, soll auch nichts essen und enthielt u.A. den Vorschlag der Frauenzwangsarbeit. Oberst Max Bauer, der Verfasser der Schrift, stieß auf entsetzte Proteste beim Kanzler und dem Preußischen Kriegsministerium, die den Plan schließlich zu Fall brachten. Zur gleichen Zeit erfolgte auf Drängen der OHL die Deportation belgischer Arbeiter ins Reich. Trotz des Appells Bethmann Hollwegs, die Frage der Zwangsarbeiter sorgfältig zu prüfen, fanden solche Zwangsmaßnahmen bis Februar 1917 statt. Am 9. November 1916 hielt Bethmann Hollweg eine viel beachtete Rede vor dem Hauptausschuss des Reichstags. Nachdem er, in Erwiderung der Vorwürfe des britischen Außenministers, bekräftigte hatte, die Annexion Belgiens niemals als deutsche Absicht bezeichnet zu haben, rief er: „Deutschland ist jederzeit bereit einem Völkerbund beizutreten, ja, sich an die Spitze eines Völkerbundes zu stellen, der Friedensstörer im Zaume hält.“ Diese fortschrittlichen Worte stellten zudem die Zustimmung des Kanzlers zu den Ausführungen des amerikanischen Präsidenten Wilson dar, der einen Verständigungsfrieden auf der Grundlage eines zu gründenden Völkerbundes gefordert hatte. Doch Friedensinitiative US-Präsident Wilsons wurde von diesem nur langsam betrieben, da er sie als Nachteil im anstehenden amerikanischen Wahlkampf betrachtete. Zudem musste das Bethmann-freundliche Lager in Deutschland den Aufstieg des Walisers Lloyd George in Großbritannien mit Sorge verfolgen. Im September 1916 sprach Lloyd George sein berühmtes Wort vom Knock-Out, dem Deutschland erliegen müsse. George stieg im Dezember 1916 schließlich zum britischen Premierminister auf. Die Zentrumsfraktion brachte am 7. Oktober durch eine Resolution eine Wendung in die Frage des uneingeschränkten U-Boot-Krieges. Das Zentrum schwenkte darin gänzlich auf die Linie der Militärs um und forderte erstmals den uneingeschränkten U-Boot-Krieg. Bethmann Hollweg schrieb später in seinen Betrachtungen, das Parlament habe damit die politische Macht vollends an die OHL abgegeben. Im Staatsministerium machte der Kanzler am 20. Oktober den Vorschlag eines eigenen Friedensangebotes der Mittelmächte, wobei er sich auf das Ausbleiben einer greifbaren Initiative der USA und die Unterstützung des Österreichers Burián berief. Ihm schwebte die weitestgehende Wiederherstellung der Vorkriegssituation vor. Admiral Henning von Holtzendorff schrieb anlässlich des Kanzlervorschlags an Admiral von Müller: Nichts als Sorge, nichts als Friedenssehnsucht kultiviert sein Hirn und Herz. Mitte November 1916 ließ Bethmann Hollweg über den Botschafter Johann Heinrich Graf von Bernstorff in Washington anfragen, wie es mit der Aussicht auf eine Friedenskonferenz stünde. Doch als das Weiße Haus weiterhin Unentschlossenheit zeigte, sah Bethmann Hollweg die vielleicht letzte Chance auf einen Ausgleichsfrieden in einem eigenen Friedensangebot. Nach dem Sieg über Rumänien, als die militärische Situation sich wieder zugunsten des Kaiserreichs geändert hatte, offerierte der Kanzler am 12. Dezember im Reichstag der Entente einen Frieden der Verständigung. Dabei hatte er die volle Unterstützung des Kaisers hinter sich, der in Zustimmung zu den Bemühungen Bethmann Hollwegs schrieb, der Friedensvorschlag sei eine sittliche Tat, die notwendig ist, um die Welt von dem auf allen lastenden Druck zu befreien. Am 18. Dezember erfolgte dann doch die lang erwartete Friedensinitiative Wilsons. Der amerikanische Präsident forderte die Offenlegung klar formulierter Kriegsziele, wozu das Kaiserreich bereit war, ebenso zur Freigabe Belgiens. Als Reaktion auf alldeutsche Forderungen machte Wilhelm Solf den ausgleichenden Vorschlag, ein zusammenhängendes deutsches Kolonialreich in Zentralafrika unter Annexion Belgisch-Kongos zu schaffen. Durch die Schaffung eines Deutsch-Mittelafrika sollte der zukünftige Frieden nicht durch Annexionen in Europa belastet werden. Dabei war die Umsetzung des kolonialen Kriegszieles niemals vorranging. Stattdessen kam es Bethmann Hollweg und Solf auf die Formulierung eines in In- und Ausland akzeptablen deutschen Kriegszieles im Falle eines Siegfriedens, an den die beiden Politiker ohnehin nicht mehr glaubten, an. Doch nachdem die Entente ihrerseits nicht zu solchen Kompromissen bereit war, forderte Bethmann Hollweg am 7. Januar 1917 das sofortige Einlenken der Feinde, ansonsten würde Deutschland mit dem uneingeschränkten U-Boot-Krieg reagieren. Die Randbemerkung des Kanzlers an diese Eingabe, die an Botschafter Bernstorff geschickt wurde, zeigte wiederum die ausweglose Lage: Vielleicht wissen Sie ja noch eine Möglichkeit, den Bruch mit Amerika zu vermeiden. Am Tag darauf reiste der Reichskanzler anlässlich des dort tagenden Kronrates nach Pleß (Schlesien), wo die Entscheidung über den U-Boot-Krieg fallen sollte. Nachdem die OHL und der Reichstag bereits ihre Zustimmung geäußert hatten, lag die letzte Entscheidung nun beim Kaiser. Dieser war, wie Bethmann Hollweg später schrieb, bei der Ankunft des Kanzlers bereits ganz hinter Ludendorff zurückgetreten. Dieser behauptete, Amerika habe keine Soldaten und falls doch, so seien Frankreich und England durch die U-Boot-Kriegsführung bei der Ankunft der US-Streitkräfte schon besiegt. Diese Argumentation ließ den Kaiser fragen, warum Bethmann Hollweg denn immer noch Bedenken habe. Einerseits lässt sich gegen Bethmann Hollwegs spätere Feststellung, der U-Boot-Krieg sei letztendlich gemacht worden, weil eine Mehrheit in Reichstag, Oberster Heeresleitung und dem deutschen Volk ihn gewollt habe, kaum etwas sagen. Andererseits hatte er doch bis zuletzt für einen Ausgleichsfrieden gekämpft und von den Bedenken seiner politischen Freunde, insbesondere Solfs und Bernstorffs, gewusst. Wilhelm Solf war von der Nachricht aus Pleß tief enttäuscht und ließ sich krankschreiben. Er schrieb: Man kann nicht mit der einen Hand den Olivenzweig halten und mit der anderen die Pistole abknallen. Diese Existenzfragen führten beim Reichskanzler zu Rücktrittsgedanken. Doch er blieb, was Ballin als Kleben am Amt bezeichnete. Walther Rathenau gegenüber sagte er später, er sei geblieben, um trotz des U-Boot-Krieges die Chancen auf einen Verständigungsfrieden zu bewahren. Zu Riezler meinte er 1919, er habe dem Säbelregiment der Alldeutschen nicht den Platz räumen wollen. Doch letztendlich leitete ihn das tiefe Treuegefühl zum Kaiser, den er nicht durch seinen Rücktritt bloßstellen wollte. In Deutschland galt Bethmann Hollweg seit diesem Tag als gescheiterter Politiker. Noch nach der Entscheidung von Pleß verlas Wilson am 22. Januar vor dem amerikanischen Senat eine Botschaft - Vorläuferin des 14-Punkte-Programms - in der er für einen Frieden ohne Sieger und das Selbstbestimmungsrecht der Völker plädierte. Im März 1917 erschütterte die russische Februarrevolution das europäische Machtgefüge. Am 29. März trat Bethmann Hollweg vor die Presse und erklärte entgegen den Wünschen der Konservativen, das Reich werde die Regierung des Zaren unter keinen Umständen wieder einsetzen. Die inneren Angelegenheiten Russlands seien Sache des russischen Volkes. Zudem erschien ihm durch die innenpolitischen Wirren die Chance auf einen Sonderfrieden mit Russland größer, was auch in der Unterstützung des Kaiserreichs für die Rückreise Lenins Ausdruck fand. Durch die neue Sachlage, die sich auch durch den erwarteten Kriegseintritt Amerikas am 9. April ergab, veranlasst, lud Wilhelm II. zu einer Besprechung der Kriegsziele ins Hauptquartier nach Bad Kreuznach. Am 23. April 1917 fanden die Diskussionen, zu denen auch Mustafa Kemal Pascha erschienen war, in angespannter Atmosphäre statt: Zunächst stellte Bethmann Hollweg den Verzicht auf alle Annexionen in Erwägung. Dies lehnte die OHL grundsätzlich ab. Stattdessen führten die Militärs ihre Vorstellungen unbehelligt aus. Valentini nannte die Gespräche kindisch, da alle Beteiligten bemerkten, dass der Kanzler den Kriegszielen der OHL nur zustimmte, weil er an ihre Ausführung nie glaubte. Ich habe das Protokoll nur mitgezeichnet, weil mein Abgang über Phantastereien lächerlich wäre. Im übrigen lasse ich mich durch das Protokoll in keiner Weise binden. Wenn sich irgendwo Friedensmöglichkeiten eröffnen, verfolge ich sie. Seine tatsächliche Beengtheit zeigen Äußerungen gegenüber seinem Freund Weizsäcker: Im Schützengraben zu sein, ist leichter, da kann man sich eine Kugel durch den Kopf schießen. In dieser furchtbaren Lage kann ich das nicht. In diesen Tagen trat die Frage der so lange verschobenen Wahlrechtsreform in Preußen wieder auf die politische Tagesordnung. Die Sozialdemokraten nannten im Frühjahr 1917 die Behandlung dieser Frage einen Skandal und forderten Mut zur befreienden Tat. Am 27. Februar 1917 trat Bethmann Hollweg vor den Reichstag und führte in seiner Rede, die er später seine bedeutsamste nannte, seine Ansichten zur Neuorientierung aus. Als ob es in unserem Belieben läge, ob wir uns neu orientieren wollen oder nicht. Nein, eine neue Zeit mit einem erneuerten Volk ist da. Der gewaltige Krieg hat sie geschaffen. Jenseits von allen westlichen Grundsätzen forderte der Kanzler, den richtigen politischen Ausdruck für das zu finden, was dieses Volk ist. Die typisch deutsche Ausprägung einer freiheitlichen Staatsform sah er in einer Monarchie, die sich auf die breiten Schultern des freien Mannes stütze. Dies sei der wahre Sinn des preußischen Königtums. Die Linke versuchte er erneut auf die bestehende Staatsform zu verpflichten: Ein fortschrittliches, soziales Volkskaisertum erschien ihm für rechts und links annehmbar und daher die langfristige Lösung der inneren Probleme. Doch diese Staatsform war nach außen hin - insbesondere in Hinblick auf die USA - ohne Werbekraft. Bethmann Hollwegs schicksalhafte intellektuelle Begrenzung im deutschen Idealismus ließ ihn die internationale Wirkung verkennen. In den letzten Monaten seiner Amtszeit verfolgte der Reichskanzler das Ziel einer parlamentarischen Monarchie und trieb nun somit auch die Frage des allgemeinen Wahlrechts voran. Am 9. März entfernten sich die Konservativen noch weiter von der Mitte und lehnten nunmehr den ganzen liberalen und parlamentarischen Gedanken ab. Um den Bruch mit den Konservativen zu vermeiden, verzichtete der Kanzler und preußische Ministerpräsident in seinen Ausführungen im preußischen Herrenhaus wiederum auf allgemeine Verfassungstheorie. Doch erteilte er dem Verharren auf das Dreiklassenwahlrecht eine klare Absage und bekannte, dass ihm die möglichst baldige Reform des Wahlrechts am liebsten sei. Dennoch wies er darauf hin, dass Hektik in dieser Frage tödlich wirken könne und rief die weithallenden Worte: „Wehe dem Staatsmann, der die Zeichen der Zeit nicht erkennt, wehe dem Staatsmann, der glaubt, dass wir nach einer Katastrophe, wie sie die Welt überhaupt noch nicht gesehen hat, einfach an das anknüpfen könnten, was vorher war.“ Obwohl Bethmann Hollweg den Bruch durch unpräzise Formulierungen hatte vermeiden wollen, fasste die Rechte die Rede als Ausdruck staatsfeindlicher Gesinnung auf. Der reaktionäre Flügel der Konservativen beschimpfte den Kanzler als Gefolgsmann der Juden und Sozialdemokraten. Der fortschrittliche Conrad Haußmann sprach dagegen von einem historischen Ereignis, da sich der Kanzler offen auf die linke Seite gestellt habe. Wie sehr Bethmann Hollweg, trotz seiner teils vertröstenden Ausführung, jetzt doch noch bereit war, seine freiheitlichen Auffassungen in die Tat umzusetzen, verdeutlichen seine Ausführungen gegenüber Oettingen: Wenn er sich stärker fühle, würde er sich selbst an die Spitze der Sozialdemokraten setzen und das gleiche Wahlrecht sofort und ohne weiteres einführen. Aber er sei schwach und die Konservativen seine grimmigsten Feinde, viel stärker als es schiene. Am 31. März 1917 berief Bethmann Hollweg eine Kommission zur Ausarbeitung einer kaiserlichen Botschaft, die das gleiche Wahlrecht ausdrücklich nennen sollte. Der müde und verbrauchte Kanzler raffte all seine verbliebene Entschlossenheit zusammen und reiste nach Bad Homburg zu Wilhelm II.. Innenminister von Loebell, der größte politische Gegner der Neuorientierung, war gerade erkrankt, was die Situation Bethmann Hollwegs kurzzeitig verbesserte. Der Kaiser sprach sich zwar für die Neuorientierung aus, verweigerte aber unter Rücksichtnahme auf die konservativen Kreise den direkten Hinweis auf das gleiche Wahlrecht. Bethmann Hollweg legte dem Kaiser bewegt dar, dass es ihm unmöglich sei, eine Vorlage zu vertreten, nach der ein mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse geschmückter Arbeiter neben einem bemittelten Drückeberger desselben Dorfes mit ungleichem Stimmrecht zur Wahl gehen müsse. Schließlich stimmte Wilhelm II. den Formulierungen der Osterbotschaft und damit der Demokratisierung Preußens zu. Ludendorff bezeichnete die Osterbotschaft vom 7. April, die die Abschaffung des Dreiklassenwahlrechts versprach, als Kotau vor der Revolution. Ende Juni sandten Scheidemann und Eduard David dem Kanzler einen Bericht über den Internationalen Sozialistenkongress in Stockholm zu, in dem sie die Chance auf einen russischen Sonderfrieden als sehr gering einschätzten. Bethmann Hollweg, an den Ausführungen der Sozialdemokraten interessiert, erbat und erhielt ein entsprechendes Memorandum. Die SPD forderte von der deutschen Regierung ein klares Bekenntnis zu einem Frieden ohne Annexionen. In diese Zeit fiel die Hoffnung auf die Friedensinitiative des Papstes, Benedikt XV.. Dieser hatte angeboten, zwischen den Kriegsparteien zu vermitteln. Kanzler und Wilhelm II. erklärten sich mit den Bemühungen des Papstes einverstanden und waren zur Freigabe Belgiens und Abtrennung Elsass-Lothringens bereit. Der hochzufriedene Nuntius in München sagte später vertraulich, dass die Friedensaussichten ohne den Abgang Bethmann Hollwegs gut gewesen seien. In dieser Situation fand der Zentrumsabgeordnete Matthias Erzberger mit seiner Initiative einer Friedensbemühung des Reichstags beim parlamentarischen Hauptausschuss Gehör. Die Bestrebungen, die sich in ihrer Radikalität auch gegen den Kanzler richteten, verwunderten Bethmann Hollweg, war doch die Position der breiten Reichstagsmehrheit auch immer die seine gewesen. Ludendorff sah nun die Chance, das Ziel der Absetzung des Kanzlers durch die Parlamentarier betreiben zu lassen. Im Vordergrund seiner Überlegungen stand Gustav Stresemann, der den Kanzler, ungeachtet seiner eigenen annexionistischen Positionen, für einen Verhandlungsfrieden für ungeeignet erklärte: Es gibt keinen vergewaltigten Reichskanzler. Ein Reichskanzler muss sich durchsetzen können, wenn er das nicht kann, muss er die Konsequenzen ziehen. In seiner Antwort sprach Bethmann Hollweg von den überwältigenden Leistungen des Volkes in diesem Kriege. Er war der festen Überzeugung, dass das gleiche Wahlrecht keine Beeinträchtigung, sondern außerordentliche Stärkung und Festigung des monarchischen Gedankens bringen würde. Unter dem Eindruck dieser Worte sagte Kaiser Wilhelm II. zu seinem Kabinettschef von Valentini: „Und den Mann soll ich entlassen, der alle anderen um Haupteslänge überragt!“ Wilhelm Solf nannte dies später einen vollen Sieg der Idee des sozialen Kaisertums. Zwei Tage nach der Rede des Kanzlers veröffentlichte der Kaiser seine Julibotschaft, in der er zusagte, dass die nächsten Wahlen nach dem neuen, gleichen Wahlrecht stattfinden können. Als Reaktion darauf verbreitete Oberst Max Bauer, Beauftragter der OHL, die Nachricht, dass Ludendorff den Krieg für verloren halte, wenn der Kanzler bliebe. Kronprinz Wilhelm schlug seinem Vater vor, Vertreter der Reichstagsfraktionen zum Verbleiben des Kanzlers zu befragen. Die Abgeordneten Kuno von Westarp, Gustav Stresemann und Erich Mertin sprachen sich für die Entlassung des Kanzlers aus, lediglich Friedrich von Payer und Eduard David für seinen Verbleib im Amt. Um dem Kaiser und sich die Peinlichkeit einer Entlassung zu ersparen, reichte Bethmann Hollweg am 13. Juli 1917 seinen Rücktritt ein. Erst nach seinem Rücktritt wurde Preußen im Zuge der Oktoberreform für kurze Zeit eine parlamentarische Monarchie. Rücktritt und Ruhestand Bethmann Hollweg schien den Mehrheitsparteien des Reichstags bei ihren Bemühungen um einen Verständigungsfrieden als Verhandlungsführer mit den Kriegsgegnern nicht akzeptabel, da er schon zu lange in dieser Position war und ihrer Ansicht nach zu schwach gegenüber der Obersten Heeresleitung auftrat. Der Obersten Heeresleitung war er zu kompromissbereit, hatte er doch innere Reformen in Aussicht gestellt. Es war dann auch Ludendorff von der dritten OHL, der in einem Fernschreiben am 12. Juli 1917 an den Kaiser seinen Rücktritt androhte: „Euer Majestät haben sich in der schwersten Krise, die über Deutschland und Preußen hereingebrochen ist, für den Verbleib des Leiters dieser Politik, den Herrn Reichskanzler, in seinem Amt entschieden. [...] Das Vaterland muss an diesem Mangel an vertrauensvoller Zusammenarbeit leiden. Euer Majestät ausgleichender Befehl kann dies nicht verhindern. Euer Majestät kann ich in meiner Stellung nicht mehr dienen, und Euer Majestät bitte ich untertänigst, mir den Abschied zu bewilligen.“ Hindenburg schloss sich diesem Ultimatum an, der Kaiser gab nach und genehmigte Bethmann Hollweg, seinen Abschied zu nehmen. Die Reaktionen auf den Rücktritt des Reichskanzlers waren ebenso unterschiedlich wie die Einschätzungen seiner Tätigkeit in seiner Amtszeit. Der deutsche Kronprinz sprach vom schönsten Tag seines Lebens. Dagegen waren seine Unterstützer Solf und Max von Baden enttäuscht über die Nachricht seines Rücktritts. Georg von Hertling sprach rückblickend über dieses Ereignis, er habe in Berlin nur Verwirrung, Ratlosigkeit und Direktionslosigkeit gefunden. Die Einigkeit sei nur in einem Gedanken vorhanden gewesen: Bethmann musste weg, wer nachkommt ist einerlei. Der Kanzler selbst schrieb an Eisendecher, er könne ohne Bitterkeit, aber mit Schmerz über das Schauspiel, das Deutschland dem aufhorchenden Feinde biete, seinen Platz räumen. Sein Nachfolger Michaelis, durch die OHL benannt, verhinderte durch die Rücknahme der Konzessionen, u.A. der Wiederherstellung Belgiens, das weitere Gedeihen der päpstlichen Friedensinitiative. Auf Michaelis folgte Graf Hertling, ein konservativer Süddeutscher, den Bethmann Hollweg von Anfang an als seinen Nachfolger gewünscht hatte. Dennoch bekannte Hertling, dass ihm die sehr weit nach links gerichteten Anschauungen Bethmanns zuwider liefen. Nachdem im Januar 1918 der gemäßigte Kabinettschef von Valentini aus dem Amt gedrängt wurde, schrieb der Reichskanzler, in Berlin werde immer mehr reaktionärer Chauvinismus Trumpf. Zu den Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk meinte Bethmann Hollweg, der soldatisch gerechtfertigte Wille zum Sieg müsse seine Beschränkung in der Einsicht des Erreichbaren finden. Gleichzeitig zweifelte er am Sinn seiner Ausführungen: Es ist ja doch in den Wind. Ein abgetakelter und überflüssig gewordener Staatsmann hält am besten das Maul. Altkanzler Bethmann Hollweg setzte sich auf seinem Gut Hohenfinow zur Ruhe und widmete sich der Landwirtschaft. Er empfing seine verbliebenen politischen Freunde, wie Adolf von Harnack, Hans Delbrück, Friedrich Meinecke, Wilhelm Solf, Walter Goetz und Ernst Troeltsch. Seinen Lebenswandel bezeichnete er als etwas dürftig, auch die politischen Gespräche verschafften ihm keinen mentalen Auftrieb. Im November 1918 erschütterte die Revolution das Kaiserreich. Der Umsturz, den der Altkanzler als désastre bewertete, veränderte die politische Situation und brachte auch für Bethmann Hollweg neue Erkenntnisse. Das Ergebnis des Weltkrieges hätte ein echter Völkerbund sein sollen, doch jetzt werde nur ein auf imperialistischen Orgien aufgebauter Scheinbund die Folge sein. Vor der Revolution riet er Wilhelm Solf, der zum Leiter der deutschen Außenpolitik aufgestiegen war, die Note Wilsons, die verschleiert die Absetzung der Hohenzollern forderte, nicht zu energisch zu beantworten, damit keine diplomatischen Fäden rissen. Denn ob man wolle oder nicht, man stehe an der Schwelle einer neuen Zeit und zwar der demokratischen. 1919 sollte Wilhelm II. vor einem Tribunal der Entente verhört werden. Bethmann Hollweg erwies dem Kaiser einen letzten Treuebeweis und bot an, selbst anstatt des Kaisers vernommen zu werden. Schließlich sei er der politisch Verantwortliche gewesen. Im Mai 1919 erschien zudem der erste Teil seiner Betrachtungen zum Weltkrieg, in dem Bethmann Hollweg die Vorgeschichte des Krieges schilderte. Rückblickend betrachtete Bethmann Hollweg den Anteil Deutschlands am Kriegsausbruch folgendermaßen: „Wir waren durch 70/71 und durch unsere geographische Mittellage aufs schwerste belastet. Seit dem Regierungsantritt des Kaisers haben wir oft das Gegenteil von dem getan, womit wir die Last hätten erträglich machen können. Freilich hätte sich der Weltimperialismus auch ohne unser Zutun durchgesetzt, und sehr fraglich bleibt, ob wir es selbst bei vernünftigem Auftreten hätten verhindern können, dass sich die natürlichen französischen, russischen und englischen Gegensätze gegen uns zusammenschlossen. Schuld haben wir auf uns geladen, aber nur allseitige und gemeinsame Schuld hat die Weltkatastrophe entstehen lassen können.“ Über der Arbeit am zweiten Teil seiner Betrachtungen verstarb Theobald von Bethmann Hollweg nach dem Neujahrstag 1921. Seine Betrachtungen mussten unvollendet bleiben. Auf dem Grabstein des Reichskanzlers, der wie kaum ein anderer mit den Problemen seines Landes gerungen hatte, prangt bis heute der selbst gewählte Bibelvers: Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit. Wirkung Nachleben Bald nach dem Ableben des Reichskanzlers bildete sich um Hans von Seeckt, Walter Simons und Wilhelm Solf der SeSiSo-Club. Dieser pflegte es bis 1936, sich am Geburtstag Bethmann Hollwegs zu sogenannten Bethmann-Essen im Hotel Kaiserhof zu treffen, um durch Gespräche und Vorträge das Andenken des Kanzlers zu bewahren. Die Teilnehmer der Bethmann-Abende setzten sich zunächst aus Bethmann Hollwegs ehemaligen Mitarbeitern zusammen. An ihrer Spitze standen Wilhelm Solf, mittlerweile Leiter der deutschen Außenpolitik, der ehemalige Chef der Reichskanzlei, Arnold Wahnschaffe und Johann Heinrich Bernstorff, der als Botschafter in Washington die Friedenspolitik Bethmann Hollwegs unterstützt hatte. Hinzu kamen einige Bethmannsche Verwandte, wie Gerhard von Mutius. Unregelmäßige, aber interessierte Teilnehmer waren u.A. Max Cohen, Paul Rohrbach, Harry Graf Kessler, Ernst von Harnack, Bernhard Lichtenberg, Adam von Trott zu Solz und Kurt von Hammerstein-Equord. Einer der prominentesten Teilnehmer eines Bethmann-Abends war Richard Nikolaus Graf von Coudenhove-Kalergi, der Gründer der Paneuropa-Bewegung.[162] Dieser kleine, aber erlesene Kreis von Freunden der Person und Politik des Reichskanzlers Bethmann Hollweg bildete die einzige Gruppe, die gegen die polemischen Abhandlungen der Alldeutschen, wie Hans von Liebigs, deutlich Stellung bezogen. Nach dem Tod des Reichskanzlers ging wie schon zu Lebzeiten der Schlagabtausch zwischen dem Bethmann-freundlichen und -feindlichen Lager weiter. Der nach dem Kriegsende endgültig zerbrochene Burgfrieden wurde durch die Situation der Weimarer Republik erst recht in den Hintergrund gerückt. Eine politische Mitte konnte sich unter den immer größer werdenden Klüften nicht bilden. So gelang auch keiner des Bethmann Hollwegschen Freundeskreises zu größerem Einfluss. Der einzige Politiker, dessen Weltanschauung mit der Bethmann Hollwegs verwandt war, schien Stresemann zu sein. Doch gerade dieser hatte als nationalliberaler Abgeordneter gegen Bethmann Hollweg gewettert. Mathias Erzberger und Walther Rathenau fielen dagegen bald den Morden rechtsgerichteter Täter zum Opfer. Die Sichtweise der Wissenschaft auf Bethmann Hollweg war ebenfalls geprägt durch Verdammung von links und rechts. Dennoch mussten viele, die ihm zu seiner Amtszeit kritisch gegenüber standen, im Rückblick Anerkennung entgegenbringen, so z.B. Hindenburg und der Kronprinz. Adolf Hitler bedachte die Persönlichkeit des Reichskanzlers in seinem Buch Mein Kampf mit feindseliger Aufmerksamkeit. Hitler beklagte die elende Haltung und Schwäche dieses philosophierenden Schwächlings. Seine Reichstagsreden nannte er ein hilfloses Gestammel. Tirpitz verurteilte im Zusammenhang mit Bethmann Hollwegs Ausgleichspolitik die Hinneigung unserer Intellektuellen zur westlichen Kultur. Die Gedanken des Widerstands gegen den Nationalsozialismus standen zu weiten Teilen den Überlegungen Bethmann Hollwegs von Erneuerung und Neuorientierung nahe. Angehörige des SeSiSo-Clubs, wie Albrecht Graf von Bernstorff, Arthur Zarden und Wilhelm Staehle, beteiligten sich an Treffen des Solf-Kreises, der sich um die Ehefrau Wilhelm Solfs, Hanna Solf, gebildet hatte. Einige waren in die Pläne um den 20. Juli 1944 eingeweiht. Der Kreisauer Kreis um Helmuth James Graf von Moltke berief sich in seinen Visionen auf Bethmann Hollweg. An den Folgen des Ersten Weltkriegs, den auch Bethmann Hollweg nicht hatte verhindern können, leidet die Welt zum Teil noch heute. (siehe auch: Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts) Das Scheitern der preußischen Wahlrechtsreform blieb ebenfalls nicht folgenlos. Ein Historiker in der Weimarer Republik schrieb: Es genügt eben nicht, das Beste gewollt zu haben. [...] In der Politik genügt nur, das Beste auch getan zu haben. Und das eben ist Bethmann Hollweg dem deutschen Volk schuldig geblieben. Als er, zu spät, beginnen wollte, fiel er. Dennoch wirkte und wirkt die Amtszeit Bethmann Hollwegs nach. Sein Einfluss auf gesellschaftliche Gruppen der Weimarer Republik und die Widerstandsbewegung des Nationalsozialismus zeigen, dass er doch mehr als nur ein gescheiterter Politiker sein musste. Der Umgang Bethmann Hollwegs mit der Sozialdemokratie beeinflusste den Verlauf der Geschichte der SPD. Auch durch den Burgfrieden wurde die SPD auch für weite Teile des Bürgertums „wählbar“ und konnte als Volkspartei großen Einfluss auf die Verfassung der Weimarer Republik wie auch auf die der Bundesrepublik Deutschland ausüben. Ohne die Initiative des Reichskanzlers, die SPD in das politische System zu integrieren, wäre die Entwicklung der SPD hin zur bürgerlichen Volkspartei links der Mitte nach Ansicht des Historikers Eberhard von Vietsch erschwert gewesen. Das politische Erbe Bethmann Hollwegs fiel im Zuge des Zweiten Weltkriegs, der auch die Zerstörung des Gutshauses Hohenfinow und des größten Teils des Bethmannschen Nachlasses brachte, und der Geschichtspolitik der DDR dem Vergessen anheim. Erst die Fischer-Kontroverse brachte Bethmann Hollweg wieder in den Fokus der Öffentlichkeit. Dabei wurde der alte Konflikt um den Reichskanzler auch in der Wissenschaft ausgetragen. Der Bethmann Hollweg-Biograph von Vietsch sieht im Hinblick auf das politische Erbe des Kanzlers Analogien in den Weltanschauungen Bethmann Hollwegs und John F. Kennedys. Beide hätten sich für das Ideal der Gerechtigkeit eingesetzt, zur Vereinigung von Freiheit und Ordnung. In Hohenfinow erinnert heute nur noch das verwitterte und teilweise zerstörte Grab des Reichskanzlers an den Sohn des Ortes (Abbildung siehe oben). Er ist der einzige Reichskanzler des Deutschen Kaiserreichs, nach dem keine Straße benannt wurde. Kritik in der Geschichtswissenschaft Bethmann Hollwegs innenpolitische Gegner warfen ihm vor ein Flaumacher zu sein, der mit einem faulen Frieden das Volk um die Früchte des Sieges betrügen wolle. Diese Einschätzung bewahrten nationale Parteien in der Weimarer Republik, bis sie mit dem Sieg der NSDAP schließlich offiziell wurde. Später, nach 1945, wurde Bethmann Hollweg als Kanzler ohne Eigenschaften, als unentschlossener, an sich selbst zweifelnder Hamlet betrachtet. Bei der Beurteilung der Person Bethmann Hollwegs durch die deutsche Geschichtsschreibung wechselte laut Imanuel Geiss das deutsche Geschichtsbild im Laufe der Zeit. Aus der guten, starken OHL unter Ludendorff und dem bösen, schwachen Bethmann Hollweg wurde der gutmütige Philosoph von Hohenfinow und der böse Ludendorff. Bethmann Hollweg und die Mehrheitsparteien der Friedensresolution wurden von konservativen Historikern zu Vertretern eines besseren Deutschland umstilisiert, während Ludendorff und die Alldeutschen nun als kleine, unverantwortliche Clique nationalistischer Größenwahnsinniger abqualifiziert wurden. Kriegsziele für sich in seiner Eigenschaft als Reichskanzler grundsätzlich abzulehnen, meinte Fritz Fischer, würde soviel gewesen sein, als vom Papst zu verlangen, dass er sich zum Protestantismus bekehre. Bethmann Hollweg war also nicht grundsätzlich gegen Kriegsziele, wie das Septemberprogramm zeigt, nur bedingte seine realistischere Einschätzung der militärischen Lage und des weit größeren wirtschaftlichen und militärischen Potentials der Gegner, auch realistischere Kriegszielforderungen. Für ihn blieb die Politik, wie er in einem Brief an Hindenburg betonte, immer die Kunst des Erreichbaren (4. Januar 1917). Egmont Zechlin spricht der Regierung Bethmann Hollweg die Verfolgung tatsächlicher Kriegsziele gänzlich ab, weil seines Erachtens zielbewusste Planung, politische Aktivität, Eigeninitiative, Ernsthaftigkeit und Endgültigkeit für die Erörterung von Kriegszielen nicht vorhanden gewesen seien. Dass die Kriegsziele Bethmann Hollwegs im Vergleich zu den Alldeutschen insgesamt gemäßigter waren, wird in der Geschichtswissenschaft nicht bezweifelt. Dennoch hätten nach Geiss auch sie eine für Europa und die Welt schlechterdings unerträgliche deutsche Hegemonie auf dem Kontinent etabliert. Sie waren nur eine weniger schrille Variation des gleichen Themas. Die am weitesten gefassten Ziele strebte Bethmann Hollweg, aufgrund seiner Russophobie, im Osten bei seiner Randstaatenpolitik an. Am 11. August 1915 schrieb er an den Kaiser: „Wenn die Entwicklung der militärischen Ereignisse und der Vorgänge in Russland selbst, eine Zurückdrängung des Moskowiterreiches nach Osten unter Absplitterung seiner westlichen Landesteile ermöglichen sollten, so wäre uns mit der Befreiung von diesem Alp im Osten gewiss ein erstrebenswertes Ziel geboten, welches die Opfer und außerordentlichen Anstrengungen dieses Krieges wert wäre.“ Bei den Sonderfriedensverhandlungen mit Russland stellte er aber, ebenso wie Jagow, seine Russophobie in den Hintergrund. Auch der Bethmann Hollweg-Biograf Eberhard von Vietsch gibt zu, dass die Einsicht in die Problematik von Annexionen jeden Umfangs gewiss mit der sich für Deutschland verschlechternden militärischen Lage zusammenhing. Wenn Deutschland stark genug gewesen wäre, hätte er nichts gegen große Ziele gehabt, aber die Stärke des Reiches würde durch deren vorzeitige Proklamierung nicht wachsen. Die wilden Forderungen der Annexionisten würden sogar einen Teil der Verantwortung für die Verlängerung des Krieges tragen. Seine relative Mäßigung, mit unverbindlichen Formulierungen bei allen Kriegszielforderungen, steht aber auch im Zusammenhang mit seiner Burgfriedenspolitik mit den Sozialdemokraten. Bethmann Hollweg, gefangen zwischen den wilhelminischen Eliten und dem latenten Pazifismus der Massen, musste einen Mittelweg suchen und die Fiktion der Selbstverteidigung aufrechterhalten. Im Zeichen des inneren Burgfriedens glaubte er, zwischen den verrücktesten Forderungen der Alldeutschen und den vernünftigsten der Sozialdemokraten eine Diagonale ziehen zu müssen. Aber diese Diagonale (für ihn selbst ein Mittelweg zwischen Annexionismus und Defätismus) die Unversöhnliches versöhnen wollte, war in der Realität nicht möglich, und so schwankte er, ohne sich klar festzulegen. Selbst wenn, wie oft behauptet wird, Bethmann Hollweg einen Frieden nicht an den Kriegszielen hätte scheitern lassen, hätte er sich innenpolitisch kaum damit durchgesetzt. Mit seinem Entschluss, dem Volk den vollen Ernst der Lage zu verheimlichen und ihm eher noch neuen Optimismus zu suggerieren, beraubte der Kanzler sich selbst der Mittel, um die Kriegserwartungen wirkungsvoll zu dämpfen und das Land zielstrebig auf einen bescheidenen Frieden hinzuführen. Für Bethmann Hollweg war ein magerer Frieden im Inneren nur durchzusetzen, wenn die Militärs dies für richtig und notwendig erklären, weil sie einen entscheidenden Sieg für ausgeschlossen halten und daher raten, den Kampf nicht mehr fortzusetzen. Die allgemeine Einschätzung ging dahin, dass Hindenburg mit dem Frieden einverstanden sein musste: Ihm würde das Volk glauben, wenn er sagt: das und nicht mehr war zu erreichen (Hugo Lerchenfeld); - der Frieden musste von der Firma Hindenburg-Ludendorff gemacht werden (Wilhelm Groener). Die Durchsetzung der Bestellung Hindenburgs zum Oberbefehlshaber hat Bethmann Hollweg, so Janßens These, angestrebt, weil er ihn als Schutzschild für einen Verständigungsfrieden brauchte und damit Kaiser und Regierung vor den Forderungen der Alldeutschen geschützt waren. Dabei widmete er der Tatsache, dass hinter Hindenburg Ludendorff stand, keine Aufmerksamkeit. Letzterer hatte schon bald verkündet, dass der Feldmarschall sein Wort für einen faulen Frieden nicht einlegen wird. Fritz Fischer registrierte, dass sich bei Bethmann Hollwegs Politik der Diagonale die Resultante im Bethmannschen Parallelogramm der Kräfte stets der stärkeren Seite zuneigen musste, der Fehler sozusagen systemimmanent gewesen wäre. Bethmann Hollweg war gleichsam der Vollstrecker der inneren Strukturen des Reiches. Er erkannte zwar die Fehler der Militärs, musste ihren Pressionen aber letztlich trotz seiner eigenen fortschrittlichen Meinung nachgeben. Fischer zeichnete ihn als jemanden, der vielleicht selbst zu gemäßigten Einsichten gelangen mochte, aber doch zu einer Politik der Stärke gezwungen war, um sich politisch zu halten. Denn ein zu weit gehender Abstrich von den Kriegszielen hätte, bei der Abhängigkeit vom Kaiser, von der Kriegszielmehrheit des Reichstages bis Mitte 1917, vom Militär und der Marine sowie der öffentlichen Meinung, jederzeit zum Sturz des Kanzlers geführt. Fischer interessierte nicht die subjektive Befindlichkeit Bethmann Hollwegs, ihm ging es um den objektiven Befund der Politik eines unter Systemzwang stehenden Politikers. Das System aber unternahm es, nach der Weltmacht zu greifen. Werke (Auswahl) Monographien Betrachtungen zum Weltkriege. R. Hobbing, Essen 1989. Italiens Treubuch : Reichstagsrede des deutschen Reichskanzlers wegen der Kriegserklärung Italiens an Österreich-Ungarn - Rieck, Delmenhorst 1915. Zehn Jahre Ententepolitik: Zur Vorgeschichte d. Krieges - Stilke, Berlin 1915. Das Friedensangebot Deutschlands : Kaiserl. Order an Heer u. Flotte - R. Hobbing, Berlin 1916. Wer ist schuld am Kriege? - R. Hobbing, Berlin 1916. Die Kanzlerrede vom 27. Februar 1917 - Elsner, Berlin 1917. Friedensangebot und U-Boot-Krieg : Wortlaut d. Aussage d. früheren Reichskanzlers im Untersuchungsausschuß - R. Hobbing, Berlin 1919. Aufsätze Englands Schuld am Weltkrieg - Rede, am 19. Aug. 1915 und die anschließende Auseinandersetzung mit Sir Edward Grey - Ev. Bund, erschienen in: Volksschriften zum großen Weltkrieg (54/55); Berlin 1915. Speech - delivered in the Reichstag on Dec. 2nd, 1914 - erschienen in: War tracts (No.6), Deutsch-Amerikanischer Wirtschaftsverband, Berlin 1915. Sammlungen Die Reichstagsreden d. Kanzlers u. d. Schatzsekr. Helfferich z. Weltkrieg: An das deutsche Volk; 7 Reden - Heymann, Berlin 1915. Seven War-Speeches by the German Chancellor - Orell Füssli, Zürich 1916. Sechs Kriegsreden des Reichskanzlers - R. Hobbing, Berlin 1916. Les Origines de la Guerre et l'avenir de l'Europe: Discours pronencé devant la Grande Commission du Reichstag per le Chancelier de l'Empire alleman - Frankfurter Verlagsanstalt, Lausanne 1917. Kriegsreden - Hrsg. und eingeleitet von Friedrich Thimme. Dt. Verlags-Anstalt. Stuttgart, Berlin 1919. August Ludwig Traugott Botho Graf zu Eulenburg (* 22. Oktober 1838 in Königsberg; † 16. Juni 1921 in Berlin) war ein preußischer General der Infanterie und Minister des königlichen Hauses. Familie August entstammte dem obersächsischen Uradelsgeschlecht zu Eulenburg. Er war der Sohn von Botho Heinrich zu Eulenburg und dessen Ehefrau Therese, geborene Gräfin Dönhoff. Der spätere preußische Ministerpräsident Botho zu Eulenburg war sein älterer Bruder. Leben Nach dem Besuch des Gymnasiums Marienwerder trat Eulenburg am 1. November 1856 als Grenadier in das 1. Garde-Regiment zu Fuß der Preußischen Armee ein und wurde dort am 13. April 1858 zum Sekondeleutnant befördert. Zwischen 1860 und 1862 nahm er als Attaché an der Ostasien-Expedition unter Friedrich Albrecht zu Eulenburg teil. Nach der Rückkehr wurde er 1865 persönlicher Adjutant des Kronprinzen des späteren Kaisers Friedrich III. Im Jahr 1868 wurde Eulenburg zum Hofmarschall ernannt. Außerdem war er von 1879 bis 1890 Mitglied in der General-Ordens-Kommission. Zwischen 1883 und 1914 amtierte er als Oberzeremonienmeister. Außerdem war Eulenburg zwischen 1890 und 1914 Oberhof- und Hausmarschall von Wilhelm II. Aus dem aktiven Militärdienst schied er 1889 als Oberst aus, wurde aber 1891 zum Generalmajor, 1895 Generalleutnant und am 18. Oktober 1904 à la suite zum General der Infanterie befördert. Zwischen 1907 und 1918 war Eulenburg Minister des königlichen Hauses sowie Mitglied des Preußischen Herrenhauses. Nach der Novemberrevolution war er bis zu seinem Tod Generalbevollmächtigter des Hauses Hohenzollern. Das Grab von August zu Eulenburg in Berlin-Kreuzberg August zu Eulenburg starb 1921 im Alter von 82 Jahren in Berlin. Sein Grab liegt auf dem Dreifaltigkeitsfriedhof I in Berlin-Kreuzberg. Er ruht dort neben seiner Frau Hedwig „Hedda“ Adelaide Hermine, geb. von Witzleben (1843–1928), Tochter von Friedrich von Witzleben. Auch das Doppelgrab ihrer gemeinsamen Söhne Botho (1866–1880) und Victor zu Eulenburg (1870–1908) sowie das Grab von Augusts älterem Bruder Botho (1831–1912) befinden sich in der Nähe. Ehrungen Schwarzer Adlerorden mit Kette in Brillanten Großkreuz des Roten Adlerordens mit Schwertern am Ringe Großkomtur des Königlichen Hausordens von Hohenzollern Hausorden der Treue Großkreuz des Verdienstordens Philipps des Großmütigen (Verleihung: 18. Februar 1878) Krone zum Großkreuz des Verdienstordens Philipps des Großmütigen (Verleihung: 24. Mai 1888) Ritter des Hubertusordens Großkreuz des Ordens der Württembergischen Krone (1892) Großkreuz des Ordens vom Zähringer Löwen Hausorden der Wendischen Krone Großkreuz des Österreichischen Leopold-Ordens Ritter des Elefanten-Ordens Dannebrogorden Mitglied der Ehrenlegion Sankt-Olav-Orden k.u. Sankt-Stephans-Orden Großkreuz des Sterns von Rumänien Mecidiye-Orden Ehrenbürger von Potsdam Ladislaus von Szögyény-Marich von Magyar-Szögyen und Szolgaegyháza (* 12. November 1841 in Wien; † 11. Juli 1916 in Csór, Komitat Fejér) war ein österreichisch-ungarischer Diplomat. Leben Szögyény, der aus einem alten ungarischen Adelsgeschlecht stammte, wurde 1841 als Sohn des späteren ungarischen Judex curiae Ladislaus von Szögyény geboren. Nach dem Studium in Wien trat Szögyény 1861 in den Verwaltungsdienst in seinem Heimatkomitat Stuhlweißenburg ein. Nachdem er dort acht Jahre lang administrative Aufgaben erledigt hatte, wurde er 1869 in den ungarischen Reichstag gewählt. Dort schloss er sich zunächst der Partei Sennyeys und später der liberalen Partei an. 1882 gab Szögyény seine Abgeordnetentätigkeit auf, um ins Ministerium des Äußeren in Wien zu wechseln. 1884 wurde er in den Orden vom Goldenen Vlies aufgenommen. Im Außenministerium fungierte Szögyény als zweiter Sektionschef und schließlich als erster Sektionschef mit Zuständigkeit für die Großmächte, bevor er im Dezember 1890 als Nachfolger des Freiherrn von Ordzy das ungarische Ministerium am Hoflager übernahm. Zur gleichen Zeit besorgte Szögyény die Sichtung des Nachlasses des verstorbenen Kronprinzen Rudolf, dessen besonderes Vertrauen er genossen hatte. Nach einem Besuch bei Kaiser Franz Joseph in Gödöllő im Oktober wurde Szögyény im Oktober 1892 als österreichisch-ungarischer Botschafter nach Berlin entsandt. Dort nahm er in Personalunion zugleich die Posten der Botschafter für die deutschen Einzelstaaten Preußen, Mecklenburg-Schwerin, Mecklenburg-Strelitz, Oldenburg und Braunschweig wahr. Abschluss und Höhepunkt seiner Berliner Mission bildeten schließlich die Ereignisse der Julikrise 1914, als er den sogenannten „Blankoscheck“, den die kaiserliche Regierung der österreichischen Staatsführung übergab, in Empfang nahm (Mission Hoyos) und den Ausbruch des Ersten Weltkrieges miterlebte. Danach kehrte er in seine Heimat zurück, wo er zwei Jahre später verstarb. Wilhelm II., mit vollem Namen Friedrich Wilhelm Albert Victor von Preußen, (* 27. Januar 1859 in Berlin, Preußen; † 4. Juni 1941 in Doorn, Niederlande) entstammte der Dynastie der Hohenzollern und war von 1888 bis 1918 Deutscher Kaiser und König von Preußen. Einleitung Die dreißigjährige Regentschaft Wilhelms II. im Deutschen Reich (von 1888 bis 1918) wird als die wilhelminische Epoche bezeichnet. Herausragende Merkmale waren das Streben des Kaisers nach nationalem Prestige und die Versuche, das Reich in den Rang einer Weltmacht zu erheben. Eng verbunden mit diesem Anspruch war die militärische Aufrüstung des Kaiserreichs und die Forcierung der Kolonialpolitik in Afrika und der Südsee. Dies und die Verwicklung des Deutschen Reichs in verschiedene internationale Krisen (zum Beispiel Krügerdepesche 1896, Marokko-Krisen 1905/06 und 1911, Daily-Telegraph-Affäre 1908) führte zu einer Destabilisierung der Außenpolitik. Die Vorliebe Wilhelms für militärischen Prunk, die sich beispielsweise in zahlreichen Paraden zu den unterschiedlichsten Anlässen ausdrückte, führte auch gesellschaftlich zu einer Überbetonung des Militärs und militärischer Hierarchien bis hinein ins zivile Leben der deutschen Gesellschaft, in der für eine berufliche Laufbahn – nicht nur im Verwaltungsapparat – die Ableistung des Militärdienstes und der militärische Rang eines Menschen von entscheidender Bedeutung war (Militarismus). Der wirtschaftliche Aufschwung Deutschlands während Wilhelms Regentschaft, verbunden mit technologischem, naturwissenschaftlichem und industriellem Fortschritt, begünstigte eine auch vom Kaiser mit getragene allgemein verbreitete Technik- und Fortschrittsgläubigkeit. Innenpolitisch setzte er die für ihre Zeit als modern und fortschrittlich geltende Sozialpolitik Bismarcks fort und erweiterte sie. Er setzte sich für die Abschaffung des Sozialistengesetzes ein und suchte, teilweise erfolglos, den Ausgleich zwischen ethnischen und politischen Minderheiten. Wilhelm II. wollte sowohl die Innen- als auch Außenpolitik des Reiches wesentlich stärker als sein Großvater Wilhelm I. beeinflussen. Das „persönliche Regiment“ des Kaisers war aber in Wirklichkeit eine von häufig wechselnden Beratern gesteuerte Politik, die die Entscheidungen Wilhelms im Urteil der meisten Historiker oft widersprüchlich und letztlich unberechenbar erscheinen ließen. Wilhelm II. nutzte durch seinen sprunghaften Charakter die Macht, die ihm die Reichsverfassung zugestand, nie konsequent, musste aber immer wieder erleben, dass diejenigen, die ihn zu schwerwiegenden Entscheidungen drängten, sich hinter seinem Rücken versteckten, als sich deren Misserfolg abzeichnete. Die Marokkokrisen oder die Erklärung des unbeschränkten U-Boot-Krieges sind nur zwei Beispiele für Entscheidungen anderer Personen, die den Ruf des Kaisers heute nachhaltig belasten. Auch war seine Amtszeit von politischen Machtkämpfen zwischen den einzelnen Parteien geprägt, die es den amtierenden Kanzlern nur schwer möglich machten, längerfristig im Amt zu bleiben. So wurden im Kampf zwischen dem sog. Nationalliberal-Konservativen Kartell, Bülow-Block und Sozialdemokraten fünf von sieben Kanzlern unter kritischem Mitwirken des Parlaments entlassen. Während des Ersten Weltkriegs von 1914 bis 1918 wurde Wilhelms strategische und taktische Unfähigkeit offenbar. Ab 1916 enthielt er sich zunehmend relevanter politischer Entscheidungen und gab die Führung des Reiches faktisch in die Hände der Obersten Heeresleitung, namentlich in die der Generäle von Hindenburg und Ludendorff, die die Monarchie während der letzten Kriegsjahre mit starken Zügen einer Militärdiktatur versahen. Als Wilhelm II. sich nach Ende des „großen Kriegs” in Folge der Novemberrevolution, die zum Ende der Monarchie und zur Ausrufung der Republik führte, zur Abdankung und zur Flucht ins Exil nach Holland entschloss, hatte das deutsche Kaiserreich den Krieg verloren. Etwa 10 Millionen Menschen waren auf den Schlachtfeldern gefallen. Kindheit und Jugend Wilhelm II. wurde am 27. Januar 1859 in Berlin als ältester Sohn des Kronprinzen Friedrich Wilhelm von Preußen (1831–1888) (vom 9. März bis 15. Juni 1888 Deutscher Kaiser Friedrich III.) und dessen Frau Victoria (1840–1901) geboren und war somit Enkel Kaiser Wilhelms I. (1797–1888) und der englischen Königin Victoria (1819–1901). Die Geburt Wilhelm des Zweiten war ausgesprochen schwierig, der Prinz kam als Steißgeburt zur Welt und überlebte nur durch das couragierte Eingreifen einer Hebamme, die das leblose Baby ganz gegen das Protokoll mit einem nassen Handtuch schlug. Der linke Arm des Kindes war so verletzt, dass er zeitlebens gelähmt und deutlich kürzer blieb. 101 Salutschüsse verkündeten das freudige Ereignis, eine jubelnde Menschenmenge versammelte sich vor dem Kronprinzenpalais, die Thronfolge im Hause Hohenzollern war gesichert. Keinen gesunden Thronfolger geboren zu haben, empfand Prinzessin Victoria als persönliches Versagen und war nur schwer bereit, die Behinderung des Sohnes zu akzeptieren. Kronprinz Wilhelm erlebte eine Kindheit voll Torturen, nichts blieb unversucht, seine Behinderung zu beheben. Legendär sind Kuren wie das Einnähen des kranken Armes in ein frisch geschlachtetes Kaninchen oder Metallgerüste, die Wilhelm umgeschnallt wurden, um seine Haltung zu verbessern. Wilhelm, von Geburt an durch diesen verkümmerten Arm behindert, verbrachte laut eigenen Aussagen „eine recht unglückliche Kindheit“. Wie im Hochadel üblich, traten seine Eltern als unmittelbare Erzieher ganz hinter seinem calvinistischen Lehrer Georg Ernst Hinzpeter zurück. Als Siebenjähriger erlebte er den Sieg über Österreich-Ungarn 1866 mit der daraus resultierenden Vorherrschaft Preußens in Deutschland. Mit zehn Jahren, im damals üblichen Kadettenalter, trat er beim 1. Garde-Regiment zu Fuß formell als Leutnant in die preußische Armee ein. Als Zwölfjähriger wurde er mit der Gründung des Deutschen Kaiserreiches nach dem Sieg über Frankreich 1871 auch übernächster Anwärter auf den deutschen Kaiserthron. Nach dem Abitur am Friedrichsgymnasium in Kassel trat er am 9. Februar 1877 seinen realen Militärdienst bei seinem Regiment (6.Kompagnie, Hauptmann v. Petersdorff) an. 1880 wurde er am 22. März, dem Geburtstag seines Großvaters Kaiser Wilhelm I., zum Hauptmann befördert. Bereits in diesen Jahren bildete sich bei ihm ein Verständnis seiner monarchischen Rolle, das den liberal-konstitutionellen Vorstellungen seiner Eltern zuwiderlief. Seine folgenden Lebensstationen sind unter dem Aspekt einer Erziehung zum Monarchen zu sehen: Er sollte möglichst vielerlei Erfahrungen sammeln, erhielt aber in keinem Feld, nicht einmal im militärischen, die Chance, sich beruflich solide einzuarbeiten. Zum Studium begab er sich an die von seinem Urgroßvater gegründete Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, wo er nichtschlagendes Mitglied des Corps Borussia wurde. 1881 heiratete er Prinzessin Auguste Viktoria von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg (22. Oktober 1858–11. April 1921). Bis 1888 war er dann wechselnden Regimentern zugeordnet, dem 1. Garde-Regiment zu Fuß, dann dem Garde-Husaren-Regiment und dem 1. Garde-Feldartillerie-Regiment, wurde schnell bis zum untersten Generalsrang (Generalmajor) befördert und zuletzt Kommandeur der 2. Garde-Infanterie-Brigade. Der Militärdienst wurde immer wieder durch Beurlaubungen unterbrochen, damit er sich auch soweit möglich mit der zivilen Verwaltung vertraut machen konnte. Sehr gründlich konnte dies nicht geschehen, denn immer mehr Eile war geboten: Sein Großvater stand im höchsten Alter, und sein Vater war mittlerweile todkrank. Für die Regierungsgeschäfte war dies weniger problematisch, als man vermuten konnte, da bereits seit 1862 Otto von Bismarck, zunächst als preußischer Ministerpräsident, ab 1871 als Reichskanzler die politische Macht fest in seiner Hand konzentriert hatte. Bismarck war nach drei siegreichen Kriegen (1864, 1866, 1870/71) und als Einiger Deutschlands zur stärksten kontinentaleuropäischen Macht ein weltweit respektierter Staatsmann. Wilhelm I. und Friedrich III. hatten ihm gelegentlich opponiert und am Ende stets vertraut. Von diesem Vertrauen hing allerdings nach der Reichsverfassung der Reichskanzler ab, nicht vom Vertrauen des Reichstags. Bismarck baute selbstbewusst darauf, auch den dritten Kaiser lenken zu können. Das Jahr 1888 ging als Dreikaiserjahr in die Geschichte ein. Nach dem Tode Wilhelms I. am 9. März 1888 regierte Friedrich III. aufgrund seiner bereits fortgeschrittenen Krankheit (Kehlkopfkrebs) nur für 99 Tage (der „99-Tage-Kaiser“). Friedrich III. starb am 15. Juni in Potsdam. An diese Konstellation hatte der 29-jährige Wilhelm II. bei seinem Amtsantritt anzuknüpfen. Er wünschte, ein Kaiser aller Deutschen zu sein. Regentschaft und Politik Soziale Reformen „[...], weil die Arbeiter meine Untertanen sind, für die ich zu sorgen habe! Und wenn die Millionäre nicht nachgeben, werde ich meine Truppen zurückziehen und wenn ihre Villen erst in Flammen stehen, werden sie schon klein beigeben!“ (Wilhelm II. zu Otto von Bismarck, als er sich weigerte, Soldaten zur Niederschlagung eines Streiks im Ruhrgebiet zu schicken.) Dieses Zitat und andere Äußerungen Wilhelms in den ersten Jahren seiner Regentschaft weckten in der Arbeiterschaft zunächst Hoffnungen auf einen sozialen Wandel im Reich. Die Sozialpolitik lag Wilhelm II. durchaus am Herzen. Allerdings folgten seinen sozialen Reformen keine strukturellen Veränderungen im Reich. Im Gegenteil, er baute seinen politischen Einfluss noch aus und lehnte eine Demokratisierung der Verfassung ab. Preußen behielt das seit Anfang der 1850-er Jahre bestehende undemokratische Dreiklassenwahlrecht, das eine repräsentative Landtagsvertretung verhinderte. Nach wie vor wurde die Regierung nicht vom Reichstag gewählt, sondern vom Kaiser ohne Berücksichtigung der parlamentarischen Verhältnisse bestimmt oder entlassen. Es war dem Kanzler aber auch nicht möglich ohne Mehrheit im Parlament Gesetze zu erlassen oder den Haushalt zu beschließen. Das Parlament war in seiner Macht, als echte Legislative, nicht zu unterschätzen. Bei alledem forderte Kaiser Wilhelm II. noch während Bismarcks Kanzlerschaft am 178. Geburtstag Friedrichs des Großen in einer Proklamation an sein Volk, mit der Devise: „Je veux être un roi des gueux“ (frz.; zu dt.: „Ich will ein König der armen Leute sein“) das Verbot der Sonntagsarbeit, der Nachtarbeit für Frauen und Kinder, der Frauenarbeit während der letzten Schwangerschaftsmonate sowie die Einschränkung der Arbeit von Kindern unter vierzehn Jahren. Außerdem forderte er bei dem zur Erneuerung anstehenden „Gesetz wider die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ („Sozialistengesetz“) die Streichung des Ausweisungsparagraphen, der die Polizei zur Ausweisung „gefährlicher Sozialisten“ aus ihrem Heimatort berechtigte. Reichskanzler Bismarck kommentierte dies als „Humanitätsduselei“ und verweigerte sich dem in seinen Forderungen durch den Reichstag unterstützten Kaiser. Seine Forderungen konnte der junge Kaiser erst mit dem Nachfolger Bismarcks durchführen, Leo von Caprivi. Allerdings war Wilhelm II. bei allen sozialen Ambitionen so wenig ein Freund der Sozialdemokratie, wie Bismarck es gewesen war. Im Gegenteil hoffte er, durch seine Reformen die Sympathien für die trotz der Sozialistengesetze erstarkte Sozialdemokratie zu schwächen und durch die Aufhebung des repressiven Sozialistengesetzes der 1890 von SAP in SPD umbenannten Partei ihren Märtyrerbonus zu nehmen. Die Sozialdemokraten ihrerseits ließen sich nicht von dem Reformen Wilhelms II. beeindrucken und setzten unter August Bebel aus ihrem antimonarchistischen Selbstverständnis heraus weiter auf Fundamentalopposition. Obwohl sie den Fortschritt der im Arbeitsschutzgesetz zusammengefassten Reformen sahen, stimmten sie im Reichstag dagegen. Sie forderten grundlegende strukturelle Veränderungen wie zum Beispiel eine Verfassungsänderung, Demokratisierung, ein ausgeweitetes Wahlrecht, Vorrang des Parlaments bei politischen Entscheidungen, eine Umstrukturierung des Haushalts, deutliche Senkung der Rüstungsausgaben, Freiheit für die Kolonien und anderes mehr, für den Kaiser unerfüllbare Anliegen, die seinen Hass auf die Sozialdemokratie noch steigerten. Der Wohlstand der deutschen Arbeiterschaft stieg von Jahr zu Jahr, doch gelang es Wilhelm II. nicht, den Arbeitern in den Städten das Gefühl zu geben, anerkannte Mitglieder der Gesellschaft zu sein, was zu starken Stimmenzuwächsen der Sozialdemokraten im Reichstag und den Landtagen der Länder führte. Diese Vorgänge ließen in Wilhelm II., der immer noch „ein König der Armen“ sein wollte, das Urteil reifen, dass eine Versöhnung mit den Sozialdemokraten nicht möglich sei. Er rief schließlich in Königsberg „zum Kampf für Religion, Sitte und Ordnung, gegen die Parteien des Umsturzes!“ auf. Überblick der unter der Herrschaft Wilhelms II. erlassenen sozialen Reformen 1889: Gesetz betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung vom 22. Juni (für Arbeiter) 1890: Aufhebung des Sozialistengesetzes 1890: Gründung von 31 Versicherungsanstalten – Vorläufer der Landesversicherungsanstalten (LVA) 1891: Auszahlung der ersten Renten an dauernd Erwerbsunfähige und an Arbeiter über 70 Jahre 1891: Arbeiterschutzgesetz vom 1. Juni (23. Novelle zur Reichsgewerbeordnung) mit Frauenschutz, eingeschränkter Nachtarbeit, Sonntagsruhe und Kinderschutz 1891: Einführung der staatlichen Gewerbeaufsicht 1891: Zulassung freiwilliger Arbeiterausschüsse in Betrieben 1891: Verbot der Sonntagsarbeit in Industrie und Handwerk 1892: Novellierung des Krankenversicherungsgesetzes mit Erweiterungen der Versicherungspflicht (Ausweitung auf Familienangehörige) 1895: Verbot der Sonntagsarbeit für das Handelsgewerbe. 1899: Invalidenversicherungsgesetz 1901: Förderung des Arbeiterwohnungsbaus 1905: Arbeiterausschüsse werden in Bergbaubetrieben zur Pflicht 1908: Höchstarbeitszeit, keine Nachtarbeit für Frauen und Jugendliche 1911: Reichsversicherungsordnung (RVO) 1911: Einführung der Hinterbliebenenrente 1911: Versicherungsgesetz für Angestellte 1911: Hausarbeitsgesetz (Regelung der Heimarbeit) 1916: Herabsetzung des Rentenalters für Arbeiter von 70 auf 65 Jahre 1916: Herabsetzung des Rentenalters für Frauen auf 60 Jahre Entlassung Bismarcks und Antritt Caprivis [Bearbeiten] In der letzten Periode der Regierungszeit Bismarcks hatte das Deutsche Reich einer „Kanzlerdiktatur“ geglichen, dessen politische Ziele nicht die des jungen Kaisers waren. Bismarck wollte Russland als einen starken Verbündeten, Wilhelm II. vertraute auf Österreich-Ungarn. Bismarck wollte den „Kulturkampf“ gegen den politischen Katholizismus fortsetzen, der Kaiser war strikt dagegen. Bismarck wollte das Sozialistengesetz verschärfen, Wilhelm II. wollte es abschaffen: „Ich will meine ersten Regierungsjahre nicht mit dem Blut meiner Untertanen färben!“ Als der Reichskanzler hartnäckig blieb, schickte der Kaiser am Morgen des 17. März 1890 den Chef seines Militärkabinetts, General v. Hahnke, in die Reichskanzlei: Der Kanzler solle am Nachmittag ins Schloss kommen und sein Abschiedsgesuch mitbringen. Dieses wurde ihm am nächsten Morgen aber nur durch einen Boten gebracht. Am 20. März 1890 entließ Wilhelm II. den Reichskanzler Otto von Bismarck. Bismarck überwand dies nie und sorgte indirekt durch vielfach lancierte Kritik an den „Hintermännern“ der wilhelminischen Politik und durch sein Memoirenwerk Gedanken und Erinnerungen für nachhaltige Kritik an Wilhelm II . (Der dritte Teil der Memoiren, in welchem Bismarck seine Entlassung darstellte, wurde in der Tat wegen extremer politischer Brisanz erst 1919 veröffentlicht, als Deutschland Republik geworden war.) Aus der Bismarckschen Darstellung geht explizit hervor, wie isoliert er zum Zeitpunkt der Entlassung schon war, dass er nicht einmal bei den Angehörigen seines eigenen Kabinetts Unterstützung fand und dass sein Stellverteter, Karl Heinrich von Boetticher, in seiner Abwesenheit und ohne seine Billigung mit dem Kaiser in dessen Sinne verhandelt hatte. Bismarck wollte das unterbinden und berief sich auf eine (38 Jahre alte) Kabinettsorder, die es den preußischen Ministern untersagte, ohne Billigung des Kanzlers mit dem Souverän zu sprechen. Damit war für den Kaiser das Maß voll und Bismarck musste „aus Gesundheitsgründen“ sofort zurücktreten. Der Rücktritt Bismarcks war somit zwar primär innenpolitisch begründet, aber langfristig gesehen vor allem außenpolitisch fatal. Bezeichnenderweise erinnerte man nur in Wien, nicht dagegen in St. Petersburg, sofort und explizit an Bismarcks Verdienste (Brief vom Kaiser Franz Joseph I.). Als Bismarcks Nachfolger ernannte Wilhelm II. den General Leo von Caprivi (1831–1899). Caprivi wurde vom Kaiser als „Mann der rettenden Tat“ gefeiert und ob seiner Leistungen in den Grafenstand erhoben. Mit Caprivi glaubte Wilhelm II. eine anerkannte Persönlichkeit gefunden zu haben, mit der er seine geplante Politik der inneren Versöhnung sowie das Arbeitsschutzgesetz durchzusetzen hoffte. Ein wichtiges außenpolitisches Ereignis fiel (quasi „genau passend“) in dieses Jahr des Kanzlerwechsels: Der Rückversicherungsvertrag mit Russland widersprach teilweise den Bedingungen des Dreibundpaktes mit Italien und Österreich-Ungarn. Der Kaiser war gegen ein Verletzen des letztgenannten Paktes, während Bismarck den Rückversicherungsvertrag seinerzeit für unbedingt notwendig gehalten hatte. Jetzt, 1890, ging es um seine Verlängerung. Von der Öffentlichkeit unbemerkt (es handelte sich ohnehin um einen Geheimvertrag), und von Caprivi hingenommen, wurde der auslaufende Rückversicherungsvertrag vom Deutschen Reich bewusst nicht erneuert. In Russland nahm man realistischerweise einen deutschen Kurswechsel an und begann, sich Frankreich anzunähern. Caprivis Kanzlerzeit war durch entschiedene Englandfreundlichkeit geprägt. Er war in der Innenpolitik einer der Hauptverantwortlichen für den Wandel des Deutschen Reiches von der Agrarwirtschaft zur industriellen Exportwirtschaft. Die in diesem Zeitraum gemachten Reformen erleichterten es, dass Deutschland wenig später Großbritannien überholte und zur Weltwirtschaftsmacht Nr. 1 aufstieg. Das „Made in Germany“ errang zu dieser Zeit den Status einer Garantie für höchste Qualität. Integrationspolitik Die turbulente Vereinigung des alten „Deutschen Bundes“ zu einem „Deutschen Reich“ ohne die deutschen Österreicher - die Kleindeutsche Lösung - brachte einige Probleme mit sich. Die rheinländische, süddeutsche und polnische Opposition gegen die preußische Vorherrschaft stützte sich auf ein sich politisierendes katholisches Bürger-, Arbeiter- und Bauerntum. Als Partei des politischen Katholizismus formierte sich das „Zentrum“. Die Versuche Bismarcks, die katholischen Parteien in ihrer Arbeit zu behindern, führte zu Eingriffen in das Leben der Katholiken. Auch die Judenintegration, die es vorher außer in Preußen nur in wenigen anderen Staaten gab, war jung, und der merkliche soziale Aufstieg der jüdischen Bevölkerung nährte Neid und Antisemitismus in der Bevölkerung. In den östlichen Gebieten Preußens, vor allem in der Provinz Posen, gab es eine starke Unterdrückung der polnischen Minderheit, die zu Unruhen und Gefühlen der Ungerechtigkeit führte. Der Kaiser erkannte die Ernsthaftigkeit dieser Probleme und bezeichnete sie als eine seiner Hauptaufgaben. Am besten gelang die Integrationspolitik mit den Katholiken. Sie waren durch den bismarckschen Kulturkampf benachteiligt und an der Teilnahme am politischen Leben, sowie bei der freien Ausübung ihrer Religion gehindert worden. Schon zu seiner Prinzenzeit war Wilhelm gegen diese Praktiken und befürwortete die Beendigung des Kulturkampfes. Um die Einigkeit zwischen Protestanten und Katholiken im Reich zu verbessern, zahlte das Reich die den Opfern vorenthaltenen Gelder zurück, hob allerdings nicht alle gefassten Beschlüsse und Gesetze dieser Zeit wieder auf. Die östlichen Provinzen Preußens (Ostpreußen, Westpreußen, Pommern und Schlesien) waren bis zur Vertreibung nach 1945 mehrheitlich von Deutschen bewohnt, minderheitlich von Polen, dazu regional von Kaschuben und Masuren. In der Provinz Posen (Poznan) stellten die Polen die Mehrheit. Seit der Bismarckzeit versuchte der Staat, die hier lebenden Polen zu germanisieren, was allerdings scheiterte und in offenen Protest mündete. Kaiser Wilhelm II. hob viele dieser Repressionen, die vor allem die Sprache des Unterrichts und später auch des Gottesdienstes regelten, auf und erkannte die Polen als eigenes Volk und Minderheit im Deutschen Reich an. Eine der umstrittensten Bereiche in der Einordnung der politischen Meinung des Kaisers ist seine Beziehung zum Judentum bzw. zum Antisemitismus. Die Historiker gehen hier in den Meinungen weit auseinander, je nachdem welche Quellen sie benutzen. Bei den Reichstagswahlen 1880 zogen zum ersten Mal mehrere antisemitische Parteien in den Reichstag ein. Mit fünf Abgeordneten bildeten sie die „Fraktion der Antisemiten“. Grund für den gestärkten Antisemitismus waren wohl die „Gründerkrise“ und die als relativ stark empfundenen wirtschaftlichen Erfolge jüdischer Unternehmer. Die Juden waren im 1871 gegründeten Deutschen Reich zum ersten Mal freie und gleiche Bürger: Die Einschränkungen, die sie, von Land zu Land unterschiedlich, teilweise zu Schutzbefohlenen eines Herrschers machten und ihnen wirtschaftliche Beschränkungen auferlegten oder ihnen bestimmte Berufsverbote erteilten, waren aufgehoben. Auch der Dienst beim Militär, in Schulen oder der Justiz stand ihnen jetzt offen. Als Reaktion auf den Antisemitismus entstanden gesellschaftliche Gruppen, die letzterem entgegenzuwirken versuchten. So bildeten besorgte Christen den Verein zur Abwehr des Antisemitismus, dem neben Heinrich Mann auch der Historiker Theodor Mommsen beitrat. Im Judentum entwickelten sich neben dem orthodoxen Glauben mehrere Strömungen, teilweise auch mit politischem Hintergrund. So gab es erstens die assimilierten Juden, die sich taufen ließen und das Christentum als Erfüllung des jüdischen Messias-Glaubens akzeptierten. Der jüdische so genannte Reform-Glaube (Reformjudentum) lehnte diese Art ab, passte sich aber in seiner Wesensart fast völlig den deutsch-christlichen Traditionen an. Er hielt Gottesdienst am Sonntag, nicht am Sabbat (Samstag), mit deutscher, nicht hebräischer Liturgie, hielt kürzere Gebete mit Orgeluntermalung und verzichtete auf traditionelle Gebetsbekleidung. Kaiser Wilhelm unterstützte diese Art der Religionsausübung sehr und finanzierte den Bau der Reform-Synagoge in der Berliner Fasanenstraße mit, an deren Einweihung er demonstrativ teilnahm. Eine dritte aufstrebende Richtung war der Zionismus, der die Gründung eines eigenen Judenstaates vorsah. Aus Angst, den Antisemitismus zu bestärken, lehnten die Reformgläubigen auch diese, sehr radikale, ursprüngliche Form des Glaubens ab und strich jegliche Passagen über das gelobte Land aus dem Gottesdienst. Der Kaiser unternahm eine Palästinareise mit Theodor Herzl, dem Begründer des modernen Zionismus in Europa. Auf dieser Reise stiftete er in Jerusalem die Erlöserkirche auf dem Muristangelände. Als Erinnerung an diese Expedition wurde dem Kaiser in Haifa 1982 ein Denkmal gesetzt. Bei seiner Integrationspolitik kam Kaiser Wilhelm II. der Parlamentarismus im Reich entgegen. Anders als heute gab es keine Fünf-Prozent-Hürde, welche das Entsenden von Abgeordneten aus kleineren Parteien verhinderte. So hatten Dänen (1-2 Abgeordnete), Elsass-Lothringer (8-15 Abgeordnete) und Polen (13-20 Abgeordnete) von 1871 bis zur letzten Wahl 1912 stets ihre Fraktion im Reichstag. Juden organisierten sich nicht in einer eigenen Partei. Dies widersprach ihrem Selbstverständnis, deutsche Staatsbürger zu sein, welches durch lange Tradition besonders in Preußen sehr stark ausgeprägt war. Das Wahlsystem grenzte aber auch politische Minderheiten nicht aus. Dies sorgte dafür, dass sich auch die reichsfeindlichen Welfen, aber vor allem die Antisemiten aus der Christlichsozialen Partei und der Deutschen Reformpartei organisieren konnten. Die Zahl ihrer Abgeordneten überschritt aber nie die Zahl der Abgeordneten aus den Parteien der ethnischen Minderheiten. Trotz dieser Unterstützung gibt es von Wilhelm II. mehrere Zitate, die einen antisemitischen Klang haben, so: „Ich denke gar nicht daran wegen der paar hundert Juden und der tausend Arbeiter den Thron zu verlassen!“ Ob er allerdings auf die Juden als Kollektiv schimpfte oder einzelne meinte, z.B. die ihn oft kritisch betrachtenden jüdisch geleiteten Zeitungskonzerne, ist unklar. Die Verurteilung der Juden als Volk ist aber unwahrscheinlich, da er in seinem Freundeskreis nie Unterschiede zwischen Deutschen jüdischer oder christlicher Abstammung machte. Der von Antisemiten geprägte und heute noch verwendete Begriff „Kaiserjuden“ verriet allerdings große Missbilligung von Teilen der Bevölkerung an diesen Kontakten. Wirtschaftspolitik und rüstungspolitische Prioritäten Caprivi setzte einen weiteren von Bismarck verwehrten Wunsch Wilhelms II. durch, die progressive Einkommenssteuer, die höhere Einkommen stärker belastete: die Miquelsche Einkommensteuerreform von 1891. Durch die industriefreundliche und exportorientierte Eindämmung des Protektionismus zog sich Caprivi die Feindschaft der im Bund der Landwirte organisierten Grundbesitzer („Ostelbier“, „Junker“) zu, der sehr eng mit der Konservativen Partei verwoben war. Die nach Abschaffung der Schutzzölle wachsenden Agrarexporte der USA bewirkten für sie einen Preisverfall. Durch die Förderung des Einsatzes von Agrarmaschinen konnte man die Verluste zwar teilweise auffangen, erhöhte aber die agrarprotektionistischen Ansprüche der ohnehin unterkapitalisierten und zu Investitionen genötigten Großgrundbesitzer. 1893 löste Wilhelm II. den 1890er Reichstag auf, jetzt, weil der die auch von ihm gewollte Aufrüstung des Heeres abgelehnt hatte. Im darauf folgenden Wahlkampf siegten die Befürworter der wilhelminischen Politik aus der Konservativen und Nationalliberalen Partei. Auch die von Alfred von Tirpitz propagierte Aufrüstung der Kaiserlichen Marine, im Volk populär (vgl. Matrosenanzug), wurde in der Folgezeit von Wilhelm gefördert (1895 Vollendung des heutigen Nord-Ostseekanals, Ausbau der Marinehäfen Kiel und Wilhelmshaven). In diesem Zusammenhang besetzte und pachtete das Deutsche Reich die chinesische Hafenstadt Tsingtao auf 99 Jahre. Wilhelm erkannte trotz seiner Englandfreundlichkeit nicht, dass damit die weltweite Hegemonialmacht Großbritannien aufs Äußerste beunruhigt wurde. Der anhaltende deutsche Kolonialismus – gegen den Bismarck sich noch gewehrt hatte – wurde von ihm nicht als riskant gegenüber den Großmächten England, Frankreich und Japan erkannt und eher gebilligt: 1899 erwarb das Reich die Karolinen, Marianen, Palau und Westsamoa. Wende in den Reichskanzlerberufungen und außenpolitische Dauerprobleme 1894 wurde Caprivi entlassen. Wilhelm berief erstmals einen Nichtpreußen, den Bayern Fürst Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst, der weder Führungsehrgeiz entwickeln sollte noch entwickelte: 1896 versäumte er, Wilhelm von der Krüger-Depesche abzuhalten, einem Glückwunschtelegramm an die Buren zur Abwehr des britisch inspirierten Jameson Raid, die in Großbritannien mit Empörung aufgenommen und nachhaltig als Abkehr von der englandfreundlichen Politik Caprivis gedeutet wurde. 1900 ersetzte er Hohenlohe durch Graf Bernhard von Bülow, der als Reichskanzler weder die anstehenden innenpolitischen Reformen betrieb noch die sich umgruppierenden außenpolitischen Konstellationen (in Deutschland als Einkreisungspolitik verstanden) zu meistern vermochte. Das Verhältnis zu Frankreich wurde nicht verbessert, England nun auch durch die Flottenpolitik herausgefordert und Russland auf dem Balkan nicht gegen Österreich-Ungarn unterstützt (vgl. dagegen den Rückversicherungsvertrag der Bismarck-Epoche). Wilhelm hatte allerdings bis zur Daily-Telegraph-Affäre und den Eulenburg-Prozessen Vertrauen in Bülow, der sich ihm zudem durch Schmeichelei unentbehrlich machte. Friedenspolitisch ergriff Wilhelm II. erst 1905 eine Initiative: Zwecks Wiederannäherung an Russland, das gerade seinen Krieg gegen Japan zu verlieren drohte, schloss er mit Nikolaus II. den Freundschaftsvertrag von Björkö. Frankreich sollte einbezogen werden. Leider wurde aber der deutsch-russische Freundschaftsvertrag schon 1907 von Russland für gegenstandslos erklärt, weil er mit der französisch-russischen Annäherung, die inzwischen stattgefunden hatte, nicht verträglich sei. Diese Annäherung hatte sich ergeben, nachdem Wilhelm II. 1906 in der Ersten Marokkokrise durch seinen Besuch in Tanger Frankreich stark provoziert hatte. Resultat war überdies eine Verschlechterung der Beziehungen zu Japan, das bisher Preußen/Deutschland als wissenschaftlichen und militärischen Lehrmeister angesehen hatte. 1908 wurde Wilhelms Hilflosigkeit durch die Daily-Telegraph-Affäre deutlich: Er beschwerte sich in einem Interview der Zeitung über seine eigene Regierung: sie sei nicht englandfreundlich genug. Bismarck war ein Meister darin gewesen, seine Politik medial zu flankieren (vgl. die Emser Depesche 1870). Bei Wilhelm II. dagegen sollte das Interview und markige Reden die Politik ersetzen. Ein besonders eklatantes Beispiel gab der Kaiser mit der bereits am 27. Juli 1900 in Bremerhaven gehaltenen Hunnenrede. Mit dem Daily Telegraph-Interview fiel er nunmehr der Reichspolitik in den Rücken, knickte angesichts des deutschen Pressesturms ein und versprach, sich künftig zurückzuhalten. Inzwischen begann die Öffentliche Meinung überhaupt, den Kaiser kritisch zu sehen, und eine Kampagne schadete ihm konkret: Schon 1906 hatte der Journalist Maximilian Harden in seiner Zeitschrift Die Zukunft die Kamarilla um den Kaiser und damit das persönliche Regiment des Kaisers angegriffen. Zu besonders harten Auseinandersetzungen führte seine Enthüllung, dass Philipp von Eulenburg und Hertefeld, ein enger Freund und Berater des Kaisers, homosexuell sei und einen Meineid geleistet habe. Es folgten drei Sensationsprozesse gegen Eulenburg, die trotz „freisprechenden“ Urteils das Ansehen des Kaisers beschädigten. 1909 zerbrach der so genannte Bülowblock, in dem sich die regierungsunterstützenden linksliberalen Parteien, sowie die Nationalliberale und die Konservative Partei zusammengeschlossen hatten. Auslöser war der Versuch Bülows, das preußische Wahlrecht zu reformieren, worauf ihm die im Preußischen Landtag dominierenden Konservativen die Gefolgschaft verweigerten. Sozialdemokraten und Zentrum, die diesen Versuch in seinen Grundsätzen unterstützen, verweigerten trotzdem die Zusammenarbeit mit Bülow. Sie warfen ihm Prinzipienlosigkeit vor, da er erst kurz zuvor in Zusammenarbeit mit den Konservativen neue Repressalien gegen die Polen durchgesetzt hatte. Die Germanisierungspolitik wurde auf Betreiben Kaiser Wilhelms II. beendet. Dass Bülow nun aber, um sich die Loyalität der Konservativen Partei zusichern, die Enteignung von polnischen Gütern erleichterte, ignorierte der Kaiser zunächst, um die stabile Parlamentsmehrheit nicht zu gefährden. Daraufhin entließ er ihn jedoch und ernannte Theobald von Bethmann Hollweg zum Reichskanzler. Er überließ ihm die Außenpolitik, die aber ihre Ziele - Wiederannäherung an England und Distanzierung von der antirussischen Balkanpolitik Österreich-Ungarns - nicht erreichte. Die antifranzösische Politik wurde 1911 in der zweiten Marokkokrise durch deutschen Interventionismus verschärft (der „Panthersprung nach Agadir“), Heer und Flotte wurden weiter verstärkt. Markante Eingriffe Wilhelms unterblieben. Der Kaiser war zwar Militarist, aber kein Bellizist, er wollte trotz seiner kriegerischen Reden im Grunde keinen Krieg. Er tat aber auch zu wenig, um dies deutlich zu machen. Insgesamt ist Wilhelms II. Anteil an der deutschen Außenpolitik umstritten. Während John C. G. Röhl in ihm eine wirkungsmächtige Instanz hervorhebt, die in die Politik des Reiches eigenständig eingriff, sieht die Mehrzahl der Historiker wie Wolfgang Mommsen die zivile Reichsleitung im Zentrum der Verantwortung. Unbestreitbar ist, dass der Kaiser nicht als Koordinator zwischen Außen-, Heeres- und Flottenpolitik wirkte. So kam es, dass Reichskanzler, Heeres- und Marineleitung je unterschiedliche Ziele verfolgten, die miteinander nicht verträglich waren: Vor allem der Aufbau der Flotte schuf ein außenpolitisches Problem. Erster Weltkrieg 1914 in der Julikrise spielte Wilhelm II. eine ambivalente Rolle. Er wollte den Frieden retten und auf der Monarchenebene versuchte er sein Bestes, einen fieberhaften Briefwechsel mit dem russischen Kaiser (Lieber Nicky! – Lieber Willy!), der bei der nunmehr objektiven Kriegsentschlossenheit sämtlicher Kontinental-Großmächte gar nichts bewirkte. Objektiv jedoch steigerte der Kaiser die Kriegsgefahr: Denn er ermächtigte Bethmann Hollweg nach dem Attentat von Sarajewo am 28. Juni 1914, Österreich-Ungarn eine Blankovollmacht für dessen aggressive Politik gegen Serbien zu erteilen. Faktisch wurde nach der österreichisch-ungarischen Kriegserklärung an Serbien die Außenpolitik von Kaiser und Kanzler dem deutschen Generalstab überlassen: Die Mobilmachung im Russischen Reich erlaubte es nach dessen Urteil dem Deutschen Reich nicht, mit der Kriegserklärung an Russland und Frankreich länger zu warten, da sonst der deutsche Schlieffenplan, bei einem Zweifrontenkrieg erst schnell Frankreich, dann Russland zu schlagen, undurchführbar zu werden drohte. Wilhelm mischte sich in der Folge nicht in militärische Zielsetzungen ein, überließ diese aber nicht verfassungsgemäß dem Reichskabinett, sondern der Obersten Heeresleitung. Im Verlauf des Ersten Weltkrieges 1914–1918 wurde die Bedeutung des Kaisers immer geringer. Besonders mit der 3. Obersten Heeresleitung unter Hindenburg und dem dominierenden Ludendorff wurde er 1916–1918 zunehmend von den politisch-militärischen Entscheidungen ausgeschlossen. Jedoch schob die Heeresleitung ihm 1917 die auch im Reich umstrittene Entscheidung über den „uneingeschränkten“ U-Boot-Krieg zu. Er schloss sich – gegen den Rat seines Reichskanzlers – der Meinung der Militärs an und willigte ein, was dann zur Kriegserklärung der USA führte. Diese machten später die Abdankung des Kaisers zur Bedingung für die Eröffnung von Friedensverhandlungen. Ab 1917 hatte Ludendorff eine faktisch diktatorische Position. Auf weitere Reichskanzlerwechsel nahm Wilhelm II. keinen Einfluss, die 1918er Reform der Reichverfassung in Richtung auf eine parlamentarische Monarchie wurde ohne ihn versucht. Durch den Hungerwinter 1917/18 und das völlige Desaster der Kriegsführung, spätestens nach der gescheiterten Frühjahrsoffensive im Westen 1918, war Wilhelm II. im Reich unhaltbar geworden. Dazu kam die Tatsache, dass der Bevölkerung längst bewusst war, dass ein Friedensschluss unter leidlichen Bedingungen („Selbstbestimmungsrecht der Völker") nur noch von der Abdankung ihres Kaisers abhing, da die USA sich weigerten, Friedensverhandlungen vorher zu beginnen. Am 9. November 1918 gab Reichskanzler Prinz Max von Baden (1867–1929) eigenmächtig und ohne Wilhelms II. Einwilligung dessen (!) Abdankung bekannt. Damit war in Deutschland die Monarchie überall am Ende. Der noch im selben Monat vom Kaiser selbst ausgesprochene Rücktritt (s.u.) war angesichts der Situation zwangsläufig (s. Novemberrevolution). Die Folgen konnte man zu diesem Zeitpunkt noch nicht erahnen: Der Sturz der Monarchie ebnete nach Ansicht des späteren britischen Premierministers Sir Winston Churchill den Weg in die Diktatur H., A.. Am 10. November 1918 fuhr der Kaiser aus seinem Hauptquartier in Spa in die Niederlande und erbat (und erhielt) dort Asyl. Besonders enttäuscht war er von Hindenburg, der ihn fallen ließ, des Weiteren wetterte er gegen „das Judengesindel“ (O-Ton Wilhelm). Er dankte offiziell am 28. November 1918 ab, 19 Tage nach Ausrufung der Republik, gab aber nie den Wunsch auf, wieder auf den Thron zurückzukehren. Text der Abdankungsurkunde: Ich verzichte hierdurch für alle Zukunft auf die Rechte an der Krone Preussen und die damit verbundenen Rechte an der deutschen Kaiserkrone. Zugleich entbinde ich alle Beamten des Deutschen Reiches und Preussens sowie alle Offiziere, Unteroffiziere und Mann- schaften der Marine, des Preussischen Heeres und der Truppen der Bundeskontingente des Treueides, den sie Mir als ihrem Kaiser, König und Obersten Befehlshaber geleistet haben. Ich erwarte von ihnen, dass sie bis zur Neuordnung des Deutschen Reichs den Inhabern der tatsächlichen Gewalt in Deutschland helfen, das Deutsche Volk gegen die drohenden Gefahren der Anarchie, der Hungersnot und der Fremdherrschaft zu schützen. Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unter- schrift und beigedrucktem Kaiserlichen Insiegel. Gegeben Amerongen, den 28. November 1918 Wilhelm Zeit nach der Abdankung Exil Bis 1920 lebte Wilhelm II. in Amerongen, danach bis zu seinem Tod in dem von ihm erworbenen Haus Doorn in den Niederlanden im Exil. 1921 starb seine Frau. 1922 heiratete er die verwitwete Prinzessin Hermine von Schönaich-Carolath, geborene Prinzessin Reuß ä.L. (1887-1947) („Kaiserin“ in seiner Titulatur, amtlich „Prinzessin von Preußen“). Er versammelte Gelehrte zu kulturhistorischen Studien um sich (Doorner Arbeitskreis), verfasste seine Memoiren und weitere Bücher und hielt sich für die Wiederherstellung der Monarchie bereit. Unter anderem durch den H.putsch 1923 sah er sich darin bestätigt, dass nur ein Monarch Ruhe und Ordnung garantieren könne. Immer wieder äußerte er sich antisemitisch, „Presse, Juden und Mücken“ solle man den Garaus machen, „am besten mit Gas“. 1933 näherte er sich – auch bestärkt durch seine Frau, die im Reich umherreiste – den N. an, von denen er sich die Restauration des Kaiserreichs versprach, was sich trotz zweimaligen Besuchs G.s in Doorn bald als unrealistisch erwies. H. hielt ihn hin. Als er im November 1938 von dem antijüdischen Pogrom, der „K.nacht“, erfuhr, äußerte er sich entsetzt und hielt es für eine Schande. Bei Besetzung der Niederlande 1940 ließ H. das Anwesen durch die Geheime Feldpolizei abriegeln. Zum deutschen Sieg über Frankreich im Mai erhielt H., A. ein angeblich von Wilhelm II. abgesandtes Glückwunschtelegramm. Darin wurde zwar nicht dem „F.“ H., aber dem Reichskanzler, und vor allem zum „Sieg der deutschen Waffen“ gratuliert. Ob es von Wilhelm II. stammte, wird stark bestritten, sein damaliger Hausminister Wilhelm von Dommes dürfte der Urheber dieses Telegramms gewesen sein. Tod Wilhelm II. starb am Morgen des 4. Juni 1941 im Haus Doorn. Seine letzten Worte sind zweifelhaft überliefert: „Ich versinke, ich versinke...“. Trauerfeiern im Reich wurden verboten. Die NS-Machthaber erlaubten nur einer kleinen Zahl von Personen (dem engeren Familienkreis, einigen ehemaligen Offizieren) die Fahrt in die besetzten Niederlande zur Teilnahme an der Beisetzung. Der Kaiser wurde zunächst in einer Kapelle nahe dem Doorner Torhaus beigesetzt. Sodann wurde sein Sarg in das nach seinen Zeichnungen posthum erbaute Mausoleum im Park von Haus Doorn überführt. Sein selbst gewählter Grabspruch lautet: „Lobet mich nicht, denn ich bedarf keines Lobes; rühmet mich nicht, denn ich bedarf keines Ruhmes; richtet mich nicht, denn ich werde gerichtet.“ Beide Gattinnen ruhen im Antikentempel am Neuen Palais in Potsdam. Wilhelm II. als Persönlichkeit Auf Grund von Komplikationen bei seiner Geburt war Wilhelms II. linker Arm um 15 cm kürzer als der rechte und teilweise gelähmt, mit daraus resultierenden Gleichgewichtsstörungen und Haltungsschäden sowie häufigen Schmerzen im linken Ohr. Eine besondere elterliche Zuwendung erfuhr er nicht und dankte es mit einem bleibenden Ressentiment besonders gegen seine Mutter, die ihn selbst wiederum, wie in ihren Briefen deutlich zu lesen, hasste. Schmerzvoll waren die Versuche der Familie, seiner Behinderung entgegen zu wirken. Denn der zukünftige König von Preußen sollte ein „ganzer Mann“ und kein Krüppel sein. So musste er sich als Kleinkind z.B. schmerzhaften Elektroschocktherapien unterziehen. Auch wurde erfolglos versucht, seinen verkümmerten Arm zu strecken. Das beruflich oft erforderliche Reiten fiel ihm daher schwer. Diese unbehebbare Behinderung prägte ihn sehr. Er war gehalten, sie stets als einen Makel zu verbergen. Das Tragen von Uniformen und das Abstützen der linken Hand auf der Waffe war ein Ausweg. Die Behinderung machte ihn vermutlich zu einem Menschen mit Selbstzweifeln und geringem Selbstbewusstsein und einer darauf beruhenden Ichverfangenheit, leichten Kränkbarkeit und ihr zufolge Sprunghaftigkeit. Später dürfte diese auch seine sprichwörtliche Reiselust begünstigt haben. Ob mögliche Neurosen eine ernsthafte seelische Erkrankung unterstellen lassen müssten, ist durchaus strittig. Ob auch eine Anlage zu einer Geisteskrankheit vorlag, noch mehr. Ein schwermütiger Zug wird ihm mitunter attestiert. Der noch heute berühmte Psychiater Emil Kraepelin bezeichnete sogar – auf Grund ferndiagnostisch zugänglicher öffentlicher Quellen – Wilhelms Gemüt als einen „typischen Fall periodischen Gestörtseins“, ein freilich bestrittenes Urteil in Richtung auf eine manisch-depressive Disposition. Anhaltende Schwierigkeiten waren Wilhelm II. verhasst, deswegen ließ er auch bewährte Freunde und Parteigänger schnell im Stich, so dass eher diplomatisierende Charaktere, wie Bülow und viele Höflinge, seinen Umgang ausmachten und seine Personalauswahl bestimmten. Offiziere, unter denen er sich wohlfühlte, erweiterten sein Urteil wenig, denn sie hatten im Zweifel die politischen Vorurteile ihrer kastenartig abgeschlossenen Berufsgruppe, und auch ihr Stil des Schwadronierens färbte auf ihn ab. Von seiner Persönlichkeit her gesehen behinderten narzisstische Züge seine Einfühlungsgabe und sein Urteil über Andere, wie z.B. über Nikolaus II. von Russland. Seine Taktlosigkeiten waren bekannt. Sie fielen seiner Mitwelt besonders bei seinem Regierungsantritt und bei Bismarcks Entlassung ins Auge, die dieser in seinen Gedanken und Erinnerungen rachsüchtig ausbreitete. Eine diese Handikaps ausbalancierende Welt- und Menschenkenntnis zu erwerben, hatte sein Werdegang ihm nicht erlaubt. Trotz der Wesensunterschiede zu seinem altpreußisch-schlichten und im Persönlichen bemerkenswert loyalen Großvater Wilhelm I. versuchte Wilhelm II. immer, dessen Regierungsmuster zu folgen. Man kann sein anfängliches Verhältnis zu Caprivi dergestalt deuten, dass er hier ‚seinen eigenen Bismarck‘ gefunden zu haben hoffte. Zum militärischen Oberbefehlshaber ernannte er den Neffen des berühmten Generalfeldmarschalls Helmuth von Moltke („Ich will auch einen Moltke.“), der dann aber aus dem Schatten Alfred von Schlieffens nicht heraus zu treten vermochte. Allerdings wurde die Zurückhaltung seines Großvaters bei direkten politischen Eingriffen keineswegs bleibendes Merkmal des Enkels; wiederholt griff Wilhelm II. durch Personalentscheidungen und Befehle für Gesetzesvorlagen direkt in die Politik ein. Gar nicht folgte er der öffentlichen Zurückhaltung des alten Kaisers: Selbstdarstellungseifer drängte Wilhelm II. oft repräsentativ in die Öffentlichkeit, wobei eine nicht unbeachtliche Rednergabe ihm Echo einbrachte, aber auch zu politisch bedenklichen Formulierungen verlockte. Auch begünstigte dieser Übereifer sein Verhältnis zu den Massenmedien. Man kann ihn als ersten Medienmonarchen des 20. Jahrhunderts ansehen. Seine Schaustellungen von Uniformen und Orden stimmten im Übrigen zum Protzstil des später nach ihm benannten Wilhelminismus. Die Künste standen ihm fern, die Literatur lag ihm nicht am Herzen. Eigene Interessen entwickelte er für die Archäologie, seine Korfu-Aufenthalte sind auch davon bestimmt. Außerdem oblag er, wie in Adelskreisen nicht unüblich, begeistert der Jagd, seine Trophäenzahl erfreute ihn (er erlegte rd. 46.000 Tiere); im Exil fällte er gerne Bäume. Bei der Jagd lernte Wilhelm auch seinen später engen Freund Philipp Graf zu Eulenburg kennen, der besonders in den Jahren 1890 bis 1898 zu seinen wichtigsten Beratern zählte. Desengagement, wenn die Dinge anders liefen, als er wollte, blieb sein Wesenszug. Noch 1918, angesichts der revolutionären Verhältnisse im Reich, emigrierte er sang- und klanglos ins neutrale Ausland. Seine in Holland verfasste Autobiografie mit ihren Rechtfertigungen oder Themenvermeidungen ist ein gutes Zeugnis seiner Urteilsschwächen. Das Bild Wilhelms II. in der Öffentlichkeit Wilhelm II. war zunächst sehr populär. Die weniger geschätzten Züge einer Reichseinigung „von oben“ mit Bewahrung alter Machtstrukturen fand in der Kaiserverehrung einen willkommenen Ausgleich. Die weithin monarchistisch gesonnene Presse nahm dies auf, man fand für ihn die Bezeichnungen „Arbeiterkaiser“ und „Friedenskaiser“ (dies geht u. a. auf den Vorschlag von Emanuel Nobel von 1912 zurück, Kaiser Wilhelm II. den von Alfred Nobel gestifteten Friedensnobelpreis zuzusprechen, damals hatte das Deutsche Reich unter seinem Kaisertum 24 Jahre Frieden gehalten). Doch wurde er auch als bedrohlich empfunden (vgl. Ludwig Quiddes als Kritik an Wilhelm II. aufgefasste und vielrezipierte 1894er Studie Caligula zum "Cäsarenwahnsinn“). Zunehmend mischte sich dann Spott hinein: „Der erste war der greise Kaiser, der zweite war der weise Kaiser, der dritte ist der Reisekaiser.“ Auch in der Bezeichnung „Redekaiser“ steckte Kritik. Seine vielerlei Uniformen wurden bewitzelt: „Majestät, im Badezimmer ist ein Rohr geplatzt.“ – „Bringen Sie die Admiralsunifom.“ („Simplicissimus“) Von den ihn kritisierenden Demokraten, Sozialisten, Katholiken, auch den kritischen Minderheiten (von 1864 her die Dänen, seit 1866 die Hannoveraner, seit 1871 die Elsass-Lothringer, dauerhaft die Polen) wurde ihm zunächst das die öffentliche Meinung beherrschende Bürgertum am gefährlichsten. Bei den Schriftstellern war er nicht angesehen, der ironische Thomas Mann war in seinem Roman Königliche Hoheit noch am mildesten mit einem behinderten und etwas einfältigen Dynasten umgegangen. Direkte Kritik verbot der Paragraph zur „Majestätsbeleidigung“ im Strafgesetzbuch, aber die Witze über ihn wurden immer beißender. Man vergleiche nur das viel positivere Kaiserbild von Franz Joseph in Österreich-Ungarn, der doch viel stärkere innen- und außenpolitische Probleme hatte. Nach 1918 und seiner Flucht ins Exil überwog die Verachtung, man warf ihm Feigheit vor: Warum ist er nicht an der Spitze seines Heeres kämpfend gefallen? Monarchisten erhofften 1933 mit H.s Machtantritt seine Rückkehr. Da H. nichts dergleichen im Sinne hatte, wurde Wilhelm II. in seinen letzten zehn Lebensjahren immer stärker vergessen, sein Tod blieb überwiegend unbetrauert. Sein öffentliches Ansehen hat sich seither kaum erholt. Außerhalb Deutschlands war sein Ansehen eher schlechter als in Deutschland. Während des Ersten Weltkrieges war Wilhelm II. oft die symbolische Zielfigur der feindlichen Propaganda. Familie Stammbaum Söhne und Töchter Friedrich Wilhelm Victor August Ernst (1882-1951) ∞ 1905 Herzogin Cecilie zu Mecklenburg-Schwerin (1886-1954) Wilhelm Eitel Friedrich Christian Karl (1883–1942) ∞ 1906-1926 Herzogin Sophie Charlotte von Oldenburg (1879-1964) Adalbert Ferdinand Berengar (1884–1948) ∞ 1914 Prinzessin Adelheid von Sachsen-Meiningen (1891-1971) August Wilhelm (1887–1949) ∞ 1908-1920 Prinzessin Alexandra von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg (1887-1957) Oskar Karl Gustav Adolf (1888–1958) ∞ 1914 Gräfin Ina Maria von Bassewitz (1888-1973) Joachim Franz Humbert (1890–1920, Selbstmord) ∞ 1916 Prinzessin Marie Auguste von Anhalt (1898-1983) Victoria Luise Adelheid Mathilde Charlotte (1892–1980) ∞ 1913 Herzog Ernst August von Braunschweig-Lüneburg (1887-1953) Titel und Ränge Titular Akademische Titel (alphabetisch nach Hochschulen) Dr. iur. utr. h.c. der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin Dr.-Ing. E.h. der Polytechnischen Hochschule in Berlin Ehrendoktor der Wissenschaften der Universität Klausenburg Dr. of Civil Law der Universität Oxford Ehrendoktor der Rechte der Universität von Pennsylvania Ehrendoktor der Medizin der Karls-Universität Prag Militärische Laufbahn 27. Januar 1869: Leutnant im 1. Garderegiment zu Fuß und à la suite des 1. Batl. (Berlin) des 2. Garde-Landwehr-Regiments. 22. März 1876: Oberleutnant 22. März 1880: Hauptmann 16. Oktober 1881: Major 16. September 1885: Oberst und Kommandeur des Garde-Husaren-Regiments 27. Januar 1888: Generalmajor und Kommandeur der 2. Garde-Infanterie-Brigade 15. Juni 1888: Oberster Kriegsherr des deutschen Heeres und Chef der Marine, Chef des 1. Garde-Regiments zu Fuß, des Regiments der Garde du Corps, des Leib-Garde-Husaren-Regiments 13. September 1889: Chef des Königs-Ulanen-Regiment (1. hannoversches) Nr. 13 Chefstellen und andere Ehrenränge Hier geht es um den Rang des Chefs (in Bayern: Inhaber) von Truppenteilen, dessen Namen diese dann auch oftmals trugen (das militärische Kommando liegt nicht beim „Chef“, sondern bei dem jeweiligen „Kommandeur“). Die Generals- und Admirals-Titel sind ebenfalls als Ehrenränge zu verstehen. Deutschland Chef des 1.Garde-Regiments zu Fuß Regiments der Gardes du Corps Leib-Garde-Husaren-Regiments Königs-Ulanen-Regiments (1. Hannoversches) Nr. 13 Königs-Infanterie-Regiments (6. Lothringisches) Nr. 145 Grenadier-Regiments König Friedrich Wilhelm I. (2. Ostpreußisches) Nr. 3 Regiments Königs-Jäger zu Pferde Nr. 1 Leib-Kürassier-Regiments Großer Kurfürst (Schlesisches) Nr. 1 1. Leib-Husaren-Regiments Nr. 1 2. Leib-Husaren-Regiments Königin Viktoria von Preußen Nr. 2 Leib-Grenadier-Regiments Friedrich Wilhelm III. (1. Brandenburgisches) Nr. 8 2. Badischen Grenadier-Regiments Kaiser Wilhelm I. Nr. 110 Infanterie-Regiments Kaiser Wilhelm (2. Großherzoglich Hessisches) Nr. 116 Königlich Sächsischen 2. Grenadier-Regiments Kaiser Wilhelm Nr. 101 Königlich Württembergischen Infanterie-Regiments Nr. 120 Königlich Württembergischen Dragoner-Regiments Königin Olga (1. Württembergisches) Nr. 25 Inhaber des 1. Königlich Bayerisches Ulanen-Regiment „Kaiser Wilhelm II., König von Preußen“ Königlich Bayerischen 6. Infanterie-Regiments Kaiser Wilhelm, König von Preußen Ausland Inhaber des K.u.k. Infanterie-Regiments Nr. 34 (Österreich-Ungarn) K.u.k. Husaren-Regiments Nr. 7 (Österreich-Ungarn) Chef des Kaiserlich Russischen St. Petersburger Leib-Garde-Grenadier-Regiments 'König Friedrich Wilhelm III.' 85. Infanterie-Regiments „Wyborg“, (Russland) 13. Husaren-Regiments „Narva“ (Russland) Königlich Großbritannischen 1. Dragoner-Regiments Ehrenoberst des Königlich Portugiesischen 4. Reiter-Regiments Königlich Spanischen Dragoner-Regiments „Numancia“ Kaiserlich Osmanischer Feldmarschall Feldmarschall der Kaiserlich-Königlichen Armee Österreich-Ungarns Königlich Großbritannischer Feldmarschall Königlich Großbritannischer Ehrenadmiral der Flotte Königlich schwedischer Flaggenadmiral Königlich norwegischer Ehrenadmiral Königlich dänischer Ehrenadmiral Admiral der Kaiserlich russischen Flotte Ehrenadmiral der Kgl. griechischen Flotte Sonstige (nichtmilitärische) Ränge und Orden Auswahl Neuntes Oberhaupt und neunter Souverän und Meister des Hohen Ordens vom Schwarzen Adler Protektor des Johanniterordens Ritter des Hosenbandordens (Vereinigtes Königreich) Ritter des St.Andreasordens (Russland) Ritter des Annunciaten-Ordens (Italien) Ritter des Elefanten-Ordens (Dänemark) Ritter des St.-Hubertus-Ordens Ritter des Seraphinenordens (Schweden) Ritter des Löwen-Ordens (Norwegen) Ritter des Ordens vom Goldenen Vlies (Spanien) Ehrenbailli und Großkreuz des Souveränen Malteserordens. Das Berliner Schloss, seit dem 19. Jahrhundert auch Berliner Stadtschloss genannt, war das dominierende Bauwerk in der historischen Mitte Berlins. Das Residenzschloss der Hohenzollern wurde 1442 im Auftrag der Markgrafen und Kurfürsten von Brandenburg auf der Spreeinsel in Alt-Cölln im heutigen Ortsteil Mitte erbaut. Das Schloss wurde nach barocken Erweiterungen ab 1702 zur königlich-preußischen und ab 1871 kaiserlichen Residenz im Deutschen Kaiserreich. Es galt wegen seiner hauptsächlich von Andreas Schlüter geschaffenen Fassaden und Innenräume als ein Hauptwerk des Barock.[1] Seit der Zeit der Weimarer Republik beherbergte es das nun Schlossmuseum genannte Kunstgewerbemuseum Berlin und andere Institutionen, im Schlüterhof fanden Konzerte statt. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Berliner Schloss beschädigt und brannte teilweise aus, war aber standfest und wiederaufbaufähig. Im Jahr 1950 beschloss die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) auf ihrem III. Parteitag, das im Zweiten Weltkrieg zum größten Teil ausgebrannte Gebäude vollständig zu beseitigen, um an seiner Stelle für Großdemonstrationen den Marx-Engels-Platz anzulegen. Diese Vernichtung von Kulturgut wurde weltweit öffentlich kritisiert.[2] Vor der Sprengung geborgene Teile des Schlossportals IV wurden 1963 in das Staatsratsgebäude der DDR eingebaut. Ab 1973 entstand auf dem Gelände des Schlosses der modernistische Palast der Republik, der wiederum 1990 wegen Asbestverseuchung geschlossen und zwischen 2006 und 2009 abgerissen wurde. Unter Verwendung rekonstruierter wesentlicher Fassaden- und Gebäudeteile des ehemaligen Berliner Stadtschlosses, einschließlich seiner Kubatur, wird seit der Grundsteinlegung am 12. Juni 2013 an ursprünglicher Stelle ein Neubau errichtet. Der Wiederaufbau der barocken Fassaden wird durch private Spendengelder finanziert. Danach soll der Gebäudekomplex das künftige Humboldt Forum beherbergen, dessen Eröffnung am 14. September 2019 geplant ist. Das Schloss soll dann mit außereuropäischen Sammlungen und weiteren Ausstellungen sowie als Veranstaltungsort die Berliner Museumsinsel ergänzen. Am 12. Juni 2015 wurde Richtfest für den vollendeten Rohbau samt Dachstuhl gefeiert. Über das Projekt und die Geschichte des Bauwerkes informiert die temporäre Humboldt-Box, die auch Ausblicke auf die Baustelle ermöglicht. Zum Thema siehe auch Wiederaufbau des Berliner Schlosses. Baugeschichte Erste Residenz (Burg Berlin) Kurfürst Friedrich II., genannt „Eisenzahn“, wählte im Gegensatz zu seinem Vorgänger Friedrich I., bei dem noch Brandenburg als Hauptort eine Rolle spielte, die Doppelstadt Cölln und Berlin zu seiner Residenz, da sich diese Ansiedlung an der Spree zu einem wirtschaftlichen und teilweise bereits auch politischen Zentrum der Mark Brandenburg entwickelte. Friedrich II. legte am 31. Juli 1443 („wurde der Erste stein gelegt am newen Sloss zu Cöln“) den Grundstein für den ersten Schlossbau, der erst 1451 fertiggestellt war. Der Kurfürst setzte sich damit gegen heraufbeschworene Proteste der Ratsherren, dem sogenannten „Berliner Unwillen“ durch; die Doppelstadt büßte infolge ihrer Ablehnung des Schlossbaus politische und ökonomische Freiheiten ein. Wie weit allerdings die Einschränkungen für Cölln und Berlin wirklich gingen, ist umstritten, da alle Informationen hierüber aus einer einzigen Quelle, auf einer etwa 60 Jahre später „in bestem Humanistenstil mit sichtlicher Glorifizierung der patrizischen Autonomie“ vom Chronisten Albertus Cran(t)zius beziehungsweise Krantzius (mehrere Schreibweisen des Namens i. d. Literatur) angefertigten Niederschrift beruhen. Dieses an der Stelle des späteren Schlüterhofes und des Hofes III errichtete erste Schlossbauwerk hatte als kurfürstlichen Residenz auch die Funktion einer Wehranlage, von der aus die auf der Spreeinsel kreuzenden Handelswege kontrolliert werden sollten. Das Aussehen des damaligen Schlosses ist unbekannt. Das Schloss ist in mehreren zeitgenössischen Dokumenten ab 1431 benannt, im Codex diplomaticus brandenburgensis allein zweimal: Zur Abgabe eines Gebiets in Berlin durch das Kloster Lehnin an den Kurfürsten im Jahr 1431 zum Schlossbau „in unser Stat zu Colen [Cölln] by der Mure gein dem Closter darselbst an der Sprewe [Spree] gelegen dar wir denn Nu unser Nuwe Sloß un wonunge meynen zu buwen […]“ und zur Grundsteinlegung für das Schloss: „Nach gots geburt Tausend virhundert unnd im dreyunndvirczigstenn Jarenn an Sand Peters abennd ad vincula zu vespertzeyt wurd der Erste stein gelegt am newnn Sloß zu Cöln, und tet mein gnediger Herre Marggrave Fridrich kurfürste etc. mit seiner eigenen handt […]“ Am 15. Dezember 1451 – anlässlich der Verleihung eines Burglehens – sprach der Kurfürst davon, dass er das Schloss „befestiget“ habe. Der Bau der Jahre 1443–1451 war eine befestigte Burg und Zitadelle gegen die Städte Berlin und Cölln mit wahrscheinlich allen zeittypischen Befestigungsanlagen einer Burg. Beim Schlossneubau ab 1537 wurde das zitadellenartige Burgschloss geschleift um auf seinen Grundmauern ein unbefestigtes Wohnschloss zu errichten. Im Jahr 1465 wurde die Schlossanlage um die bedeutende spätgotische Erasmuskapelle ergänzt. Renaissancebau Kurfürst Joachim II. ließ im 16. Jahrhundert die spätmittelalterliche Anlage weitgehend abtragen und an ihrer Stelle einen Renaissancebau nach dem Vorbild des Schlosses in Torgau errichten. Dessen Architekt Konrad Krebs lieferte die Pläne, die sein Schüler Caspar Theiss verwirklichte. Der Neubau wurde mit der ersten Berliner Domkirche verbunden, die fortan als Schlosskirche diente. Sie war durch Umbauten aus einem schlichten Gotteshaus der Berliner Dominikaner hervorgegangen und lag unmittelbar südlich der kurfürstlichen Residenz, ungefähr an der heutigen Einmündung der Breiten Straße in den Schloßplatz. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts veranlasste Kurfürst Johann Georg durch den Hofbaumeister Rochus Graf zu Lynar den Bau des Westflügels und Hofabschluss sowie die nördlich anschließende Hofapotheke. Kurfürst Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst, ließ das nach dem Dreißigjährigen Krieg ziemlich verfallene Schloss wieder herrichten. In der Spätzeit seiner Herrschaft entstanden bedeutende Innenräume wie die Kugelkammer oder die Braunschweigische Galerie. Letztere wurde in den durch Johann Arnold Nering ausgeführten Galerietrakt an der Spree eingebaut. Barockbau Unter Kurfürst Friedrich III. (ab 1701: König Friedrich I. in Preußen) kam es zum Ausbau des Schlosses zur Königsresidenz. Nach Arnold Nering und Martin Grünberg erhielt Andreas Schlüter 1699 die Stelle als Bauleiter am Zeughaus und wurde noch im gleichen Jahr zum Schlossbaumeister ernannt. Schlüter baute das Schloss zu einem bedeutenden Profanbau des protestantischen Barocks um. Schlüters Entwurf blieb eher konservativ und wurde vom alten Schloss bestimmt. Er war stark von Berninis Entwurf für den Louvre beeinflusst. Schlüter fügte plastische Akzente und unterschiedliche Motive hinzu. Zu der von ihm beabsichtigten Vierflügelanlage kam es nicht. Schlüter konnte nur die Flügel zum Lustgarten und zur Stadt sowie um den später nach ihm benannten Schlüterhof fertigstellen. Vorbild der Gestaltung des Baus zum Schlossplatz war die Fassade des Palazzo Madama in Rom, die Schlüter um das monumentale Kolossalportal I ergänzte. Die Repräsentations- und Privaträume des Schlosses schmückte er bildhauerisch sowie durch Deckengemälde, unter anderem von Augustin Terwesten. Auf Wunsch des Königs sollte der Münzturm genannte Bau an der Nordwestecke des Schlosses, mit einem für 12.000 Gulden in Holland erworbenen Glockenspiel versehen, bis zu einer Höhe von 94 Meter aufgestockt werden. Dafür erwiesen sich aber die Fundamente des mittelalterlichen Baus als unzureichend, obwohl Schlüter mit damals neuartigen Eisenarmierungen sie zu verstärken versuchte. Schließlich musste der unfertige Turm aus statischen Gründen aufwendig abgetragen werden, und Schlüter wurde 1706 als Hofbaumeister entlassen, blieb aber als Hofbildhauer im Amt. Schlüters Posten übernahm sein Konkurrent Johann Eosander von Göthe, der einen neuen Erweiterungsplan für das Schloss vorlegte. Der Plan konnte nur zum Teil ausgeführt werden, weil nach dem Tod Friedrichs I. dessen Nachfolger Friedrich Wilhelm I., der Soldatenkönig, in einem programmatischen Akt das künstlerische Leben am Berliner Hof zum Erliegen brachte. Er ließ das Schloss vom weniger bedeutenden Schüler Schlüters, Martin Heinrich Böhme, sparsam modifiziert vollenden. Anfang des 18. Jahrhunderts war das im Auftrag von Friedrich I. geschaffene Bernsteinzimmer Bestandteil des Schlosses. Friedrich Wilhelm I. schenkte es 1716 dem russischen Zaren Peter dem Großen, der es im Katharinenpalast in Zarskoje Selo nahe Sankt Petersburg einbauen ließ. Raumänderungen unter Friedrich Wilhelm IV. Friedrich Wilhelm IV. bezog eine Zimmerflucht im ersten Obergeschoss entlang der Spree und dem Lustgarten. Sein Arbeitszimmer ließ er bereits als Kronprinz im Jahr 1826 in dem Chor und ehemaligen Gemeinderaum der spätgotischen Erasmuskapelle einrichten. Die Bücher- und Zeichenschränke des Raumes wurden von Karl Friedrich Schinkel entworfen. Das mittelalterliche Schlingrippengewölbe, das Friedrich II. überbauen ließ, wurde unter Friedrich Wilhelm IV. wieder freigelegt. Einen Eindruck dieses Ambientes vermittelt das Porträt von Franz Krüger. Das Arbeitszimmer war der Raum im Berliner Stadtschloss, in dem Friedrich Wilhelm IV. nicht nur die meiste Zeit verbrachte und Gäste empfing, sondern auch seine Regierungsgeschäfte führte und Bauprojekte plante. Neben dem Arbeitszimmer spielten im Berliner Stadtschloss vor allem drei Räume eine wichtige Rolle: das ‚Sternzimmer‘ als Festsaal, der anschließende Speisesaal und der 100 Quadratmeter große Teesalon als Gesellschaftszimmer. Der Teesalon als ehemaliges Konzertzimmer Friedrichs II. wurde von Schinkel nach den Entwürfen Friedrich Wilhelms im Stil des Klassizismus umgestaltet. Der Raum war mit zwei dutzend Sesseln und Stühlen, zwei nach antiken Vorbildern nachempfundenen Klinen und einer Raum einnehmenden halbrunden Bank ausgestattet. Friedrich Wilhelm und seine Frau luden vor allem Gelehrte und Künstler zum ungezwungenen geistigen Austausch in diesen Raum ein. So soll hier der Naturforscher Alexander von Humboldt dem Kronprinzenpaar den ersten Band seines Werkes Kosmos vorgelesen haben. Letzte Veränderungen Mit Ausnahme des Baus der zentralen Kuppel über dem Eosanderportal fanden im 19. und 20. Jahrhundert am Außenbau nur noch kleinere Änderungen statt. Friedrich August Stüler und Albert Dietrich Schadow errichteten die Kuppel mit oktogonalem, pilastergeschmücktem Tambour in den Jahren 1845 bis 1853. Der Bau erfolgte nach einem durch den klassizistischen Architekten und Baumeister Karl Friedrich Schinkel bearbeiteten Entwurf von Friedrich Wilhelm IV. Der von 24 gerade schließenden, hochrechteckigen Fenstern belichtete Kuppelbau beherbergte die Schlosskapelle, die im Januar 1854 geweiht wurde. Das Tambouroktogon wurde von einer Balustrade abgeschlossen, wobei die Eckpunkte des Oktogons mit acht Statuen akzentuiert waren. Hinter der Balustrade begann ein weiterer, eingezogener runder Tambourteil. Um diesen eingezogenen Tambourteil lief unterhalb des Kranzgesimses ein Schriftband mit dem Text: „Es ist in keinem anderen Heil, es ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, denn der Name Jesu, zu Ehren des Vaters, dass im Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erden sind.“ Die Kuppelkonstruktion mit einem metallenen Dachstuhl war durch Wulstrippen vertikal in 24 Felder und horizontal durch zwei Reihen von Okuli gegliedert. An ihrem höchsten Punkt wurde sie von einer Laterne bekrönt: Acht Engel mit gespreizten Flügeln auf einer runden Balustergalerie trugen eine offene Kuppelkonstruktion aus acht Palmzweigen, oberhalb der sich ein Kreuz über einem Kugelknauf zentral erhob. Das Innere des Schlosses erfuhr, angefangen von Schlüter und Eosander, stetige künstlerisch bedeutsame Veränderungen: Erwähnenswert sind vor allem die dekorativen Arbeiten von Nahl dem Älteren, Carl von Gontard, Carl Gotthard Langhans, Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff und Karl Friedrich Schinkel. Städtebauliche Bedeutung Wenngleich das Berliner Schlossumfeld unvollendet im Sinne der Planungen Schlüters und Eosanders blieb, wo es als Teil einer zu errichtenden größeren städtebaulichen Anlage gedacht war, ergab sich mit den umliegenden Gebäuden in der Mitte Berlins ein repräsentatives städtebauliches Ensemble, zumal sich die Gebäude im direkten Umfeld des Schlosses hinsichtlich Größe, Proportion und Ausrichtung auf das Schloss als maßstabsgebendes Gebäude bezogen. Auch war das Schloss als bedeutsames Barockgebäude und größtes Bauwerk des Berliner Stadtzentrums der Endpunkt der Prachtstraße Unter den Linden. Mehrere Straßen wurden auf das Stadtschloss ausgerichtet, was auch der städtebauliche Hobrecht-Plan von 1862 berücksichtigt hatte. Zunächst waren nicht alle Fassaden auf Fernwirkung gestaltet, die Westfassade blieb bis 1894 durch die Schloßfreiheit verdeckt. Ab 1894 wurde die Häuserzeile für den Bau des Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmals abgerissen, wodurch der freie Blick auf die Westfassade und das Eosanderportal des Schlosses entstand. Der zweimalige Neubau des Doms am Lustgarten, 1747 durch Boumann den Älteren und 1905 durch Julius Carl Raschdorff, Schinkels Schlossbrücke und das Königliche Museum von 1824 und 1830, der Neptunbrunnen und das Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmal, beide von Reinhold Begas 1891 und 1898, werteten die städtebauliche Position des Schlosses auf. Politische Geschichte Das Schloss war Schauplatz und mitunter Symbol bedeutender Ereignisse in der deutschen Geschichte. In dem Gebäude wurde Friedrich der Große geboren, dessen Politik den deutschen Dualismus verursachte. Auslöser der Märzrevolution in Preußen war eine friedliche Demonstration auf dem Schlossplatz am 18. März 1848. König Friedrich Wilhelm IV. hatte versucht, durch eine Rede vom Balkon über Portal I durch Zugeständnisse die Massen zu beruhigen, dann aber befohlen, den Platz zu räumen. Dabei entwickelte sich ein spontaner Barrikadenaufstand, der in die Revolution überging. Bei Beginn des Ersten Weltkriegs hielt Kaiser Wilhelm II. vom Balkon über Portal IV am 31. Juli und 1. August 1914 zwei Balkonreden an zehntausende im Lustgarten versammelte Berliner. Die Ansprachen sollten die Menschen auf den beginnenden Krieg einstimmen und die nationale Einheit beschwören. Die zweite Rede fand durch eine später angefertigte Schallplattenaufnahme große Verbreitung. Am Anfang der Weimarer Republik stand ein Ereignis der Novemberrevolution im Berliner Schloss. Nachdem am frühen Nachmittag des 9. November 1918 Philipp Scheidemann am Reichstagsgebäude die Abdankung Wilhelms II. bekanntgegeben und die Republik ausgerufen hatte, verließ die Schlosswache ihre Posten. Nur wenige Hofbeamte und die Kastellane blieben im Gebäude. Vor einer sich ums Schloss ansammelnden Menschenmenge proklamierte gegen 15.30 Uhr der Spartakusführer Karl Liebknecht die „freie sozialistische Republik Deutschland“. Anschließend begab er sich ins Schloss und rief von dem Balkon der Ansprachen des Kaisers erneut die „freie sozialistische Republik Deutschland“ aus. Inzwischen waren zahlreiche Menschen in das unbewachte Schloss eingedrungen und hatten mit einer Plünderung begonnen. Liebknechts Ausrufung der Räterepublik blieb folgenlos, ging aber als symbolischer Akt in die Überlieferung der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) ein, zu deren Gründern er wenige Wochen später gehörte. Durch das Inkrafttreten des Groß-Berlin-Gesetzes 1920 verlor das Schloss seinen Status als Gutsbezirk im Landkreis Niederbarnim (der allerdings in älteren Gemeindestatistiken noch nicht auftaucht) und wurde erst von da an Teil der Stadt Berlin.